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Kapitel 6

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Wie geplant, machte ich mich am nächsten Morgen auf den Weg zum Hauptbahnhof. Ebermann hatte mir verboten, während der Bearbeitungszeit des Artikels, auch nur einmal die Redaktion zu betreten. Er wolle nicht, dass Rückschlüsse gezogen werden.

Da ich zwei Stunden später als normal aus dem Haus gegangen war, hielt sich auch das Benutzeraufkommen der U-Bahn in Grenzen. Ich erhaschte zwar keinen Sitzplatz, erlebte aber auch nicht die Konfrontation mit einer ungepflegten Achselhöhle. Sage mir einer den Zweck, warum der Mensch dort stinkt.

Einen Plan habe ich mir bereits zurechtgelegt. Zunächst würde ich mich mal am Hauptbahnhof umsehen, anschliessend hatte ich einen Termin bei der Stadt vereinbart, um mich über die Arbeit dieser Streetworker zu informieren. Zuständig für die Angelegenheit war das Kreisverwaltungsreferat an der Rupperstrasse.

Am Nachmittag wollte ich mal bei Angelika vorbeischauen, vielleicht kann sie mir als Gegenleistung zu einem Kaffee eine neue Frisur verpassen.

Aber das ist ja noch weit weg.

Am Hauptbahnhof entstieg ich der U-Bahn und hielt mich an den Wänden dieser Verbindungstunnels. Überall sassen Bettler am Boden und hielten ihre selbstgebastelten Pappschilder hoch. Die Leier war immer dieselbe, entweder ist das Kind todkrank, man war im Krieg geschädigt oder die Frau hat ihn sitzen gelassen. Wem diese Schicksale widerfahren sind, gebührt ehrliches Mitleid, doch wer dies erfindet, nur um Geld zu holen, der sollte Schande über sich ergehen lassen.

Dummerweise lassen sich die Unterschiede nicht auf den ersten Blick erkennen. Da man als Passant wohl kaum auf die Drogengeschäfte aufmerksam wird, muss ich doch wohl oder übel als verdeckter Journalist in die Szene eintauchen.

In der Haupthalle dasselbe Bild. Abseits der hastenden Menge, begleitet vom Duft der zahlreichen Frittenbuden und dem Klang der Lautsprecherdurchsagen, wieder dasselbe Bild wie in der unteren Ebene.

Wollte ich hier einen Dealer ausmachen, hätte ich eher Polizist samt dieser Flughafenzoll-Gesichtsmerkmalerkennungsdingsbums-Ausbildung machen müssen. Da nützt mir mein tägliches Fingermalträtieren auf der Computertastatur einen feuchten Kehricht, um es mal abweichend von meinen Gewohnheiten nicht in primitiver und ebenso vulgärer Fäkaliensprache auszudrücken.

„Haste mal ’nen Euro, Bro?”, sprach mich einer der Obdachlosen an.

Ich überlegte mir, zunächst nein zu sagen, entschied mich dann angesichts eines möglichen Wiedererkennens während der Ausübung der mir von Ebermann übertragenen Tätigkeit um und drückte ihm die Münze in die mit löchrigen Handschuhen überzogenen Hände.

Das Gespräch beim KVR brachte mir kaum neue Erkenntnisse. Die nette Dame erzählte mir von den Streetworkern, welche mit diversen Projekten versuchten, einerseits den Drogensüchtigen einen Silberstreifen am Horizont zu ermöglichen, andererseits aber auch die Plätze von ihnen zu säubern.

Nach dreissig Sekunden ihrer in monotoner piepsiger Stimmlage gehaltenen Ausführung hörte ich nur noch mit halbem Ohr hin.

Immerhin wurden auch Anlaufstellen für Suchtproblembehaftete eingerichtet, wie das bereits auf dem Strich der Fall war.

Kontrollierte Rauschmittelabgaben sollen das Verlangen nach illegalen Aktivitäten reduzieren. Die Dunkelziffer der illegalen Deals innerhalb der Stadtgrenzen werde enorm sein, wurde mir dort mitgeteilt.

Nach dem Termin beim KVR liess ich mich per Taxi auf geradem Wege zum Englischen Garten chauffieren, denn die Sonne zeigte sich immer noch von der besten Seite und ich wollte noch ein wenig Parkluft schnappen, ohne dass mir schiefe Blicke zugeworfen werden.

Den ganzen Nachmittag schlenderte ich durch die Wege und setzte mich auf die eine oder andere Sitzbank, betrachtete ein wenig neidisch die Pärchen, denn so ein Glück wünschte ich mir auch. Stattdessen rannte ich seit ich im Arabellapark eingezogen bin, einem ehrlich gesagt, unerreichbaren Traum namens Angelika nach und versperrte stattdessen meine Augen vor anderen Frauen.

Auch da musste ich eine Lösung finden.

Wieso kann ich kein unbeschwehrliches Leben führen, wie gefühlte neunzig Prozent meiner Mitmenschen?

Oder verdrängten diese ihre Sorgen etwa?

Am Abend hatte ich meinen Mut wiedergefunden.

Der Tag war hart, die Begegnungen mit diesen Obdachlosen zollten ihren Tribut.

In jedem einen potenziellen Junkie zu sehen, missfiel zwar meiner moralischen Ansicht, jedoch war es wohl die traurige Wahrheit, dass sie ihr erbetteltes oder (musikalisch) erspieltes Geld am liebsten in Alkohol und Zigaretten ummünzten, wenn nicht gar in härteres und illegaleres Zeug.

Armer Kerl, wenn du wirklich deine Familie ernähren musste und keine andere Möglichkeit sahest, als auf die Strasse zu gehen.

Schnell, um ja nicht nochmals die Möglichkeit eines Rückzuges in Betracht zu ziehen, verliess ich meine Wohnung, um ein Geschoss höher zu hasten. Freilich hatte ich mir Mut angetrunken, welchen Zweck hatte wohl mein Schnapsschrank sonst noch?

Nun gut, ein paar gäbe es da schon:

Liebeskummer.

Bekämpfung von Frust.

Das Erreichen der Schwelle zum Glücklichsein.

Getäuscht

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