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Kapitel 10

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Das Münchner Kommissariat quoll aus allen Nähten. Da der bayrische Landtag mithilfe der Stadt dem Polizeipräsidium München den Rotstift aufgesetzt hatte, wurden zwei der fünf Etagen geräumt und fremdvermietet, die Belegschaft jedoch nicht reduziert.

Seither wurde um jeden Arbeitsplatz mit Ellenbogen gekämpft.

Kommissar Wolfgang Ehrat räumte wütend einen Stapel Aktenordner weg, welcher sein Nachbar, der ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf die Pelle rückte, auf seinem Tisch deponiert hatte.

Auf Geheiss des Innenministeriums wurde ihm vor einem Monat die Leitung des Drogendezernats übertragen. Seine aktuelle Aufgabe war, den aktuell mächtigsten Drogenring Münchens zu zerschlagen. Nebenbei war er noch Abteilungsleiter der Abteilung K12 der Kriminalpolizei, welche sich mit Tötungsdelikten befasst. Ehrat hatte auf den ersten Blick nichts mit dem knuddeligen Dorfpolizisten aus bayrischen Heimatfilmen gemeinsam, er verfolgte eine klare, aber faire Linie. Sein oberstes Credo war die Gerechtigkeit und er legte all seine Energie in den Kampf für diese, wobei er bei seinen Vorgesetzten nicht gerade immer auf Wohlwollen stiess.

Er kramte die notwendigen Unterlagen aus seinen Schubladen zusammen und hastete quer durch den Flur ins Sitzungszimmer, wo bereits Kollegen und Vorgesetzte warteten, auch die werte Frau Innenministerin Renate Fischer hatte den Weg ins Kommissariat gefunden. Seit Ehrats Amtsantritt waren die beiden auf Kriegsfuss, er, der sozialliberal geprägte Freigeist aus der Stadt, sie die konservative CSU-Stammwählerin aus einem Bauernkaff Niederbayerns, dessen Namen Ehrat längst wieder vergessen hatte.

„Guten Tag, entschuldigen Sie die Verspätung, wir haben leider logistische Probleme!”, lächelte Ehrat, als er sein Notebook am Beamer anschloss. Auf einen Seitenhieb gegenüber der Politik über die Gründe verzichtete er und fuhr stattdessen seine PowerPoint-Präsentation hoch.

Die erste Folie blitzte auf der Leinwand hinter Ehrat auf, der sogleich zur Seite trat.

„Die Inspektionen am Hauptbahnhof und am Sendlinger Tor brachten keine nennenswerten Ergebnisse, Zeugenaussagen über Deals werden zur Zeit auf ihre Richtigkeit überprüft”, begann er seine Erläuterungen.

„Kommissar Ehrat. Das Innenministerium stellt Ihnen nicht zum Spass Unmengen an Geld zur Verfügung!”, fiel ihm die Ministerin ins Wort. „Wie soll ich das den Menschen, die ihr Vertrauen in mich als ihre Landtagsabgeordnete gesetzt haben, nur schonend beibringen, dass ihre Steuergelder sinnlos verpulvert werden?”

„Frau Innenministerin. Wenn ich mir die Bemerkung nicht verkneifen darf, habt ihr drüben in Maximilianeum schon sinnlosere Entscheidungen gefällt. Ob jetzt ein falsches Wahlversprechen mehr oder weniger spielt ohnehin keine Rolle. Wenn ich jetzt fortfahren darf?” Ehrat verdrehte die Augen. Diese Frau raubt ihm noch den Wahnsinn.

„Wenn ich bitten darf!”, entgegnete Fischer leicht pikiert.

„Im vergangenen Jahr wurden in Obersendling und Schwabing zwei Drogenlabors ausgehoben. Die während der Durchsuchung beschlagnahmten Dokumenten hatten eine Gemeinsamkeit. Beide beinhalteten den Namen Johannes Stelzer”

Ein Raunen ging durch die Anwesenden.

Ehrat drückte auf die Fernbedienung seines Notebooks. Die Folie wechselte. Ein Mittdreissiger auf einer Party, flankiert von voll(falsch)busigen Frauen, erschien.

