Читать книгу Doggerland - Daniel Bleckmann - Страница 16

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Unsere Gummistiefel schmatzen im Watt. Irre ruhig hier draußen. Nur ein paar Vögel und der Wind, der in den Ohren saust. Die Sonne geht langsam unter und malt schöne Farben in den Himmel, der Vollmond ist schon zu sehen; volle HD-Auflösung.

Ich gucke zu meiner Schwester zurück. Sie scheint angespannt, immer wieder dreht sie sich zur Küste um. Die Kaimauer ist weit weg, die Häuser sehen verdammt klein aus. Ich muss zugeben, ich bin auch nervös. Man kennt doch diese Geschichten von Leuten, die ohne Guide hinausgelaufen sind und dann …

»Sicher, dass das der richtige Weg ist?«, ruft Leya hinter mir.

»Na ja, vom Pier aus sind wir geradeaus gelaufen. Jodi sagte doch was von knappen zwanzig Minuten, oder?«

»Ja, aber die sind lange rum. Und hast du die Wolken gesehen?« Leya deutet auf die grauen Haufen, die sich links vor die immer tiefer sinkende Sonne knubbeln.

»Jau, könnte noch mal regnen. Aber wir sind bestimmt gleich da.« Ich schaue auf mein Handy, um zu checken, wie lange wir tatsächlich schon unterwegs sind. 37 Minuten. Und kein Empfang, nicht mal Edge. Ich switche den Flugzeug-Mode an und aus. Immer noch kein Empfang. Ein komisches Gefühl drückt in meinem Magen. Vielleicht hätten wir jemandem sagen sollen, wo wir hinlaufen.

Wir gehen weiter. Der Boden ist so weich, dass unsere Fußabdrücke direkt wieder mit Wasser volllaufen. Wie in einem Videospiel. Da verschwinden die Spuren meiner Figur auch immer nach einiger Zeit. Klar, sonst wäre die Map irgendwann völlig zertrampelt.

»Lex!«

Leyas Ruf lässt mich wieder aufschauen. Oh, das habe ich mir anders vorgestellt.

Mitten im Wattenmeer, um uns herum nichts als Schlamm und Wasserrinnsale, erheben sich Baumstümpfe. Aber es sind keine Reste von Bäumen, wie sie Jodi beschrieben hat, sondern eher abgefaulte Pfähle, die zu einem Kreis in den Schlamm gerammt wurden. Die glitschigen, fast schwarzen Stümpfe reichen uns kaum ans Knie. Bis auf einen. Inmitten des Kreises.

Der Wurzelstock geht Leya bis zur Hüfte, als sie sich daneben stellt. Woah, sie ist einfach ohne zu zögern in diesen Kreis gestiefelt. Weiß sie denn nicht, dass solche Kreise magischen Ursprungs sind? Also, sein können – in einem OpenWorld-Fantasygame.

»Komm schon, Lex. Das hier ist die echte Welt«, ruft Leya mir zu.

Sie konnte also wieder meine Gedanken lesen. Verdammtes Zwillingsgen.

»Das sieht mir nicht nach Noahs Wäldern aus. Eher wie ein hölzernes Stonehenge. Quasi ein Seahenge.« Leya streicht über das rundgelutschte Holz. Jetzt sind ihre Hände schlammig. »Was meinst du, warum hat man das hier angelegt? Und wer?«

»Keine Ahnung.« Ich wage mich auch in den Kreis. Nichts passiert. Kein Kribbeln, kein Wirbeln von Nebel, kein Erscheinen von Dämonen. Langweilig.

Ich mache einen 360°-Turn. Die Grafik hier draußen ist weiterhin mega. »Dahinten, da sind noch mehr.« Ich zeige auf weitere Baumreste, die in einer Linie, aber mit größeren Abständen aus dem Schlick ragen.

»Ist das eine Wegmarkierung oder so was?«

Ich verlasse den Kreis und gehe an den ersten beiden Stümpfen vorbei. »Und das da? Dahinten am Horizont?« Ein schief liegender rostigroter Kasten. Die Konturen verschwimmen im Abendrot. Schwer, die Größe zu schätzen.

»Ich kann nichts Genaues erkennen«, sagt Leya, als sie neben mich tritt. »Könnte der Umriss eines Schiffes sein. Aber ist dahinten überhaupt Wasser?«

»Vielleicht ist es ein Container, so einer, die auf diesen fetten Schiffen transportiert werden. Ist vielleicht von Bord gestürzt.« Ich laufe an einem weiteren Stumpf vorbei. Ein weißer Krebs hockt zwischen den Wurzeln. Die Sonne steht schon verdammt weit im Westen. Wird langsam Zeit für einen Save-Point.

»Lex, lass uns zurückgehen. Das sind nicht Noahs Wälder. Wir sind viel zu weit rausgelaufen. Das Wetter schlägt um. Außerdem wird’s gleich dunkel.«

»Nur noch ein paar Meter.« Ich beschleunige meine Schritte. Ich will wissen, wohin dieser Pfad aus Baumstümpfen führt.

Doggerland

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