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Kapitel 8
ОглавлениеNun war es soweit, nun galt es ernst.
Heute morgen war ich bei Angelika im Salon gewesen. Der gestrige Abend war noch ganz okay verlaufen, ich kam zwar keinen Schritt näher, leistete mir aber auch keine Peinlichkeiten. Auf Alkohol verzichteten wir, um zehn lagen wir beide in den Federn. In getrennten Betten natürlich – brauchte ich wohl kaum hinzuzufügen.
Heute suchte ich ihren Salon zum vereinbarten Termin auf und liess sie satte zwei Stunden an ihrem Kunstwerk herumwerkeln.
Wenn ich in den Spiegel blickte, erkannte ich mich selbst nicht mehr wieder. Sie verpasste mir irokesenähnliche Strähnen, welche wild in alle Richtungen von meinem Kopf abstanden. Dazu tauschte sie meine nahezu schwarze Haarfarbe, bisher in der bravsten nur möglichen Frisur gehalten, in ein knalliges Giftgrün, versetzt mit hellblauen Spitzen.
Ich sah aus wie ein Feuerwerk. Aber es gefiel mir.
Im Normalfalle würde ich um so einen Typen einen möglichst grossen Bogen machen, nun war ich selbst einer von ihnen.
Auch bei den Klamotten konnte mir Angelika weiterhelfen, eine gute Freundin von ihr besass einen Second-Hand-Laden am Orleansplatz, früher auch einer der Hotspots der Münchner Drogenszene, dementsprechend war damals auch ihre Kundschaft. Dass sie nach den Interventionen der Stadt nicht pleite ging, ist vor allem ihrem Mitinhaber zu verdanken, welcher ein ausgezeichnetes Genie in Sachen Marketing ist und den Laden kurzerhand in einen Szenetreffpunkt umwandelte. Dementsprechend wurden auch die Preise angepasst, aber Angelika legte ein sehr gutes Wort für mich ein.
Mein Look war dem Punkstil angepasst, das Sex-Pistols-T-Shirt war nur das Tüpfelchen auf dem klischeehaften i, welches mein Ziel nur unterstreicht.
Ein wenig nervös war ich schon, als ich am Hauptbahnhof die U-Bahn verliess. Ein wenig mulmig war mir während der Fahrt schon zu Mute, denn plötzlich wurde ich mit diesen komischen und missbilligenden Blicken bedacht, welche für die Obdachlosen und Randständigen unserer Gesellschaft trister Alltag sind.
Hinter allen Ecken wurde über den Punk in der U-Bahn gelästert, man äusserte sich entsetzt, dass so einer frei herumlaufen könne, er solle sich doch eine Arbeitsstelle suchen, denn so hätte man sich schliesslich auch seine Sporen abverdient.
Sobald man nicht so wie alle anderen war, hatte man es schwer.
Als Vorbereitung hatte ich mir sogar noch ein Pappschild gebastelt, auf welchem ich um Geld bat. Ich war übrigens einer der Fieslinge und erfand eine Augenoperation für mein blindes Kind.
Um mein schlechtes Gewissen zu beruhigen, beschloss ich, am Ende meines Abstechers in der Szene das gesammelte Geld einer Blindenmission zu spenden.
Während der Fahrt, als ich versuchte, die Blicke und Kommentare zu ignorieren und mir immer gut zuredete, dass ich dies nur für meine Arbeit mache und dies eine Leitersprosse auf dem Weg in die Redaktion der Süddeutschen war, machte ich mir noch Gedanken, wie ich vorgehen will.
Den Bahnsteig verliess ich auf einer der grossen Rolltreppen. In der Ferne hörte man noch das Rattern des wegfahrenden Zuges im Tunnel.
Ich beschloss, mich ganz unbeholfen an den erstbesten Penner, äh entschuldige, Bettler zu halten, der meinen Weg kreuzt.
„Wo darf ich mich hinstellen?”
Ich könnte mich nach dem Aussprechen für diese Frage selbst ohrfeigen.
Echt jetzt, Patrick, ist dir nichts Besseres eingefallen?
Der Angesprochene schaute mich mit finsterem Blick an und wies mit seiner Kartontafel an die Mauer.
„Such den Chef!”, bellte er.
„Wer ist das?”
„Der, der links nur einen Arm hat!”
Ach so ein toller Witz!
Haste wohl zu viele Lachgummis gegessen?
Als er merkte, dass ich über seinen echt bescheuerten Witz keinen Lacher verschwendete, spuckte er verächtlich auf den Boden.
„Kannst dich hier hinsetzen! Aber grab mir ja nicht meine Stammkunden ab!”
Die Antwort war etwa so freundlich wie sein Blick. Der Typ roch, als hätte er zum Frühstück Kuhscheisse gegessen. Der Duft der Verbindungswege im Münchner Hauptbahnhof.
Toller Empfang fürs Erste!
Ich stellte meine Gelddose und das Pappschild auf den Boden, setzte mich im Schneidersitz an die mit beigefarbenen Kacheln versetzte Wand und wartete.
Ich wartete und wartete. Was tat ich hier bloss?
Würde ich jemandem meine Geschichte erzählen, würde dieser Jemand mich wohl unverzüglich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Da klang wohl für einen genialen Physiker wie Stephen Hawking beispielweise die Schöpfungsgeschichte des Alten Testaments noch plausibler als mein Ausflug in die Tiefen des Hauptbahnhofes.
Das versprach, hier ein ganz toller Tag zu werden. Ich konnte ja nicht meine Bekanntschaft einfach so ansprechen und fragen, wo ich denn hier an den nächsten Joint komme.
Der würde mir gleich meine Fresse polieren.