Читать книгу Und dann kam das Wasser - Dagmar Isabell Schmidbauer - Страница 22
ОглавлениеInzwischen stand das ganze Örtl unter Wasser. Der Inn traf die Donau jetzt auf dem Platzl, im Hirschwirtsgaßl und im Klosterwinkel. Selbst bei den Nonnen in Niedernburg war Land unter, und als Dank dafür, dass er dabei geholfen hatte, die Heizung auszubauen und in Sicherheit zu bringen, hatten sie ihn zum Essen eingeladen und ein Nachtlager für ihn errichtet. Das Essen bei den Nonnen war wirklich gut. Nur Zigaretten hatten sie eben keine. Dafür meinten sie, er solle ein Bad nehmen und mal seine Sachen wechseln. So ein Quatsch. Er war doch eh gleich wieder draußen. Aber dann hatte die Oberin sich vor ihn gestellt, die Arme in die Hüften gestemmt und gesagt: „Jetzt wird gebadet!“ Fehlte nur noch ein ‚Basta!‘. Doch darauf hatte er nicht gewartet. Bevor sie seiner habhaft werden konnte, war er entschlüpft und zu seiner Zille gelaufen.
Was dachten sich diese frommen Weiber eigentlich? Glaubten sie, er habe nichts Besseres zu tun, als ein heißes Bad zu nehmen? Ein richtiger Mann war bei einer solchen Katastrophe im Einsatz. Feuerwehr, THW, Wasserwacht und die Krankenhilfsdienste brauchten jeden Mann, jedes Boot, jede zupackende Hand. Alte und Kranke mussten versorgt, Einkäufe ausgeliefert, Menschen zur Arbeit und abends wieder nach Hause gebracht werden. Hochwasser war keine Idylle. Hochwasser war ein einziger Kampf gegen die Naturgewalten.
Das Wasser habe schon fast elf Meter erreicht, hatte es heute Morgen geheißen und es stieg unaufhaltsam weiter. Wer, außer ihm, sollte da auf den Toten aufpassen?
Als er das Platzl vor dem Waisenhaus erreichte, stattete er der Statue des heiligen Johannes von Nepomuk einen Besuch ab, um zu sehen, ob der Brückenheilige vielleicht schon zu trinken begann. Das war auch so eine Geschichte, die ihm seine Mutter oft erzählt hatte. Als er dann aber vor dem Heiligen Haltmachte, war er froh darüber, dass das Wasser noch nicht einmal bis zu dessen Bauch reichte. Nicht auszudenken, wie es im Örtl aussehen würde, wenn das Wasser noch höher stieg.
Derart beruhigt lenkte er seine Zille um die inzwischen vom Wasser verschlungenen Holzstege herum und ruderte dann bis zu dem zugenagelten Fenster von der Beinhuber Emmi ihrem Lager. Das Wasser stand jetzt knapp unter dem Fensterbrett. Jetzt wäre es ein Leichtes, es aufzudrücken und hineinzuschlüpfen. Nur, mit der Zille konnte er nicht hinein, dafür war das Fenster zu schmal und drinnen war alles zu eng, und schwimmen wollte er nun wirklich nicht. Das Wasser hatte gerade mal sechs Grad. Zumindest hatten das die Gaffer und Hochwassertouristen erzählt, die nur noch aus sicherer Entfernung auf die ihnen entgegenkommenden Bäche, die in die Gassen der Altstadt drangen, glotzten.
Vorsichtig blickte er sich nach allen Seiten um. Doch so wie es aussah, war er gerade ganz allein mit seiner Zille. Dabei hieß es doch immer, der Täter komme an den Ort des Verbrechens zurück. Nur, was sollte er hier machen? Rausholen konnte der den ja genauso wenig wie die von der Polizei. Interessant wäre ja nur zu wissen, warum der Täter den erst eingepackt und dann doch nicht mitgenommen hatte.
Er drückte sich von der Wand ab und ruderte langsam bis zum Hauseck, von wo aus er in Richtung Ortsspitze blickte. Es sah aus, als ständen die Häuser direkt im Fluss. Nur der Landungssteg schwamm noch im Wasser, wie von Geisterhand an seinem Platz festgehalten. Die Ladentür und die Schaufenster mit dem eingedrückten Glas lagen jetzt ebenfalls unter der Wasserlinie, und irgendwo dahinter schwamm der Tote in seiner Mülltüte herum. Bei diesem Gedanken begann er sich dann doch zu gruseln. Für nichts und niemand würde er da noch einmal reingehen. Nicht mal für eine ganze Stange Zigaretten.