Читать книгу Sin.n.e - Danie Novak - Страница 8
6.
ОглавлениеNur langsam realisierte Cord, was das alles wirklich bedeutete.
Sie hatten den Job. Sie beide. Scarlett und er.
Schon kommenden Montag würde er wieder einer geregelten Arbeit nachgehen. Würde seinen Hintern jeden Morgen zur gleichen Zeit aus dem zerwühlten Bett quälen und gemeinsam mit seiner rätselhaften Arbeitskollegin den Anforderungen des Alltags trotzen.
Irgendetwas daran hatte diese belebende Wirkung auf ihn gehabt. Heiter legte Cord den ersten Gang ein und rollte auf die Ausfahrt zu. Noch fünf Tage. Fünf Tage, bis er wieder würde hier sein müssen. Fünf Tage, an denen er alles tun und lassen konnte, wie es ihm beliebte. Zuversichtlich strahlte er den dunklen Schatten entgegen, die der dichte Stadtverkehr vor ihm ausgebreitet hatte.
Sein Telefon gab einen vertrauten Ton von sich. Bei einer Ampel kramte er danach und las die kurze Nachricht.
„Hey Cord! Habe soeben den Border Collie wiedergesehen und musste an dich denken. Wie geht es dir?
Erst Rot, dann Weiß. Die Frauenwelt durfte über einen ausgeprägten Sinn für Signalfarben verfügen.
„Gut und dir? Habe mir soeben einen gut bezahlten Job geangelt.“
„Gratuliere!! That’s my boy! Was machst du?“
„Webdesign.“
Der Verkehr wurde stärker und Cord beschloss kurzerhand auf einem Parkplatz eines Supermarktes anzuhalten. Sie hatten Tag eins von fünf.
„Damit kenn ich mich nicht aus. Meine Homepage fällt unter Ausgaben.“
„Was machst du?“
„Kunst.“
Kurz darauf pochte es erneut.
„Genaueres findest du unter wom.com “
„wom?“
„world of milk, klick mal rein!“
„Werd ich! Ist‘s nicht noch etwas früh bei euch da drüben?
„Ja ist es, aber ich musste etwas erledigen. Später hätte es der Verkehr unmöglich gemacht.“
Cord musste schmunzeln. Hier hatte man bereits den zweiten Zenit des Blechgerangels erreicht und die Straßen wurden nun vorrangig von zwei Spezies beherrscht, den kastenförmigen Lieferwägen und allen anderen, die sich glücklich genug schätzen konnten, um diese Uhrzeit nicht den Bürostuhl hüten zu müssen.
Auf einmal hatte Cord die Neugier gepackt und er konnte es kaum noch erwarten, nachhause zurückzukehren. In seine vertrauten vier Wände, die vor allem eines beinhalteten. Sein Herzstück. Seinen Computer. Nervös wechselte er viel zu oft die Spur, nur um an der Ampel im Rückspiegel entnervt in dasselbe Gesicht zu blicken. Nach einer gefühlten Ewigkeit parkte er auf seinem Stellplatz in der Tiefgarage, brachte die Strecke in den dritten Stock hinter sich und betätigte die unbewegliche Zwölf auf seiner Tastatur oben links. Ohne Umschweife tippte er die Adresse ihrer Homepage ein und tauchte ein in ihre »World of Milk«.
Irgendjemand hatte die elf Buchstaben gut in Szene gesetzt, so dass sie leicht durchscheinend und flüssig wie Milch über einer einzigen, großen Schwarz-Weiß-Aufnahme thronten. Die Aufnahme zeigte ein Zimmer in einer verlassenen Wohnung. Der stark gewellte Holzfußboden nahm den größten Teil des Bildes ein und führte wie auf Schienen zu dem gewollten Zentrum. Dort saß elfengleich auf einem zerschlissenen alten Ohrensessel eine zarte Gestalt. Cord konnte nicht sagen, ob sie nackt war, aber ihre langen Beine hingen unbekleidet über die breite Armlehne des Lehnstuhls, während der Rest ihres Körpers im Halbdunkeln lag und nur die Konturen von Oberarm und Schulter sichtbar waren. Schwarze lange Haare bildeten die Grenze zu dem ebenfalls im Schatten liegenden Polsterteil.
Es war schlicht und weg umwerfend.
Und das, obwohl absolut nichts an dem Bild auch nur irgendeinem Schönheitsideal entsprach. Jetzt mal abgesehen von der zarten Silhouette und ihrer zerbrechlichen Nacktheit.
Cord überflog die Rubriken zu beiden Seiten der Aufnahme und klickte auf eine Reihe tanzender Nägel, die das Wort WORKS formten. Augenblicklich füllte sich der Bildschirm mit einer Vielzahl von Aufnahmen in den unterschiedlichsten Farbtönungen. Auf einigen der Bilder war das Gesicht einer Frau zu erkennen und Cord nahm an, dass es sich dabei um Selbstportraits handelte. Er wählte eines davon aus und vergrößerte es.
