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Mesopotamien

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Die erste komplexe Gesellschaft entstand in Mesopotamien (heute Irak). Dieses große Tal empfängt im Sommer heiße trockene Winde aus der Sahara und Arabien und im Winter kalte trockene Winde aus Zentralasien. Nordmesopotamien bekommt im Winter genug Regen, um eine regenbasierte Landwirtschaft zu ermöglichen. Im Norden und Westen erhält das Taurusgebirge Regen im Herbst und Schnee im Winter und speist so die Flüsse Euphrat und Tigris. Der Süden Mesopotamiens erhält wenig Regen, wie die arabische und syrische Wüste im Osten, und wäre ohne die beiden Flüsse ebenfalls eine Wüste. Da ihr Wasser vom Winterregen und der Schneeschmelze im Frühjahr stammt, ist ihr höchster Pegel im April und Mai, wenn die Pflanzen reifen.

Mesopotamien ist eine Flussniederung, die sich bildete, als Euphrat und Tigris über Jahrmillionen ihren Schlamm ablagerten. Die Niederung ist extrem flach mit sehr geringem Gefälle. In der Urzeit waren die Überflutungen oft sehr zerstörerisch, und die Flussbetten verlagerten sich. Sobald die Fluten zurückgingen, mäanderten die Flüsse träge durch Marschen und Sümpfe bis zum Persischen Golf.1

In dieser Umwelt hingen alle Lebensformen von den Flüssen ab. Das Wasser war voller Fische und Wasservögel. Bevor Bauern das Land veränderten, wuchsen Schilfrohr in den Marschen, Dattelpalmen auf den natürlichen Deichen und Gräser auf dem flutbewässerten Land. Nach 9500 v. Chr. war das Klima mehrere Jahrtausende lang regnerischer als heute. Als der Meeresspiegel anstieg, überflutete der Indische Ozean das untere Tal und vergrößerte den Persischen Golf. Etwa ab 5000 v. Chr., als Jäger und Sammler, die ins Tal zogen, mit Ackerbau und Viehzucht begannen, füllten ihre Siedlungen allmählich die Ebene. In Südmesopotamien, wo der Regen für die Pflanzen nicht ausreichte, lagerten die Flüsse ihren Schlamm im unteren Tal ab und erhöhten ihr Bett über das Niveau der Ebene. Um Wasser auf ihre Felder zu bringen, schnitten Bauern Lücken in diese natürlichen Dämme und gruben kleine Kanäle. Jeden Herbst und Winter mussten Gruppen von Bauern neue Kanäle graben und den Schlamm aus den kleinen Zuflüssen entfernen. Die nahe den Flüssen gelegenen Felder produzierten Obst und Gemüse. Weiter entfernt säten die Bauern auf die Hälfte der Äcker Weizen, Gerste oder Flachs und ließen die andere Hälfte bis zum nächsten Jahr brach liegen, damit der Boden sich erholen und Tiere die Stoppeln abfressen konnten. In den nahen Wüsten und im westpersischen Zagrosgebirge, wo kein Ackerbau möglich war, züchteten nomadische Hirten Schafe und Ziegen.2

Etwa ab 4000 v. Chr. wurde das Klima trockener. Das Grasland in der Nähe Mesopotamiens trocknete so aus, dass Hirtenvölker auf der Suche nach Wasser und Gras ins Tal zogen. Die dort ansässigen Menschen siedelten sich in Städten an, vielleicht zum Schutz, weil Streitigkeiten um das wertvolle Land entbrannten. Die Konzentration von Menschen in einem Land mit fruchtbaren Böden und reichlichem Flusswasser produzierte größere Ernten, als für den Eigenbedarf der Bauern nötig war. Der Überschuss ernährte eine komplexe Gesellschaft mit religiösen und weltlichen Führern, Händlern, Schreibern, Handwerkern und Dienern. Im frühen 4. Jahrtausend waren Orte wie Uruk, Nippur, Eridu und Ur zu Großstädten mit hohen Mauern, Tempeln und Stufenpyramiden geworden, die die Ebene beherrschten. Der Handel zwischen den Städten und den entfernten Gebieten blühte.

In seinem Buch Die orientalische Despotie argumentierte der Soziologe Karl Wittfogel, frühe Bewässerungssysteme hätten eine Leitung von oben gebraucht, was zu einem despotischen „hydraulisch-bürokratischen Staat“ führte.3 Spätere Forschungen von Archäologen widerlegten seine Idee, dass nur despotische Staaten Bewässerungssysteme managen konnten. Vielmehr fanden sie heraus, dass die meisten Bewässerungsanlagen von Dorfgemeinschaften gebaut und gepflegt wurden, denn um neue Kanäle zu graben, alte von Schlamm und Vegetation zu reinigen und Dämme instand zu halten, war eine gemeinschaftliche Anstrengung nötig. Die Landwirtschaft erforderte ganzjährige Arbeit, denn die Bewässerung in der Hitzesaison erlaubte zwei Ernten. Bauern hielten außerdem Schafe, Ziegen und Schweine, später auch Rinder und Esel.

