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Zentralmexiko

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In Zentralmexiko lieferten nicht Flüsse, sondern Quellen und Seen die ökologische Grundlage der Zivilisation. Regen fällt in dieser Region unregelmäßig und meist im Gebirge. Schon die ersten Bauern verstanden, dass Wasserkontrolle notwendig war, und die Dämme und Terrassen, die sie im Tehuacán- und Oaxaca-Tal bauten, um Quellwasser aufzufangen, gingen den Städten und Regierungen um Hunderte Jahre voraus.

Im von Bergen umgebenen Tal von Mexiko erfanden die Bauern eine einzigartige Form des Felds namens Chinampa. Im Sommer und Frühherbst bedeckte der abfließende Regen ein Viertel des Tals (rund 1000 Quadratkilometer) mit einer seichten Wasserfläche. Von Oktober bis Mai, wenn wenig Regen fiel, schrumpfte das Wasser auf fünf Seen zusammen: Zumpango und Xaltocan im Norden, Texcoco im Zentrum und Xochimilco und Chalco im Süden.26 In den flachen Teilen der Seen legten die Bauern 100 Meter lange und 5–10 Meter breite Felder an, die auf drei oder vier Seiten von Wasser umgeben waren. Zu diesem Zweck ernteten sie die dicke schwimmende Vegetation der sumpfigen Seeabschnitte und schichteten sie zwischen Kanälen rechteckig auf. Zu dieser Vegetation fügten sie Schlamm vom Grund der Kanäle, Abfälle und menschlichen Dung hinzu. Um das Ganze zusammenzuhalten, umgaben sie die Äcker mit Pfosten und Weinranken oder Zweigen und pflanzten Weiden entlang der Begrenzungen. Hierdurch konnten sie die Nährstoffe des Tals zu fast 100 Prozent recyceln. Mais pflanzten sie direkt im Schlamm, andere Pflanzen wie Amaranth, Chilischoten, Tomaten, Bohnen und Blumen zogen sie erst in Beeten und setzten sie dann auf die Felder um. Da der Boden nur einen Meter über den umgebenden Kanälen lag, holten die Pflanzen sich in der nassen Jahreszeit ihr Wasser durch den Kapillareffekt selbst; in den trockenen Monaten bewässerten die Bauern sie von Hand. Das Wasser milderte auch die Temperatur der Chinampas und wirkte Frost wie Überhitzung entgegen. In den Kanälen lebten nicht nur viele Fische, Schildkröten und Wasservögel, sondern sie erlaubten es den Indianern auch, mit dem Kanu zu reisen und Waren zu transportieren, denn sie besaßen weder Lasttiere noch Wagen mit Rädern.

Die Chinampas instand zu halten und die Äcker – oder eher die Gärten – zu bebauen, nahm das ganze Jahr in Anspruch. Obwohl die Chinampas nur eine begrenzte Fläche einnahmen, auf ihrem Höhepunkt 1519 waren es 120 Quadratkilometer, hatten sie die weltweit höchste Produktivität pro Hektar. Bauern konnten drei bis vier Ernten pro Jahr erzielen, manchmal sogar sieben, und zwei davon waren Mais. Ein Hektar Chinampa ernährte bis zu fünfzehn Menschen, ein Hektar Land in China nur drei.27

Die erste Kultur Zentralmexikos war die von Teotihuacán, eine für ihre vielen Pyramiden und prunkvollen Wohnbezirke berühmte Stadt, die um 300 v. Chr. entstand und ihren Höhepunkt zwischen 100 und 650 n. Chr. erlebte. In der Mitte des 1. Jahrtausends zählte Teotihuacán bis zu 100 000 Einwohner und war damit eine der größten Städte jener Zeit. Dorthin flossen Handelswaren und Tribute sogar bis aus Mittelamerika und Nordmexiko. Teotihuacán bekam Nahrungsmittel von Feldern im nahen Schwemmland, die von Quellen und Kanälen bewässert wurden. In den Überschwemmungsgebieten der Ebene gruben die Bauern Entwässerungsgräben. Saisonale Fluten wurden durch Dämme festgehalten, um das Gebirgsvorland zu bewässern. Der Fluss San Juan wurde als Kanal durch das Stadtzentrum geführt und versorgte die Einwohner mit Wasser.28

Die Bevölkerung von Teotihuacán und der Handel mit anderen Teilen Mittelamerikas ging nach 600 zurück. Skelette der Bewohner zeigen Wachstumshemmungen und eine hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit, die auf Unterernährung hindeutet.29 Um 700 brannten das Stadtzentrum und die reicheren Viertel nieder. Was diese Zerstörung verursachte, weiß man nicht. Vielleicht hatte das Abholzen der nahen Wälder zur Verschlammung und Erosion des Ackerlands geführt, oder eine Dürre ruinierte die Landwirtschaft der Region, was zu einem Aufstand oder einer Invasion führte. In jedem Fall stellt der Untergang dieser einstmals so großen Stadt eine Parallele zu den Maya-Städten des Südens dar.30

1325 siedelten sich die Azteken, ein kleiner Stamm aus dem Norden, auf einer Insel in der Mitte des Texcoco-Sees an und gründeten die Stadt Tenochtitlán. Um die Einwohner und Soldaten zu ernähren, dehnten sie die Praxis der Chinampa-Landwirtschaft auf neue Teile des Sees aus. Sie bauten zwei Doppelaquädukte, um die Stadt mit Frischwasser zu versorgen. Weil ein Großteil des Seewassers brackig war, konstruierten sie ein raffiniertes System von Deichen und Schleusen zum Schutz der Chinampas nahe der Stadt, besonders den Nezahualcoyotl-Deich, der die Frischwasserlagune von den brackigen Teilen des Sees im Osten trennte. Durch diese Ingenieurs- und Arbeitsleistung wuchs die Aztekenhauptstadt auf über 150 000 Menschen an, größer und reicher als jede europäische Stadt ihrer Zeit bis auf das osmanische Istanbul. Bald wurde den Azteken ihr Siedlungsgebiet am See zu klein. Mit ihrer militärischen Macht wuchs auch das Gebiet, das sie beherrschten. Anfang des 16. Jahrhunderts beherrschten sie Zentralmexiko vom Atlantik zum Pazifik und erhielten Tribut von verbündeten und unterworfenen Völkern. So wurden sie neben der Chinampa-Landwirtschaft auch von der regenbewässerten abhängig.31

Macht euch die Erde untertan

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