Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 17

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Über dem Pfad ragt der große Schädel des Maa-Mutts auf. Der Mond erhellt den gelben Knochen. Er wurde auf einen spitzen Pfahl gerammt. Daneben stecken weitere Pfähle im Schlamm. Auch sie wurden mit Knochen behängt.

Shagga und ich kennen solche Geisterzäune. Sie sollen alle abhalten, die anders sind als die, die sie errichtet haben. Nur noch ein paar Speermaße und wir sind nicht mehr auf dem Land der Tashi. Hinter den Knochen, hinter dem Geisterzaun beginnt das tückische Trübwasser: Feindesland.

Seit vielen Trockenmonden, seit vielen Weißregenmonden befinden wir uns im Krieg mit den Mog’Tar. Die Knochentrinker wanderten einst in unser Land, ließen sich jenseits des Trübwassers nieder, schnell kamen sie auch in unser Dorf. Ihre Kehlen waren rau und fremd für unser Ohr. Wir gaben ihnen Fisch, Weichschalen und Nüsse – wir öffneten unsere Herzen. Dann kamen sie häufiger. Verlangten mehr, obwohl wir nicht mehr geben konnten. Und irgendwann kehrten die Mog’Tar mit Keulen und Speeren zurück und nahmen sich, was sie wollten: Fleisch und Gras und Tashi.

Auch in diesem Geisterzaun sehe ich Tashi-Knochen – Arme, Beine und die gebogenen Gerippe, die das Herz umringen. Keine Schädel. Die Köpfe lassen die Mog’Tar niemals zurück. Denn Knochentrinker sind stets auf der Suche, auf der Suche nach unserem Geschick. Davon haben die Mog’Tar wenig. Sie wissen nicht, wie man Körbe für den Fischfang baut, mit Maschen weit genug, damit die Fische hineinschwimmen, aber gleichzeitig so eng, dass sie nicht mehr rausschlüpfen. Auch kennen sie nicht die richtigen Bäume, damit das Pfahlhaus sicher im nassen Uferschlamm steht. Und keinesfalls besitzen sie das Geschick, die Körner des gelben Langhaargrases so in die Erde zu werfen, dass im nächsten Trockenmond viele Körner an den Halmen wohnen. Das alles können Mog’Tar nicht. Daher wollen sie dieses Geschick aus unseren Schädeln trinken.

An all das denke ich, als wir an dem Geisterzaun vorbeigehen. Das Mondlicht zeigt mir, dass die Spuren in der Lücke zwischen den Knochen noch frisch sind. Die Fährte des Dolchzahns. Kaum älter als ein Lauf des Himmelsauges.

Dort, wo das Trübwasser beginnt, haben die Tashi Holzwege gelegt. Doch hier, im Herzen des Trübwassers, gibt es die nicht mehr. Hier lauern falsche Geister. Sie haben die Erde weich gemacht. Ein falscher Schritt, und ein schweres Tier wie ein Dolchzahn versinkt. Wildbeuter der Tashi sind hier schon bis zur Schulter im Morast stecken geblieben. Die Mog’Tar wissen das. Sie verbergen sich wie feige Graupelze hinter den heimtückischen Feldern.

Ich schiebe meine Finger unter das Stirnband aus Speerkopfhaut. Es juckt zwischen meinen geflochtenen Haaren. Wenn auch nur einer ihrer Krieger den Pfad beobachtet, bis zum Hals verborgen in einem der schwarzen Tümpel oder in den Ästen der ertrunkenen Bäume lauernd, er wird uns entdecken, bevor wir ihn sehen. Geister des Himmelsmeeres, bewahrt mich und meinen Bruder davor, dass auch unsere Knochen hier verrotten!

»Ich gehe voran«, flüstere ich Shagga zu und nocke einen Pfeil an die Bogensehne. Im Dunkel wird der Weg noch schwerer für uns.

Shaggabug nickt, sein Gesicht ist angespannt. Er weiß, dass er mir nicht helfen kann, wenn es zu einem Kampf kommt.

Schwarze Farbe färbt das Himmelsmeer, immer wieder drängen Wolken wie Berge vor den vollen Mond. Bald wird es auch Regen geben. Das ist nicht gut. Bei Regen kann ich meinen Bogen nicht nutzen. Die Sehne wird dann weich. Zudem riecht die Luft nach Gefahr. Bald wird die Himmelstrommel gegen den grellen Weißspeer kämpfen.

