Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 23

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Wir blieben die ganze Nacht in der Höhle, wärmten uns an einem Feuer und schliefen. Und als das Himmelsauge wieder erschien, war der Regen gegangen. Und auch unsere Hatz.

Shaggabug will sogleich zurück ins Dorf, er will nicht noch mal zum Ufer laufen. Aber ich muss wissen, ob der Zahn noch da ist. So eine Trophäe hat bisher kein Wasserläufer erbeutet. Erutt wird vor Neid erblassen, mein Vater wird mich rühmen und Jórunn wird es sich auch eingestehen: Ich bin so weit, ein Mann, ein Wildbeuter. Ich brauche diesen abgebrochenen Schlangenzahn!

»Alif?!« Shaggabug duckt sich ins kniehohe Gras und zeigt zum Ufer.

Auch ich erstarre. Ist das ein Trugbild im frühen Licht des Himmelsauges? Spielen falsche Geister mit uns? Ich greife nach meinem Bogen. Menschen. Sie liegen auf der weichen Erde. Einer kriecht langsam auf den zu, der sich nicht regt.

»Arme und Beine«, höre ich mich reden, als wären das zwischen Seetang und Uferschlamm nur seltene Tiere. »Aber ihre Köpfe … ihre Haut, alles ist so bleich. Und ihr Haar, was haben sie damit gemacht?«

»Fremdlinge«, wispert Shaggabug in meinem Rücken. »Sieh ihre Kleider. Keine Speerkopfhaut, kein Graupelz, kein Weichschalenschmuck. Nicht einmal Schuhwerk. Es sind fremde Menschen. Lass uns näher heran, um mehr zu sehen.«

Ich ziehe Shaggabug zurück. Nein, wir müssen sie erst ausspähen. Wir sind auf dem Land der Knochentrinker. Vielleicht ist das eine ihrer Fallen.

Ich blicke meinen Bruder an, strecke die Hand flach aus und lasse sie wie eine Welle in der Luft laufen – das Zeichen für unseren Stamm, das Zeichen für Tashi. Dann schüttele ich den Kopf.

»Vielleicht kommen sie aus dem Warmland«, wispert Shagga zurück. »Vater hat uns doch mal von einem erzählt, der kam und wieder ging und dann wiederkam und blieb.«

Wir ducken uns weiter ins hohe Gras und belauern die Fremdlinge. Fremdlinge sind Gefahr, sagen die Alten in unserem Stamm. Doch diese hier sind wenige. Gibt es noch mehr? Wo ist der Rest ihres Stammes? Alleine hätten sie den Weg, woher auch immer sie kamen, nicht gehen können.

Mein Bruder stößt mich an, öffnet lautlos den Mund, beißt in den Wind und schluckt ihn herunter. Ich weiß, was er mir sagen will. Hätte Shaggabug noch seine Hände, er würde mit der offenen Hand in den Wind greifen und die Faust dann an seine Brust drücken. Doch Shagga hat keine Hände mehr und wir haben uns viele Zeichen überlegt, die dasselbe meinen, aber anders aussehen.

Bleib!, deute ich ihm lautlos, lege einen Pfeil auf und pirsche durch die Binsen. Zwar sehe ich weder Waffen bei den Fremdlingen, noch tragen sie Farben des Kampfes oder der Freude. Ein guter Wildbeuter bleibt jedoch immer wachsam.

Der, der sich kriechend bewegt, ist ein Kleinmann, fast genauso groß wie Shagga und ich. Er hat gelbe Hände – nein, es sind seltsame Handschuhe. Einer ist mit altem Blut verschmiert. Der Kleinmann scheint verletzt. Ich bin erleichtert: Ihr Blut hat dieselbe Farbe wie das unsrige.

Das Gesicht des anderen Fremdlings kann ich nicht sehen. Er liegt mit dem Kopf im Tang des Meeres. Aber wenn ich den Körper mit meinen Augen beschreite, so ähnelt er den Kleinfrauen, wie sie auch in unserem Stamm leben.

Der Kleinmann hat die Kleinfrau fast erreicht, da bricht er mit einem Mal zusammen und bleibt regungslos liegen.

Wie der Dolchzahn verharre ich zwischen den Binsen. Vielleicht hat uns der Kleinmann längst bemerkt und will uns in falscher Ruhe wiegen. Aber die beiden Fremden regen sich nicht. Ihr Atem strömt langsam wie bei Schlafenden.

Das Zeichen, das Shaggabug mit dem Mund gemacht hat, bedeutet Beute. Ich stimme ihm zu. Nicht der Schlangenzahn ist die Trophäe, mit der wir von unserer Hatz zurückkehren werden.

Doggerland

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