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Cord 11.

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Cord sah auf die Uhr. Freitag. 4 Uhr 36. Wie lange hatte er geschlafen?

Der Fernseher lief noch und zeigte die Wiederholung einer weiteren amerikanischen Serie. Cord setzte sich auf und war mit einem Schlag munter. Wikodikabesa. In Windrichtung der kommunalen Tierkadaverbeseitigungsanlage. Er befand sich immer noch mitten in New York.

Lily und Marshall stritten. Nein, sie argumentierten. Dennoch, immer wieder blitzte das Schild des MTA-Abgangs auf. 23th St., 28th St.? Orange oder Dottergelb. Ein Blick ins Internet hätte genügt, um das Rätsel zu lösen. Cord verweigerte sich der Wahrheit. Stattdessen warf er einen Blick auf das Display seines Telefons.

Keine Nachricht. Sie hatte zu arbeiten, beruhigte er sich.

Cord hatte erneut von ihr geträumt. Ihren Werken, ihren Perspektiven, ihrem Sein. Es war märchenhaft gewesen. Sagenhaft und surreal. Wie man es seinen Träumen nur hätte wünschen können.

Diesmal waren es größtenteils Landschaftsaufnahmen gewesen, die sich ihm offenbart hatten. Schwarz-weiß, sepia und einige in einem tannengleichen Grünstich. Der Tanz der Insekten vor der Kulisse einer sommerlichen Lichtung. Ameisen im Kampf mit dem Harz auf einem frisch gefällten Baum. Tau. In allen erdenklichen Formen.

Sie war eine Künstlerin. Und obwohl er nicht wusste, wie sie es machte, verzauberte sie ihn. Ihre Bilder waren ihm im Gedächtnis geblieben und hatten sich vervielfältigt. Ihn angeregt weiter zu träumen. Seine eigenen Ideen zu realisieren. Anders konnte Cord es sich nicht erklären.

Freitag. Wenn er für diesen Tag irgendetwas geplant gehabt hatte, hatte er es nicht in seinem Terminkalender eingetragen. Zehn vor fünf. Cord drehte den Fernseher auf lautlos und starrte in die Dunkelheit vor seinem Fenster. In einer Stunde würde ein leichter Schimmer den Himmel über der Stadt beherrschen. New York dagegen würde noch weitere sechs Stunden auf seinen Sonnenaufgang warten müssen.

Gewiss war sie beschäftigt. Hatte ihr Telefon tief in der Tasche mit der Fotoausrüstung vergraben und war auf Erkundungstour. Oder sie hatte den dringenden Auftrag eines Kunden zu erledigen. Auf ihrer Homepage hatte sie in einer Ecke auf ihre unkonventionellen Portraits hingewiesen. Im Grunde fotografierte sie alles, hatte es dort geheißen. Aber eben so, wie sie es sah. Im Geiste ließ Cord ihre Homepage noch einmal Revue passieren. Sofort löste der Gedanke an die Elfe auf dem Stuhl aus dem vorigen Jahrhundert ein Kribbeln in ihm aus. Dieser ganze Kunstdreck machte sie einfach verdammt anziehend, ließ sie aus der Masse des stets anders Gleichen hervortreten.

Cord streckte sich und machte ein paar Liegestütze um in Schwung zu kommen. Er musste lachen, als er daran dachte, wie unerhört vorhersehbar seine Aktionen waren. Ja, er konnte von Glück sprechen, dass es kaum jemand verstand, sie in die entgegengesetzte Richtung zu deuten.

Belebt schlenderte er in die Küche und bereitete sich ein ausgiebiges Frühstück zu. Die Packung Zigaretten lauerten im Vorzimmer auf ihn, doch egal wie oft er ihnen auch einen kurzen Blick zuwarf, sie brachten an diesem Morgen bei weitem nicht genug Attraktivität auf, um erhört zu werden. Stattdessen fand er eine ungeöffnete Packung Orangensaft und goss sich ein großes Glas davon ein. Zwei Eier und ein halbiertes Stück Knackwurst brutzelten in der Pfanne, als er die Tür öffnete, um nach der Zeitung zu sehen. Das Titelblatt und die nächsten zwei Doppelseiten hatten nur ein Thema zu bieten. Cord blätterte weiter zu Seite sechs und las die kleineren Artikel, die sich mit dem Seitenrand, neben dem großen Bild eines Papstbesuchs, zufriedengeben mussten. Ein Delfin hatte das Kind eines Monarchen gerettet und in Nigeria hatte die Boko Haram einmal mehr einen Rückschlag einbüßen müssen. Die Welt hatte nicht genug Platz für die guten Nachrichten des Tages. Cord las jede noch so kleine Schlagzeile und stopfte ganz nebenbei die deftige Kost in sich hinein. Irgendwie hatte sein Körper danach verlangt und er würde sich hüten, ihm Tag drei der alten Zeitrechnung zu vermiesen.

