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Cord 3.

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Die Wohnung wirkte einsam und verlassen, als er am späten Nachmittag zu ihr zurückkehrte. Cords Onkel hatte ihn überraschend auf einen ausgiebigen Lunch beim Italiener eingeladen und ihm druckfrisch von den rosigen Aussichten berichtet, die ihn offenbar ohne den geringsten Umweg erreicht hatten. Zwischen Rückwand und Tischplatte geklemmt, hatte sich Cords Hemd immer enger um seine Brust gelegt und seine ruhelosen Finger waren bald unter der schweren, dunkeln Tischplatte verschwunden.

„Freddy hat mich gleich nach seinem Gespräch mit Magister Gunther angerufen. Und du bist definitiv unter den Top-Drei.“

Sein Onkel nahm einen doppelten Bissen seiner Pizza Diavolo und steckte ihn sich genüsslich in den Mund.

„Hast dich auch fein rausgeputzt.“

Mit der Gabel markierte Onkel Herby die Strähnen seiner Haare, die dem Gel sei Dank noch immer an Cords Kopfhaut klebten, wie eingetrocknete Nudeln im Kochtopf. Cord würgte einen letzten Happen Pasta hinunter und spülte mit einem großen Schluck Bier nach.

„Na, was sagst du!? Das ist doch was für dich!? Geradezu ideal!“

Cord musste zugeben, dass er sich darüber bisher noch wenig Gedanken gemacht hatte. Der Job entsprach seinem Profil. Er entsprach seinem Können. Seiner Ausbildung. Aber entsprach er auch seiner Persönlichkeit?

„Klar. Aber ich möchte mich nicht zu früh...“

„Hah! Selbstverständlich, aber keine Sorge...“

Wie immer, konnte sich Onkel Herby einen seiner unvermeidlichen Gesichtsausdrücke aus diesen schwermütigen Schinken nicht verkneifen und Cord kam nicht umhin, dem Mienenmassaker gehorsam standzuhalten.

„...unter uns, hast du den Job so gut wie in der Tasche.“

„Ich bin mir da nicht so sicher. Die Konkurrenz war doch...“ Cord suchte nach Worten, um der Erscheinung dieses fuchsroten Fabelwesens und ihrer makellosen Nägel auch nur annähernd Genüge zu tun. Es klappte nicht.

„...naja, auffallend gut.“

Onkel Herby, der gerade noch den Paten gemimt hatte, lachte ungezügelt auf.

„Und wie es das Schicksal so will, weiß ich diesbezüglich auch etwas mehr als du. Freddy plant für sein nächstes Großprojekt gleich zwei Webdesigner einzuschulen.“

Das hatte gesessen. Mit einem Mal konnte sich Cord zum ersten Mal echte Chancen ausrechnen. Chancen, die zu einem winzigen Teil sogar auf seinem eigenen Mist gewachsen sein könnten. Er leerte sein Glas Bier in einem letzten Schluck und spielte mit dem Gedanken, ein drittes zu bestellen.

Die leicht muffelnde, unaufgeräumte Küche lechzte nach seiner Aufmerksamkeit. Cord ließ die Bewerbungsunterlagen auf den Küchentisch fallen ließ und sackte auf den Sessel daneben. Selbst wenn er genug Zeit dafür hätte freischaufeln können, hätte er sie anders genutzt. Doch das Training würde um fünf beginnen und es gab noch etwas, dass seine Gefälligkeit benötigte.

Diana. Der ereignisreiche Vormittag hatte Cord bisher davor verschont, sie zurückzurufen, doch nun schwebten ihre verpassten Anrufe wie dunkle Gewitterwolken über seinem Gemüt. Verpasste Anrufe, „Anrufe“ waren etwas, das nicht zu ihr passte. Einmal, dann ließ es bleiben. Diana war die Art von Frau, die es sich stets hatte leisten können, niemandem nachzulaufen. Schwachsinnig wie er gewesen war, hatte er genau das getan. Cord war ihr nachgelaufen. Hatte sie angehimmelt und sie umgarnt wie eine affektierte Heldin. Irgendwann war sie dann schwach geworden. Hatte es auf seine blauen Augen geschoben und die unvermeidlichen Lachfalten um seinen Mund.

„Diana?“

Seine Knöchel bohrten sich in seine Stirn. Der Beginn ihrer Mailboxansage hatte ihn schon mehr als einmal aufs Glatteis geführt.

„Hey. Hör zu, ich muss gleich zum Training, aber wenn‘s ok ist, meld‘ ich mich später bei dir? Gut, dann... bis später.“

Cord hasste seine Mailboxmeldungen. Er hasste seine Stimme am Telefon. Nur selten klang sie annähernd so, wie er es sich vorstellte. Schnell packte er frisches Gewand in die dunkelblaue Sporttasche und verließ das Wohnhaus durch die Eingangstür im Erdgeschoß.

„Hey Cord! Ultimate Frisbee again?“

Cord nickte und erntete eine Handbewegung, die wohl so etwas Ähnliches wie Anerkennung und Coolness ausdrücken sollte. Der etwa achtzehnjährige Afghane sprang die wenigen Stufen in den ersten Stock hinauf und verschwand in der Wohnung, aus der zu so gut wie jeder Tageszeit aromatische Gerüche drangen.