Die hellen Augen mit dem stechend dunklen Rand zogen ihn sofort in den Bann. Cord schloss die Augen und öffnete sie erneut, um dem Rest des Bildes eine Chance zu geben.
Ihre Haut im Gesicht und an den langen Arme, die einen geblümten Rock umklammert hielten, war beinahe durchscheinend weiß. Cord folgte dem knochigen Elfenbein von der Schulter über den Ellbogen bis zu den dunkelblauen Fingerspitzen. Er stockte. Ihre Nägel waren auf dieser nur schwach farbigen Aufnahme eindeutig dunkelblau lackiert. Cord griff nach seinem Mobiltelefon und tippte eine neue Nachricht ein. Nur wenig später ertönte das erhoffte Pochen.
„Vor drei Tagen. Die Wunde ist nicht schön, aber sie gibt ein erstklassiges Motiv. Deine erste Nachricht betraf mein Bild über die Steine vor dem Basketballplatz.“
Cord konnte es nicht fassen. Vor drei Tagen hatte er noch nicht einmal gewusst, dass sie existierte. Oder etwa doch? Der Gedanke streifte ihn, eine Dokumentation im Fernsehen angesehen zu haben und darüber eingeschlafen zu sein. Doch letztendlich war auch diese Überlegung wenig hilfreich. Es blieb die Frage, woher er ihre Nummer hatte. Und all die Träume.
Angestrengt versuchte Cord sich an die Träume von letzter Nacht zu erinnern. Es hatte Träume gegeben und sie hatten ihm für eine geraume Zeit lang den Schlaf geraubt. Doch je mehr er sich sein Hirn darüber zermarterte, desto rascher zerronnen die spärlichen Bildfetzen zu einer klumpigen Masse aus Brei. Nein, es hatte keinen Sinn. Dezent pochte es ein weiteres Mal.
„Ok. Du hast nun meins. Bekomm ich nun deins?“
Was? Wie damals in der Schule starrte er auf die Formulierung der Fragestellung und wartete auf eine Eingebung. Was wollte sie von ihm?
Und nicht wie damals in der Schule, hatte sich gleich darauf die Erkenntnis in sein Bewusstsein gebrannt. Sie wollte sein Bild, denn er hatte das ihre. Und nicht nur eines davon.
Cord stand auf und blickte in den Spiegel an seinem Kleiderschrank. Fantastisch. Als wäre er der lebendig gewordene Informationspfosten einer Touristensammelstelle, verwiesen sämtliche seiner Haarsträhnen auf eine jeweils andere Sehenswürdigkeit, von Augustinerkirche bis Zentralfriedhof.
Aus reiner Gewohnheit war er sich seit Verlassen des Firmengeländes immer wieder mit den Händen durch die mit Gel versiegelten Haare gefahren und hatte die Ordnung, die den ganzen Vormittag über geherrscht hatte, zunichte gemacht.
„Nicht nachdenken. Einfach abdrücken. Sind die besten.“
Cord konnte nicht glauben, was er hier tat. Verstohlen blickte er ein letztes Mal in den Spiegel, dann drückte er ab. Es war einfach zu komisch. Er hatte einer zum Leben erwachten Elfe aus Nimmerland tatsächlich das wenig beschönigende Portrait seines Hangover-Covers geschickt.
„Wow!“, kam es kurz darauf zurück.
Klar. Er hätte dasselbe getan. Nur ein Witz hatte die Situation jetzt noch retten können. Cord überlegte mit einem angemessenen Smiley zu antworten, dann ließ er es bleiben und verschwand in die Küche, bemüht einen weniger fatalen Gedanken zu fassen.
Mittagessen. Sein Magen hatte nicht darauf vergessen, ihn alle paar Minuten mit seiner Befindlichkeit zu unterhalten. Cord öffnete den Kühlschrank und zog eine Packung eines appetitlich abfotografierten Fertiggerichts heraus. Er entfernte die Kartonschleife und brachte die weniger appetitliche Wahrheit unter einer durchsichtigen Kunststofffolie zum Vorschein. Egal. Sein Telefon spielte eine Melodie und er beeilte sich die Plastikschüssel im Mikrowellenherd zu platzieren.
„Ja?“
„Hey! Ja, klar! Da bin ich dabei.“
Cord ließ den Hörer wieder sinken und wartete auf das erlösende Dong der Mikrowelle.
Gänsehaut. Das Bild der feinen Härchen auf der schimmernden Alabasterhaut war ganz plötzlich in ihm aufgetaucht. Während er wartete, versuchte er daran festzuhalten. Wie in Nebel getaucht, verschwand es aufs Neue. Sie war tatsächlich berauschend schön und Cord ertappte sich dabei, wie er sich vorstellte, wie sie ihre Bilder arrangierte. Das Dong kam und er schnappte sich die Fertigmahlzeit, um sie auf der Couch vor dem Fernseher zu löffeln.