Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 19

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Schon will ich meinen Bruder rufen, als meine Augen etwas auffangen. Im Gesträuch des Ufers, von den Binsen nur teils verdeckt, lauert er.

Der Dolchzahn.

Mein Herz will nicht mehr gehen. Er ist kaum einen Speerwurf von Shagga entfernt. Ich bücke mich, suche einen Stein und schleudere ihn in Richtung des langzahnigen Räubers. Der Dolchzahn springt aus der Deckung, wirbelt herum, sieht mich. Schon liegt ein Pfeil auf meinem Bogen.

»Shagga, renn!«

Doch der nächtliche Räuber hetzt nicht zu mir. Er springt auch nicht zu Shagga. Er brüllt nur, schiebt sich wieder in den Schutz der Binsen zurück und pirscht langsam auf Shaggabug zu. Verflucht, der Geist in diesem Tier ist klug und bösartig.

Ich lasse meinen Bogen singen. Der Pfeil fliegt gut, aber die Sicht ist wegen der vielen Wolken vor dem Mond zu schlecht. So schlägt er zu weit entfernt vom Dolchzahn in den Seetang. Ich lege einen weiteren Pfeil auf die Sehne. Doch ich kann das Tier zwischen den zitternden Langhalmen nur noch erahnen.

Der Pfeil verschwindet in den Binsen. Kein Laut dringt über den Salzfinger. Shagga weicht langsam zurück. Er weiß, dass er dem Dolchzahn durch Rennen nicht mehr entkommen kann. Schon steht mein Bruder im Wasser.

»Shagga!« Ich schlittere zum Ufer, schlage mich durch die Binsen, rutsche im angespülten Seetang aus und brülle: »Arr, Arr, Arr!«

Die Ohren des Dolchzahns zucken, weißer Schaum rinnt aus seinem Maul, die gelben Augen bleiben auf meinen Bruder gerichtet – ein Dolchzahn lässt seine Beute niemals gehen.

Noch im Rennen lege ich meinen nächsten Pfeil auf. Er muss treffen!

Der Dolchzahn nimmt den Kopf herunter, schiebt sich in den angeschwemmten Seetang, die starken Schultern beben. Er wird springen.

Ich schieße, ohne länger zu zielen, Shagga schreit auf, stolpert zu einem großen Wurzelstück, das am Ufer auf den Wellen schaukelt. Der Dolchzahn drückt sich ab.

Der Pfeil frisst sich in den Schlamm, nur eine Handbreit von dort, wo die Kreatur soeben noch kauerte. Shagga wuchtet das Totholz mit seinem Oberkörper ins Wasser. Der Dolchzahn landet vor dem Wellensaum. Dennoch spritzt Wasser auf und der große Räuber sträubt sich. Mein Pfeil hat ihn kurz vor seinem Sprung gestört.

»Arr! ARRR!«, brülle ich nochmals, schwenke meinen Bogen über dem Kopf und stürme geradewegs auf das Tier zu. Wenn es Atem nehmen will, dann meinen und nicht Shaggabugs.

Das dunkle Himmelsmeer bringt Wasser und Windgeister eilen herbei. Shagga treibt bereits auf der Wurzel im Meer. Der Dolchzahn faucht, läuft am Ufer entlang, unschlüssig, welche Beute er reißen soll.

Das Wasser entscheidet. Dolchzähne mögen kein Wasser.

Bei den Geistern meiner Ahnen! Beim Anblick der gelben Augen in der Nacht verlässt mich der Wagemut. Mein Herz rast, mein Kopf brummt, meine Arme und Beine, sie zittern und sind schwer zugleich. Mit starken Sprüngen eilt der Dolchzahn heran. Ich schlage einen Bogen, hechte ebenfalls ins Wasser. Doch er bleibt an meiner Fährte.

Schnell überblicke ich das Ufer. An meiner Bogenhand stehen Geisterzäune. Und dort, wo der Salzfinger an die Grauberge stößt, erahne ich kleine Hütten im Feuerschein. Das Dorf der Mog’Tar?

»Weiter hinaus, Shagga!«, rufe ich, springe über Steine und Wellen. Ich hoffe, mein Bruder rutscht nicht vom Totholz. Shagga ist kein Schwimmer. Und diese Wurzel kein sorgsam geschälter Einbaum.

Schon fühle ich heißen Atem in meinem Nacken. Ist es Furcht oder der Atem des Dolchzahns?

Auf einmal … eine Untiefe, eine Senke im Sand. Ich stürze, tauche in das salzige Nass. Der Dolchzahn faucht. Ferner. Ich schwimme. Nur weg vom Ufer.

Da dröhnt die Himmelstrommel über dem Salzfinger und die Grauberge antworten mit lautem Knall. Der Dolchzahn wimmert auf. Der Regen wird stärker, der Wind nimmt zu. Ihr guten Geister, ihr kommt im rechten Moment.

Ich werfe mich herum, und auf den Rücken. Wage einen Blick zurück. Der Dolchzahn ist noch da. Er streift am nächtlichen Ufer auf und ab. Hungrig.

Die Trommel spricht erneut und lauter. Die Wolken weben dichtes Himmelswasser. Zu viel für den Dolchzahn.

»Er flieht!«, rufe ich gegen das Trommeln an.

Shaggabug hört nicht. Mit den Füßen paddelt er geradewegs auf die roten Steine inmitten des Salzfingers zu.

Ich folge. Das Wasser beißt mit eisigen Zähnen zu und umklammert meinen Atem. Der Weg zu den Steinen ist nun kürzer als der zum Ufer.

Es sind Steine, einer und einer und einer, mächtige rote Pfähle, dicker als viele zusammengeschnürte Weichholzbäume. Über den Pfahlsteinen ruht ein weiterer Fels. Irgendwie kommt mir die Färbung bekannt vor. Kann es sein, dass die Steinklinge im Rotspeer meines Vaters aus derselben Erde geboren wurde?

Und wer schichtete diese Steine auf? Waren es die Mog’Tar? Ein Grab kann es nicht sein, denn Knochentrinker betten ihre Atemlosen nicht unter Steinen und in die kalte Erde. Zudem stehen diese Steine im tiefen Wasser.

Plötzlich rennt der Weißspeer über das Himmelsmeer, die Himmelstrommel folgt dröhnend und die Grauberge erzittern.

Und Shagga stürzt ins Wasser.

Im grellen Schein des Weißspeers sehe ich es kurz: Da ist etwas im dunklen Wasser. Zwischen den Steinen. Etwas Großes. Und es glimmt blau.

Doggerland

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