Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 20

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»Sind das Würmer? Minikrebse? Seit wann leuchten die?« Fasziniert rührt Lex mit seiner Plastikpistole im mittlerweile stiefeltiefen Wasser.

Wir sind ein paar Schritte zurück in Richtung der Steine gelaufen. Nass sind wir jetzt eh. Das hohe Sirren ist auf keinen Fall Einbildung, aber noch faszinierender sind all die bläulichen Würmchen und halb durchsichtigen Krebse, die bei jedem unserer Schritte sternförmig auseinanderzucken, sich dann aber schnell wieder zurückschlängeln.

»Biolumineszenz, Lex. Hörst du im Unterricht eigentlich nie zu? Ein Leuchten wie bei Glühwürmchen.«

»Ah.« Lex macht Handyfotos und versucht dann, ein paar der Tierchen mit der Hand herauszufischen.

»In der Tiefsee ist das ein häufiges Phänomen. Es dient zur Kommunikation, aber auch zur Abschreckung von Feinden, wenn … was ist?«

Lex hat aufgeschrien. Er reißt seine Hand zurück. Sein Ärmel ist nass.

»Hat dich was gebissen?«

»Nein, aber da war … so ein Sog.«

»Ein Sog?«

»Als würde mich etwas runterziehen.« Er schüttelt sich und streckt die Hand nochmals, aber vorsichtiger zum Wasser aus.

Sofort kräuselt sich die Oberfläche. Tropfen springen zu Lex’ Hand hoch. Die blauen Tierchen zucken wie verrückt. Das komische Sirren der Steine in unserem Rücken schwillt an.

»Mir reicht’s. Ich will hier weg!« Ich springe auf. Mein Bruder kniet zwischen den roten Dolmensteinen, seine Hand bis zum Ärmel unter Wasser. »Lex, jetzt komm schon! Was willst du denn noch …?«

»Leya!«

»Was?«

»Meine Hand. Ich kann nicht.« Er tut so, als würde sein Arm feststecken.

»Herrje, Lex Finsmann: keine Zeit für Spiele. Die Flut kommt. Wir könnten hier ertrinken.« Mit Blick auf meinen Bruder springe ich ein paar Meter von den Steinen weg.

»Nein, ernsthaft. Irgendwas zieht an mir.« Lex’ Stimme wird panisch. Verflucht, er spielt nicht.

Ich eile zurück. Das kalte Wasser peitscht unter meinen Gummistiefeln auf. Ich schmecke Salz, Regen rinnt in meine Augen und noch immer wechseln sich Donner und Blitz ab.

Das Wasser um Lex’ Arm wirbelt wie bei einem Strudel. Von allen Seiten strömt das Meer zu dem Dolmen zurück, wie zum Abfluss einer gewaltigen Badewanne. Der umgestürzte Pfeiler liegt bereits zur Hälfte unter Wasser. Und unter dem Deckstein dringt ein helles Leuchten hervor.

Was geschieht hier?

Reflexartig beuge ich mich vor, um nach Lex zu greifen. Ich bekomme seinen freien Arm zu fassen. Die Flut läuft in meine Gummistiefel, die eisigen Wellen schwappen mir bis zu den Knien, bei Lex reichen sie schon bis zum Bauch.

»Beug dich mehr zu mir!«, rufe ich gegen Wind und Wellen, gegen Blitz und Donner. Noch immer sirren die roten Steine.

»Ich kann nicht.« Lex zerrt wie ein Wilder an seinem Arm und fuchtelt mit dem anderen in meine Richtung. »Der Sog ist zu stark.« Er wirft sich in meine Richtung und bekommt meinen Nacken zu fassen.

»Wir schaffen das! Wir …« Ich erstarre. Hinter dem Dolmen schiebt sich eine große Welle heran. Im Inneren leuchtet ein hellblauer Körper auf. Ein schlangenähnlicher Körper, länger als ein Mensch.

»LEX!«

»Leya, hilf …!« Lex taucht unter, knallt mit der Stirn gegen Stein. Seine Hand rutscht von meinem Nacken, bekommt meine Haizahnkette zu fassen.

Ich lehne mich nach hinten.

Lex kommt wieder hoch, spuckt Wasser. »Ley…«

Die Kette reißt. Die Haizähne fallen zurück ins Meer.

Lex auch.

Jetzt erfasst mich der Sog ebenfalls. Er zieht an mir wie tausend Hände. Zieht mich zum Licht unter dem großen Dolmenstein.

Als ich in die kalte Nordsee sinke, ist um mich herum nichts als hellblaues Leuchten.

Doggerland

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