Wir laufen geduckt weiter, die Augen auf der Fährte des Dolchzahns. Immer tiefer dringen wir ein in das Land der Mog’Tar. Wasser tropft, Holz knarrt und schwarzer Schlamm schmatzt. Wir verlieren keine Worte mehr. Jeder unserer Laute könnte der letzte sein. Was wird Vater sagen, wenn wir wieder heimkommen? Hoffentlich nicht mit leeren Händen.

Da bemerke ich eine Bewegung hinter einem Stamm. Sofort werfe ich mich zu Boden und deute Shagga, es mir gleichzutun. Doch mein Bruder kauert bereits auf der Erde.

Das Knacken von Holz und das leise Plätschern von Wasser ist ganz nah. Einen Speerwurf von uns entfernt muss ein Tümpel sein. Ich sehe, dass winziggrüne Blätter auf dem Wasser schwappen. Wir sind nicht allein.

Noch bevor ich weiterkriechen kann, bricht die grüne Schicht. Ein schuppiger brauner Kopf, schlangengleich, taucht auf. Die Schnauze mündet in einen spitzen Zapfen, Wasser strömt aus dem zahnlosen Maul. Ich springe auf. Ziehe Shagga hoch. Hinter dem Kopf schiebt sich das spitze Haus der Stachelhornkröte aus dem Wasser.

»Schnell, vielleicht hat sie uns noch nicht bemerkt.«

Schon rennt Shaggabug an mir vorbei. Doch er muss über einen Baum springen, der über dem Trampelpfad liegt. Sein Lendenschurz bleibt an den abgebrochenen Ästen hängen. Das Leder reißt. Shagga schreit auf. Sofort ruckt der Kopf der Stachelhornkröte herum.

»He-o, he-o!«, rufe ich und trommele mit dem Bogen auf den umgestürzten Baum. Mein Schrei springt weit über das Trübwasser.

Die Kröte sieht mich. Mit einem Fauchen wälzt sie sich vorwärts, ihre Krallenfüße sinken im Morast ein. Sie ist schnell, schneller als gedacht. Auch starke Wildbeuter können solch einem Ungetüm nur schwer etwas anhaben. Ihre Haut ist dick, die Platten hart wie Feuerstein. Aber wessen Hände, Arme oder Beine in ihr Maul geraten, der bekommt sie niemals mehr zurück.

Ich springe über den Baumstamm und hechte den Weg entlang. Der Pfad windet sich, wird schmaler. Das Mondlicht erhellt Shaggas eilige Schritte, doch dann teilt sich der Weg und die Spuren meines Bruders hören auf.

»Shagga?«, rufe ich möglichst leise. Ich war noch nie ein guter Fährtenfinder.

Keine Antwort. Aus Richtung meiner Pfeilhand kommt ein Fauchen. Noch eine Stachelhornkröte. Größer als die erste.

Ich schieße einen Pfeil ab. Er schlägt vor dem Kopf des Ungetüms in den Boden.

Ich wähle den Weg auf der Seite meiner Bogenhand, doch mein Bruder ist nicht hier. Also eile ich zurück, nehme den Weg, auf dem die Kröten kriechen. Kein Shaggabug.

Mein Herz überschlägt sich. Nein, Shagga. Nicht heute.

Ich laufe weiter. Hinter mir krachen Äste, als eine der Kröten versucht, über den Stamm zu klettern. Da höre ich den Schrei. Er klingt weit entfernt. Aber er stammt von meinem Bruder.

Ich stolpere über den Weg. Er steigt leicht an, dann stärker. Das Trübwasser bleibt zurück, der Boden wird trockener. Shagga ist ein schneller Läufer.

Plötzlich stoße ich auf weites Grasland, das im hellen Mondschein wie grüne Wellen wogt. Von einer Anhöhe schaue ich hinunter auf Wasser, fremdes Wasser. Tief hat es sich zwischen die Hänge der Grauberge geschnitten. Salzfinger nennt mein Stamm diese schmalen Flüsse. Doch wir trinken nicht aus ihnen. Denn dieses Wasser entspringt dem Meer.

Shagga steht am Ufer, inmitten von angeschwemmten Weichschalen und Seetang, zwischen Sand und Kieseln und sieht hinaus auf das Wasser. Aus ihm erheben sich Steine: mächtige rote Steine.

Doggerland

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