Um acht Uhr drehte Cord seinen Laptop auf und checkte seine Emails. Ein ehemaliger Arbeitskollege versuchte die gute Hälfte seiner Kontakte kurzfristig zu einem Afterwork-Clubbing in der Innenstadt zu motivieren. Beginn war 18 Uhr. Warum nicht? Das machte noch zehn Stunden.

Um neun steckte sich Cord seine erste Zigarette an und kochte Kaffee. Keine neuen Nachrichten auf dem Display. Cords rechtes Bein fing auf einmal an zu jucken. Zur Beruhigung suchte er im Netz nach der genauen Einwohnerzahl New Yorks. Es waren etwas über acht Millionen. Ganz Österreich auf einem Fleck. Mitsamt den umliegenden Einzugsgebieten waren es beinahe neunzehn Millionen. Lachhaft, die Idee, sie hätte in dem besagten Wagon Platz genommen.

Cord sah aus dem Fenster. Die Sonne wanderte nur zaghaft über den Himmel und endlich, um viertel nach zehn ertönte der sehnlich erwartete Ton einer einkommenden Nachricht.

„Freut mich, dass du dabei bist. Treffen uns um ca. 19 Uhr dort. Schick dir die Nummer von meinem Kumpel, dann setzt er dich auf die Gästeliste und du kommst gratis rein. Bis dann!“

Ein weiteres Klopfen und mit ihm die Visitenkarte eines gewissen Charly.

Vielleicht sollte er Leo Bescheid geben. Mit ihm würde der Abend mit Sicherheit kein Reinfall werden. Im Notfall könnten sie sich immer noch woandershin abseilen. Cord verfasste eine kurze Nachricht und bald darauf läutete sein Telefon.

„Hi Bro!“

Die Anrede versetzte Cord einen Stich in der Brust.

„Hey Leo! Und wie sieht’s aus, bist du dabei?“

„Klar, habe sowieso bereits verzweifelt nach einer Ausrede gesucht, heute nicht mit Kathrins Eltern essen zu gehen.“

„Asozialer Arsch.“

„Ist von Zeit zu Zeit dringend notwendig. Apropos, schlimme Sache in New York. Kathrin und ich haben für die Osterferien einen Flug gebucht. Sollen auch drei Österreicher unter den Opfern sein.“

Cord verstand zwar nicht, was Leos Osterferien mit den österreichischen Opfern zu tun hatten, aber er antwortete mit einem beipflichtenden Brummen.

„Touristen?“

„Vermutlich. Mein Cousin war damals bei 9/11 auf einer Fähre von Long Island nach Manhattan. Hat alles gesehen. Hängt ihm immer noch irgendwie nach.“

„Sind sie tot? Ich meine die Österreicher.“

„Keine Ahnung. Davon haben sie nichts gesagt.“

Cord überlegte. Wenn sie in den Nachrichten von Opfern sprachen und dabei keine Toten erwähnten, konnte es meist nur eines bedeuten. Warum war ihm nicht früher eingefallen im Netz nach den Nationalitäten der Todesopfer zu suchen?

„Leo, sehen wir uns um neunzehn Uhr dort? Ich muss noch was erledigen.“

„Sicher, oder ich hol dich um halb ab und wir fahren gemeinsam hin?“

„Gute Idee. Bis später!“

Cord hatte bereits seine Suchanfrage in die Zeile der Suchmaschine eingetippt, während das Smartphone weiterhin zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt dahing.

111 Tote und 246 Verletzte. Das war der letzte Stand laut New Yorker Behörden. So viele. Die Ärsche mussten mehrere Ladungen gezündet haben. Cords Magen verkrampfte sich zusehends.

Es brauchte mehrere Anläufe, um die Nationalitäten aller Toten in Erfahrung zu bringen. Aber der Knoten in seinem Bauch lösten sich leicht, als er keine Österreicher darunter fand. Drei Österreicher waren verletzt. Viele ‚Zustände‘ waren kritisch. Dem konnte er nur beipflichten. Viele Zustände weltweit waren mehr als kritisch, dennoch fühlte man sich zunehmend machtlos, in Anbetracht solcher Ereignisse.

Noch ein Blick auf sein Display. Keine Nachricht.

Cord beschloss eine Runde zu joggen. Er würde es diesmal langsam angehen. Nur ein wenig Bewegung, um den Kopf frei zu bekommen. Bald würden die Gelegenheiten dazu ohnehin rar werden.

Sin.n.e

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