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Kapitel 5
ОглавлениеWütend nahm ich meine Jacke vom Haken, knallte die Tür lautstark zu, so dass es auch der schwerhörigste meiner Nachbarn mitbekommen hatte. Wenn ich Glück hatte, statteten mir die Bullen einen Besuch wegen Ruhestörung ab!
Zum Glück hatte ich Strohrum im Hause, dann würden die abgefüllt und kämen hoffentlich in eine Kontrolle ihrer Kollegen.
Über diesen Gedankengang grinsend betrat ich die Aldi-Filiale nebenan. Der einzige Vorteil dieser Kaninchenfarm ist, dass sie sich unmittelbar neben meiner Wohnung befand und auch lange geöffnet hatte, sollte ich nach einer durchzechten Nacht noch Hunger bekommen, wären die Spaghetti oder das Schnitzel nicht mehr weit.
Auch wenn ich die Spaghetti in nüchternem Zustand wohl kaum verspeisen würde und im Schnitzel garantiert alles andere drin war – ausser Fleisch.
Am Eingang warf ich einen missbilligenden Blick ich auf das Werbeplakat, wo irgendwelche Computer für 99 Euro verkauft werden – wahrscheinlich hatte Ebermann mal bei so einem Angebot zugegriffen, seine Kisten sind wahrlich für nichts zu gebrauchen. Textverarbeitung und Internetbrowser offen, schon ist der Arbeitsspeicher überlastet.
Ich ging durch die Regale oder besser gesagt, durch die auf den Paletten aufgestapelten Türme von Artikeln. Egal ob Toilettenpapier oder die gefühlte eintausend Kilometer lange Tierfutterallee, alles wurde aufgetürmt, man mag sich in den tiefen Strassenschluchten Manhattans fühlen.
Das Streben nach Höherem macht auch vor Aldi nicht halt.
Das nervigste im Laden waren allerdings diese Hausfrauen, welche möglichst billig einkaufen wollen, dafür aber alles in der Tiefgarage in ihren Porsche Cayenne würgen – Hauptsache, der fahrbare Untersatz hat Stil.
Wie dumm und einfältig unsere Gesellschaft geworden ist.
Ich schnappte mir eine Packung Nudeln und eine undefinierte Sauce, deren Bild auf der Etikette sich mit grosser Wahrscheinlichkeit heftig vom Inhalt unterscheiden wird. Erinnert mich irgendwie an Mc Donald’s, dort schauen die Burger im Karton auch nie aus wie auf den Plakaten.
Nach dem Bezahlen hastete ich wieder in meine Wohnung. Draussen hatte die Dämmerung eingesetzt, der Feierabendverkehr quälte sich in Richtung Leuchtenbergring. Einige arbeiteten im Arabellapark, andere wie ich wohnten dort. Aber solche, welche hier wohnten und ihre Brötchen verdienten, sucht man vergebens. Lieber tagtäglich in einer Blechlawine die Luft verpesten oder in der U-Bahn den Weltrekord aufzustellen, möglichst viele Menschen in einen Waggon zu quetschen.
In meinem bescheidenen Heime angekommen schmiss ich meine Schuhe in die Ecke und machte mich sogleich auf in die Küche. Die Polizei war nicht da und hat auch keinen Zettel hinterlassen, da hatte wohl der Herr Nachbar das Hörgerät abgeschaltet.
Mir kann’s nur recht sein.
Mein Magen hatte sich nun einige Male gemeldet und mir weisgemacht, dass er Inhalt bräuchte.
Gesagt, getan.
Wasser für die Nudeln aufgesetzt? Abhaken.
Und jetzt heisst es warten.
Ich setzte mich an den Küchentisch und schweifte über die Seiten des Spiegels, den ich auf dem Nachhauseweg noch im Kiosk am Stachus gekauft habe. Wie immer wird über irgendwelche politischen Angelegenheiten diskutiert. Immerhin was niveauvolles, während ich eine solch abgehalfterte Reportage über Drogenabhängige liefern muss, die ohnehin niemand liest, weil ich sie im Stil einer Seifenopfer schreiben muss. So etwa: Kind (8) wächst mit Kokain statt Puderzucker auf, Mutter (13) obdachlos. Die Bilder auf Seite 9-99. Fast schon so, wie das Seite 1-Girl der Bild, wenn es 200 Kilogramm schwer wäre.
So ein Witz.
Ich unterdrückte ein Gähnen, die Müdigkeit holte mich ein.
Ich schrak erst hoch, als ich das laute Sieden meines Wassertopfs hörte. War ich jetzt echt eingepennt?
Schnell senkte ich die Temperatur meines Kochherds und warf die Nudeln in den Topf. Jetzt dürfen sie noch ein wenig vor sich hin köcheln.
Immer bedacht, nicht wieder einzunicken, konzentrierte ich mich wieder auf das Magazin vor mir. Doch die Buchstaben flitzten irgendwie an mir vorbei, zu gross war der Bammel auf das Ungewisse, auf das, was mich erwartet.
Ich habe mir vorgenommen, morgen mal zum Hauptbahnhof zu fahren, und sich dort umzusehen. Obdachlose scheint es in der Haupthalle und bei den Zugängen zur U- und S-Bahn genügend zu haben.
Anschliessend sollte ich mir wohl eine neue Identität suchen, irgend eine Lügengeschichte über meine nicht vorhandene Kindheit auftischen – wobei, würde es einen Unterschied ausmachen, wenn ich nicht lügen würde?
Keine Ahnung.
Wer würde mir eine neue Frisur verpassen? So giftgrüne, weit abstehende Strähnen, eine Frisur wie Johnny Rotten besass?
Auf Stahlstifte, die mein Gesicht entstellen, verzichtete ich. Man wollte ja noch schliesslich attraktiv auf die Frauenwelt wirken.
Meine Gedanken trieften wieder mal voller Ironie.
Ich? Attraktiv?
Eher würde ein stinkender Misthaufen als sexy bezeichnet als der Milchbubi in Person - meine bescheidene Wenigkeit.
Ich wusste, dass Angelika Friseuse war, doch hatte ich den Mut, sie zu fragen?
Noch eine Nacht darüber schlafen.
Endlich waren die Nudeln fertig. Ich gab die Sauce bei, rührte alles ordentlich durcheinander, kümmerte mich einen Scheissdreck um die herumspritzenden Tropfen, lud die gesamte Riesenportion auf den bereitgestellten Teller und machte mich mit Heisshunger über die Teigwaren her.
Sollte ich Angelika fragen?
Wie würde sie reagieren?
Es ist ja kein Date, sondern nur die Frage, ob sie mir eine neue Frisur verpassen soll.
Diese Gedanken beschäftigten mich auch spätabends, als ich mich in meiner Decke wälzte.