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Die Westküste Südamerikas

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Die Anden liegen am Westrand Südamerikas und teilen die Region in vier deutlich unterschiedene Lebensräume. Östlich der Berge erstreckt sich Amazonien, ein riesiges und relativ flaches Gebiet, das 90 Prozent des Regens bekommt, den Winde vom Atlantik bringen, womit es der größte Regenwald der Welt ist. Die Anden bilden zwei Gebirgszüge, die Cordillera Blanca (Weiße Kordillere) im Osten und die Cordillera Negra (Schwarze Kordillere), zwischen denen sich als dritter Lebensraum der Altiplano befindet, eine trockene Hochebene mit schlechten Böden. Das Hochgebirge wirft über ihre westlichen Hänge einen Regenschatten. Der wenige Regen, der die beiden Kordilleren überquert, speist 60 kurze Flüsse, die sich in den Pazifik ergießen. Entlang des Ozeans liegt als vierter Lebensraum die Atacamawüste, ein schmaler Festlandsockel, auf dem nur 30 Millimeter Regen jährlich fallen und in manchen Jahren sogar gar keiner, was sie zu einer der trockensten Regionen der Welt macht.

Das Terrain ist nicht nur unwegsam und das Klima rau, sondern die Region leidet auch unter häufigen Erdbeben, Dürren und Überflutungen. Da die Südamerikanische Platte gegen die Nazca-Platte unter dem Pazifik stößt, erleben die Anden mindestens ein Erdbeben mit Stärke sieben pro Jahrzehnt. Eiskerne aus den Gletschern der Anden zeigen, dass es in den Jahren 534–540, 563–594, 636–645 und besonders 1245–1310 schwere Dürren gab.19

Für die frühen Siedler enthielt die Region aber eine Quelle großen Wohlstands. In den meisten Jahren bringt der nährstoffreiche Humboldt-Strom kaltes Wasser aus der Antarktis an die Küsten Chiles und Perus, das voller Anchovis ist, die andere Fische, Meeressäugetiere, Seevögel und Menschen ernähren. Die ersten Siedler waren Fischer, die zwischen 2500 und 1800 v. Chr. Dörfer und kleine Kultstätten nahe der Küste bauten. Sie mahlten Anchovis zu Fischmehl, das sich lange aufheben ließ. Später siedelten sich Bauern entlang jener Flüsse an, die aus den Anden herabflossen. Sie gruben kurze Bewässerungskanäle, düngten ihre Felder mit Asche, Dung und Guano und pflanzten Mais, Bohnen, Baumwolle, Maniok und Süßkartoffeln. Diese beiden Gemeinschaften ergänzten einander und tauschten Fischprotein, Salz und Algen gegen Gemüse, Baumwollstoffe und Fischernetze.

Ihre Lebensgrundlage hing aber von einem gefährlichen Wetterphänomen ab. Mehrmals in jedem Jahrhundert wird die Region von El Niño getroffen, einer Klimaumkehrung, bei der warmes Wasser und Westwinde das kalte Wasser des Humboldt-Stroms ablösen und Starkregen und Überflutungen für die Wüsten an der Küste bringen. Wenn das Wasser warm wird, ziehen die Fische in tiefere, kältere Gewässer. Springfluten verursachen Erdrutsche, die Felder und Bewässerungsanlagen zerstören. Winde wehen Sanddünen von der Küste ins Inland, wo sie Dörfer begraben und die Bewohner zur Flucht auf höheres Terrain zwingen.20

In dieser schwierigen und risikoreichen Umwelt entstanden die ersten Kulturen Südamerikas. Die frühesten Spuren von Ackerbau und Bewässerung in der Neuen Welt stammen aus der Mitte des 5. Jahrtausends v. Chr. Hier entwickelte sich aus einer jungsteinzeitlichen Kultur die erste hierarchische Sozialorganisation, die Norte-Chico-Kultur, die zwischen 3000 und 1800 v. Chr. blühte, gefolgt von der Cupinisque- (1500–1000 v. Chr.) und der Paracas-Kultur (600–175 v. Chr.), die mit dem Maisanbau und der Keramikherstellung begannen.21 Um 100 n. Chr. dehnte ein mächtiger Staat im Moche-Tal seine Macht auf die benachbarten Täler der Flüsse Lambayeque (oder Chancai), Jequetepeque und Santa aus. Das Moche-Volk war sehr geschickt in Bewässerungstechnik und baute mit Stein ausgekleidete Kanäle, Tunnel und Aquädukte, die zum Teil benachbarte Flüsse verbanden. Für ihre Herrscher bauten sie Paläste auf Pyramiden aus Lehmziegeln. Diese waren offensichtlich mächtige Männer, welche die Bewässerung und die Nahrungsversorgung kontrollierten.

Ihre komplexe Gesellschaft war aber anfällig für Naturkatastrophen. Das Fließen der Ströme variierte nach Jahreszeit wie auch von Jahr zu Jahr; nur wenige führten ständig Wasser. Wenn Flüsse austrockneten, überlebten die Bauern, indem sie Senkgärten gruben, die näher am Grundwasser waren. Zwischen 563 und 594, als das Innere des Landes eine lange Dürre erlebte, wurden die Täler des Moche und des Jequetepeque von El Niños getroffen, die große Überflutungen verursachten. Außerdem veränderte ein starkes Erdbeben den Lauf des Moche, zerstörte einen Teil der Städte, Äcker und Bewässerungskanäle und trieb die Bewohner zur Flucht. Die Moche-Kultur erholte sich nie wieder davon.22

Nach 850 trat eine neue Kultur, die Chimú, an die Stelle der Moche. Ihre Hauptstadt Chan Chan war mit einer Viertelmillion Einwohner größer als alle früheren in Südamerika. Das Reich der Chimú war auch mächtiger als sein Vorgänger und kontrollierte zwölf Flusstäler mit 50 000 Hektar Ackerland. Hier säten Bauern zwei- bis dreimal im Jahr mit Hacken und Grabstöcken. Ihre Anführer waren engagiertere Baumeister als die Moche und bauten über 400 Kilometer Kanäle, stets mit Zwangsarbeitern. Wegen ihrer überlegenen technischen Fähigkeiten überstanden sie Naturkatastrophen besser als frühere Kulturen.23

Macht euch die Erde untertan

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