„Den Namen sollten Sie ja kennen. Stelzer, der Playboy vom Dienst, keine Party ohne ihn, Stammgast in der Boulevardpresse. Das Problem ist nur...”

Folienwechsel, die Fassade eines Hotels wurde gezeigt.

„... Stelzer stürzte vergangenen August an der Platja de Palma in den Tod. Die mallorquinische Polizei geht von Selbstmord aus, die Akte ist geschlossen”

„Wurde Mord in Betrachtung gezogen?”, stellte jemand im Raum die Frage. Ehrats Augen suchten nach dem Fragesteller. Er identifizierte den Fragesteller als eine junge Frau, auf den ersten Blick halb so alt wie er.

„Wie ist ihr Name, Gnädigste?”, fragte er.

„Lena Greier”, antwortete sie. „Ich bin aber nicht ihre Gnädigste, Herr Kommissar!”

Die angehängte Bemerkung nickte er weg. Spitzfindig seien sie, die Damen der heutigen Zeit.

„Frau Greier. Sind Sie mit den südländischen Gegebenheiten vertraut? Ich denke nicht. Denn wenn ja, würden Sie wissen, dass kein Beamter in Spanien mehr arbeitet als nötig.”

„Was soll das bitteschön heissen?” Lena schaute verwirrt drein.

„Es gab keine Anzeichen auf Streit, Stelzer war alleine im Zimmer, ergo war der Fakt für die örtlichen Behörden klar: Selbstmord”

„Was machte dieser Stelzer auf Mallorca?” Die Frage gehörte einem älteren Herrn, Ehrat war ihm nur einmal auf dem Klo begegnet. Wahrscheinlich einer, der sich mit der Partyszene nicht auskennt. Damit war er wohl der einzige, leises Lachen der restlichen Anwesenden war die Antwort auf die Frage.

„Wenn Stelzer nicht auf den Münchner Partys anzutreffen war, dann sicherlich am Ballermann. Insbesondere im Sommer!”

„Das heisst, Herr Kommissar. Den einzigen Anhaltspunkt, den wir haben, ist seit fast einem Jahr tot?”, meldete sich Fischer wieder zu Wort.

Ehrat musste sich zusammenreissen, nicht erneut die Augen zu verdrehen. Langsam gehen ihm diese Frauen auf den Geist. Zeitgleich biss er sich auf die Zunge, um keinen unüberlegten Spruch los zu lassen. Er atmete tief durch, ehe er zu einer Antwort ansetzte.

„Die bei den beiden Razzien verhafteten Damen und Herren sagten übereinstimmend aus, dass Stelzer die Produktion der Drogen betreut habe. Das Angebot war riesig, von Koks bis rüber zu Crystal Meth”

„Und wie ist Ihr nächster Schritt, Ehrat?” Kann diese Fischer mal ihre Klappe halten? Die führte sich hier ganz schön auf, die Frau Ministerin.

„Zur Zeit bilden wir hier im Präsidium eine Gruppe, welche sich mit den Kollegen aus Palma nochmals mit dem vermeintlichen Suizid Stelzers befassen soll. Es wird auch erneut vor Ort ermittelt, ein dementsprechender Antrag wurde bereits gestellt, wir erwarten noch Bescheid aus Mallorca”. Ehrat räusperte sich und nahm einen grossen Schluck aus dem Wasserglas.

„Es wird aber gearbeitet und nicht Urlaub gemacht?” Meine Güte! Jetzt platzte ihm endgültig der Kragen.

„Frau Innenministerin. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich seit Jahrzehnten mit der Polizeiarbeit vertraut. Ich finde es schon ein bisschen frech, als Quereinsteigerin hier reinzuschneien und Chefin spielen zu müssen, nur weil man jetzt einen riesigen Schreibtisch und einen ledernen Thron besitzt!”

Fischers Gesicht nahm die Farbe einer überreifen Tomate an. Sie sagte jedoch nichts.

„Danke, dass Sie alle zu diesem Briefing erschienen wird. Weitere Informationen bezüglich allfälliger Einsätze bekommen Sie per Mail zugestellt!”

Ehrat schloss die Sitzung und fuhr sein Notebook herunter.

Getäuscht

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