Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 13

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»Vier Tage! Vier Tagen hocken wir schon in diesem englischen Kaff. Wenn die nicht bald einen WLAN-Mast im Hafen aufstellen, sterbe ich vor Langeweile.«

Kommt nicht oft vor, aber ich kann Leya gerade echt verstehen. Eigentlich hätten wir längst auf Mr Gaffneys Kahn sein müssen. Die Arbeiter klöppeln Tag und Nacht an dem alten Schiffsmotor herum und seitdem hängen wir und die anderen Leute von der Expeditionscrew in diesem Dorf namens New Kilnsea rum.

New – voll der Hohn. Hier gibt’s eine Handvoll Häuser und ansonsten nichts. Nur alte Leute, hauptsächlich Fischer. Sie alle hocken nach der Arbeit im »Fisherman’s Spear« und diskutieren lautstark über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Ich dachte, im Gamer-Chat geht’s aggro ab, aber das ist ein Ponyhof gegen das, was die Fischer jeden Abend im Pub ablassen.

»Two cokes, guys.« Die Wirtin stellt unsere Getränke ab und wirft Leya einen kritischen Blick zu. »Eine ohne Zucker. Und ohne Strohhalm.«

Auch an diesem Nachmittag hängen wir im Pub ab und zocken Darts an dem abgenudelten Board.

Ich genehmige mir drei Schlucke, dann peile ich mit meinem letzten Pfeil Bullseye an. Ich brauche Points. Leya zerstört mich, ich liege hinten. Mit einem satten Flock! landet der Dartpfeil im Kork. Neben dem Board. Ich muss unbedingt an meinem Rechtsdrall arbeiten.

»Tja, in der Steinzeit wärst du jetzt schon tot«, gibt mir meine Schwester Beef. »Da überlebten nur die, die was draufhatten, die am besten angepasst waren.«

»Haha, lustig, Fräulein Coke Zero«, gifte ich zurück. »Schon gemerkt? Das hier ist nicht Doggerland.«

»Dieses Dogger… Doggerland, was ist das eigentlich?«, schaltet sich die Wirtin, schon wieder hinter der Theke, ein. »Im Fisherman’s erzählt man sich ja viel, aber bis ihr und eure trinkstarken Forscherfreunde hier eingefallen seid, habe ich noch nie von diesem Land gehört.«

Beinahe beiläufig wirft Leya ihren nächsten Dart. Double 10. Herrje, bin ich ein Lamer.

»Die wenigsten Menschen wissen davon. Mama und Papa sagen immer, Doggerland sei ein noch ziemlich neues Forschungsfeld. Aber wenn darüber weiterhin so gute Erkenntnisse gesammelt werden, müssen in ein paar Jahren die historischen Karten Nordeuropas geändert werden.«

Ich seufze. »Beantworte einfach die Frage, Professor Finsmann!«

»Oh, sorry.« Leya nippt an ihrer Cola. »Also: Doggerland war ein Land. Ein sehr großes Land. Dort, wo heute die Nordsee ist. Da soll es weite Grasflächen und Wälder gegeben haben, fruchtbare Flusstäler, Moore und sogar niedrige Berge.«

»Wälder, sagst du? Bloody hell.« Die Wirtin wischt sich die blonden Locken aus der Stirn. »Man konnte also von Europa, ich meine, vom Festland trockenen Fußes bis in unser Königreich stiefeln?«

»So ist es.« Leya zielt mit ihrem zweiten Dart. »Ich glaube, die Themse, der Rhein und andere europäische Flüsse mündeten sogar in ein gemeinsames Flussdelta.« Ihr Pfeil landet auf dem Feld mit der 13.

»Und wann genau soll das gewesen sein?«, mische ich mich in Leyas Referat ein. Vielleicht kann ich ihre Konzentration stören und damit ihre Siegesserie stoppen.

Leya runzelt die Stirn. Ihre dämliche blaue Haarsträhne rutscht hinter ihrem Ohr hervor. »Mittwoch, Lex, vielleicht auch erst am Montag.«

Flock! Triple 20 – ihr letzter Dart hat das rote Feld knapp über der Mitte der Dartscheibe, den inneren Ring bei der Zahl 20, getroffen. 60 Punkte auf einen Streich – verdammt, jetzt kann ich sie nicht mehr einholen.

Leya grinst mich an und wendet sich wieder der Wirtin zu. »Nein, das mit Doggerland ist 10 000 Jahre her. Das war in der Steinzeit: Feuerstein, einfache Hütten, Säbelzahnkatzen und Mammuts.«

»Und dieses Doggerland ist irgendwann einfach so mit Maus und Mammut abgesoffen?« Die Wirtin kommt langsam wieder hinter ihrer Theke hervor; wie so’n scheues Tier, das wagt, seinen Bau zu verlassen.

»Soweit ich weiß«, fährt Leya fort, »begann der Untergang nach der letzten Eiszeit, als durch den Klimawandel der Meeresspiegel weltweit langsam anstieg.«

»Wie heute«, bemerke ich, ohne Häme. Ich weiß, wie sehr meine Schwester an ihrem SaveThePlanet-Ding hängt.

Leya nickt. »Aber das war noch nicht alles. Weil die Gletscher im Norden Doggerlands schmolzen, verteilte sich das Gewicht auf der gesamten Landmasse anders. Wie bei einer Waage hob sich der Norden Doggerlands, während der Süden, der größte Teil, langsam versank.«

»Gruselig«, sagt die Wirtin und ignoriert, dass ein alter Mann gerade an die Theke wackelt, um etwas zu bestellen.

Leya zuckt mit den Schultern. »Es gibt noch eine dritte Theorie, die den Untergang Doggerlands erklären will: Ein Monster-Tsunami, ausgelöst durch einen gewaltigen Erdrutsch in Norwegen.«

Die Wirtin lacht. »Monster? Aber mal im Ernst. Dass das Meer nimmt und gibt, erinnert mich an eine alte Legende, die sich die Fischer hier erzählen.«

»Hey Jodi, bekommt man jetzt noch sein Guinness oder muss ich zu Hause die Flasche aufmachen?« Der alte Mann vor der Theke will bereits zum Zapfhahn langen.

»Hör einer an, wer seine Stimme wiedergefunden hat, Archy.« Jodi beugt sich verschwörerisch zu uns. »Interessante Story, das mit Doggerland. Der Stoff für Legenden, die die Zeit überdauern.« Sie zwinkert mir zu. »Das erinnert mich an eine unserer Legenden hier. Ihr Kids seid Zwillinge, oder? Kommt mit, ich muss die Fässer wechseln. Dabei erzähle ich euch eine uralte Geschichte, die zu euch passt.«

Doggerland

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