Im 4. Jahrtausend, als sie das Pflügen mit Ochsen gelernt hatten, konnten sie viel größere Felder bebauen als mit Hacken und Grabstöcken. Ochsen wurden vor einen einfachen Hakenpflug oder Ard gespannt, der für das weiche Schwemmland Mesopotamiens und anderer Flusstäler geeignet war. Ein Anteil der Ernte wurde von politischen oder religiösen Administratoren eingesammelt, in den Speichern der Tempel gelagert und zur Bezahlung der Bauern benutzt, die an der Instandhaltung der Kanäle und Deiche arbeiteten. Hierbei begannen die Priester und Beamten, Aufzeichnungen über Einsammlung, Zahlungen, Schulden und Besitz zu machen; die ersten Schriften entwickelten sich aus solchen Registern.4 An diesem Punkt, als die Namen von Städten, Herrschern, Göttern und Kriegen für die Nachwelt aufgeschrieben wurden, wurde aus der Vorgeschichte Geschichte. Für die meisten Bewohner hing das Leben aber weiterhin vom Land, vom Wetter und ihren Pflanzen und Tieren ab – also von ihrer Umwelt.

Die mesopotamische Landwirtschaft war produktiv, aber nicht nachhaltig, denn sie war anfällig gegenüber langen Trockenzeiten. Gegen Ende des 3. Jahrtausends v. Chr. wurde das Klima des Nahen Ostens und Nordafrikas über 300 Jahre lang wüstenhaft, vielleicht wegen eines Vulkanausbruchs. Nordmesopotamien war von einer dicken Staubschicht bedeckt, die der Wind aus den nahen Wüsten getragen hatte. Weizen und Gerste gingen ein, Schafe und Ziegen starben. Die Menschen verließen die Region und wanderten nach Süden, wo sie die Getreidereserven erschöpften und politisches Chaos verursachten. Als die Umweltbedingungen sich verschlechterten, brach das Königreich Akkad zusammen, der erste Staat, der ganz Mesopotamien vom Oberlauf des Euphrat und Tigris bis zum Persischen Golf regiert hatte.5

Die mesopotamische Umwelt war auch empfindlich gegenüber menschlicher Ausnutzung. Euphrat und Tigris führten nicht nur Wasser und Schlamm, sondern auch Salze aus den Felsen der Gebirge, wo sie entsprangen. Vor dem Aufstieg der Städte hatten Bauern durch praktisches Probieren über Tausende von Jahren gelernt, wie zu verhindern war, dass das Salz ihre Pflanzen schädigte. Ihr Rezept war, die Hälfte der Felder jedes Jahr brach liegen zu lassen. Shok und Agul, zwei Pflanzen, die auf dem Brachland wuchsen, zogen das Salz aus der Wurzelzone der Pflanzen und machten das Land für das kommende Jahr fruchtbarer.

Sobald die Städte wuchsen, forderten aber ihre Führer, die mehr Einnahmen wollten, die Bauern sollten jährlich anbauen. Sie konnten nun nicht länger das Salz kontrollieren, indem sie zwischen Anbau und Brache wechselten. Durch die Bewässerung erhöhten die Bauern den Wasserpegel in Südmesopotamien auf 50 Zentimeter unter der Erde. Der Kapillareffekt hob das leicht brackige Wasser unter der Oberfläche auf das Niveau der Pflanzenwurzeln. In der Zeit der Ur III-Dynastie (2400–1700 v. Chr.) brachte ein neuer Kanal, der Euphrat und Tigris verband, reichlich Wasser nach Südmesopotamien, was zur Überbewässerung und zum Anstieg des Grundwassers führte. Wegen der Versalzung der Felder mussten Bauern den salzempfindlichen Weizen durch die salztolerantere Gerste ersetzen. Die Erträge gingen zurück, 2400 v. Chr. lagen sie bei durchschnittlich 2357 Litern pro Hektar, 1700 v. Chr. nur noch bei 897 Litern. Als die Versalzung den Boden in Südmesopotamien unproduktiver machte, wurden Sumer und Akkad vom nördlich gelegenen Babylon in den Schatten gestellt, und später erlitt Babylon durch die Assyrer und Perser dasselbe Schicksal.6

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