Cord nahm die U-Bahn zu der modernen Trainingshalle, inmitten einer weitläufigen Wohnhausanlage und begrüßte seine Mitstreiter in der Umkleidekabine.

„Paul schafft‘s heute nicht. Kein Babysitter oder so ähnlich.“

Georg zog das dunkelgrüne Shirt über und stopfte sich einen Müsliriegel in den Mund. Seit Paul Vater geworden war, hatte sich vieles verändert. Sie waren kein eingeschworenes Team mehr. Waren seither mehr oder weniger wie die vier Säulen einer einbruchsgefährdeten Konstruktion, die es sich nicht eingestehen wollte, dass der Zahn der Zeit an ihnen nagte. Cord konnte nicht leugnen, dass er sie vermisste, jene unbeschwerlichen Abende, die Ideen einer Fortsetzung, die es von seinem jetzigen Standpunkt aus kaum zu erreichen gab.

Etwas matt trottete er hinter Leo in die grell beleuchtete Halle hinauf. Die Aussichten eines ruhmreichen Trainings waren diesmal alles andere als rosig. Sein rechter Knöchel spielte den eingebildeten Kranken und Cord bezweifelte stark, dass ihn die gierig eingeworfene Mahlzeit vorhin in irgendeine andere Richtung ziehen würde, als nach unten.

Und er sollte Recht behalten. Das Aufwärmtraining nahm kein Ende und das Freundschaftsspiel danach versetzte ihm und seinem Team einen herben Schlag in die Magengrube.

„Na, das haben wir ja grandios an die Wand gefahren! Oder wie es unser Trumpianer Paul formuliert hätte: «Männer, wir haben richtig abgelost!»“

Cord schenkte Leo und seinem unerschütterlichen Humorzentrum einen vernichtenden Blick. Dennoch brachte dieser es noch fertig, mit einem letzten, unpassend einsetzenden Energieschub die übrige Truppe dazu zu überreden, das Trauerspiel in der nahegelegenen Bar zu begießen.

Gemeinsam mit den Mädels aus der anderen Garderobe machten sie sich auf in die ehemalige Spielhölle, die, wenn es nach dem Betreiber der Wohnhausanlage ging, wohl bald einer Spielhalle für Milchtrinker würde weichen müssen.

Anders als in Cords womöglich zukünftiger Firma stellte sich die Frage nach Raucher- oder Nichtrauchertum hier nicht. Hatte man ein Problem mit der dicken Luft, wurde man von dem brummigen Betreiber auf das pinklastige Szenetreff gegenüber verwiesen. Aktuellen Gesetzeseinfälle hin oder her.

Cords rechte Hand verschwand in seiner Jeanstasche, noch ehe sich das weiche Polstermaterial an seinen Hintern zu schmiegen begann. Auch der nächste Handgriff saß. Routine. Erneut. Diese allesvereinnahmende, überall lauernde Eintönigkeit.

„Darf ich mir eine schnorren.“

„Du schuldest mir noch mindestens zwei Packerl.“

„Cord..?“

„Sicher. Hier.“

Er reichte ihr eine und sie lächelte ihn dankbar an. Nicht schüchtern. Nicht frech. Ein aufrichtiges Lächeln ohne Geschmacksverstärker. Leila schlüpfte aus ihrer Sportjacke und setzte sich zu ihm.

„Habe Diana vorhin beim Shoppen getroffen. Läuft nicht so, mh?“

„Nicht wirklich.“

„Hast du ne neue?“

Cord konnte nur hoffen, dass sie Diana dieselbe Frage gestellt hatte.

„Nein.“

Leila nickte stumm.

„Einfach auseinandergelebt.“

Wie langweilig das klang. Wie alltäglich. Cord nahm einen tiefen Zug und drehte das eiskalte Bierglas zwischen den Fingern.

„Das wird schon wieder!“

Cord warf ihr einen ungläubigen Blick zu und sie zwinkerte ihn an.

„Sonst machst du’s einfach wie die Finnen.“

„Und was machen die Finnen so?“

„Naja, Sauna und dann raus ins Eisloch. Soll Wunder wirken gegen jede Art von Beziehungsengpass.“

Cord bezweifelte das stark und hielt sich lieber an Lateinamerika. Tanzen, Trinken und ab und zu an ortsansässigen Substanzen kauen.

„Leila?! Dori hat sich gerade gefragt...“

Leila war abgetaucht. Wie ein Delfin war sie den Rufen auf der anderen Seite des Tisches gefolgt und in die Wogen des neuen Gesprächs eingetaucht. Cord lehnte sich zurück und sah zu Leo hinüber.

„Wie war’s heute? Irgendwelche Chancen?“

„Vielleicht, wenn’s nach den Insiderkanälen meines Onkels geht.“

„Tatsache? Nicht schlecht! Wieviel würde da denn so rausspringen?“

„Anfangs an die zweitausend Netto.“

„Zweittausend haben oder nichthaben!“

Cord musste ihm Recht geben. Er konnte das Geld gut gebrauchen. Die Ersparnisse in seinem Geldbunker zierten, wenn überhaupt, nur noch den spiegelglatten Metallboden und funkelten ihm verächtlich entgegen.

Dennoch. Etwas fehlte. Etwas Großes. Etwas Farbiges. Etwas Unfassbares.

Sin.n.e

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