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Kapitel 9
ОглавлениеDie Stunden verrannen und verrannen, oder zumindest hoffte ich dies. Immer wieder hasteten gehetzte Menschen an mir vorbei, herausgespuckt aus der U-Bahn, in der Hoffnung, den bald abfahrenden Zug noch zu erwischen.
Dumpf drangen die Lautsprecherdurchsagen aus der Haupthalle an meine Ohren. Um mir das ganze zu erleichtern, stellte ich mir gedanklich vor, gerade im Zug nach der ausgerufenen Destination zu sitzen.
Nach Zürich, nach Klagenfurt.
Nach Paris, nach Verona.
Nach Berlin oder Hamburg.
Nach Prag.
Nach Wien.
Nach Zagreb oder Budapest.
Wie klang das verlockend!
Hauptsache nur nicht in diesem Scheisshaufen hier! Aber nein, die Realität sieht ja so scheisse aus! Ich verfluchte mich und meinen Job, meine hoffnungslose Illusion einer Anstellung bei der Süddeutschen, ich hasste mich, meine teilweise vorhandene blinde Versessenheit und meinen Misserfolg beim weiblichen Geschlecht. Ich kannte Angelika seit Jahren – wenn man denn von kennen sprechen konnte – aber Maurer hatte sie innert Sekunden mehr bezaubert als ich in all den Jahren.
Gut, er stand auch nicht oberkörperfrei und mit einem offensichtlichen Ständer ihr gegenüber.
Ich beobachtete die Menschen. Manche von ihnen erbarmten sich Meiner und warfen eine Ein- oder Zwei-Cent-Münze in meine Dose. Ich überlegte, ob ich jemals einem Bettler einen Zustupf gab. Als die Antwort 'Nein' lautete (die kaufen ja eh nur Alkohol) beschloss ich, nach dem Ende dieser Aktion hier meine Meinung zu ändern, schon alleine aus der bisher gemachten Erfahrung.
Nur meiner Bekanntschaft würde ich nichts geben, dem würde ich in die Dose rotzen.
Frischverliebte Pärchen, die harmonisch und händchenhaltend an mir vorbeigingen, schon etwas länger Verliebte, die sich zankten und Rentner, welche synchron im Schneckentempo ihre Rollatoren vor sich hinschoben, konnten sich nicht meinem Blick entziehen.
Immer wieder und wieder fragte ich mich nach dem Sinn und Zweck dieser jämmerlichen Zeitverschwendung.
Mittlerweile war die abendliche Hauptverkehrszeit angebrochen. Mein Magen knurrte. Den ganzen Tag über habe ich nichts gegessen, geschweige denn getrunken. Die Stunden waren nur langsam verronnen, als ich den ganzen lieben Tag über an dieser bescheuerten Kachelwand gesessen bin und auf finanziell Gaben gewartet habe. Ausser gefühlten zweitausend abschätzigen und knapp zehn mitfühlenden Blicken der Passanten blieben mir genau noch neunzig Cent, welche ihren Weg in meine Dose gefunden hatten, als Souvenir des heutigen Tages.
Wohl müsste ich auch meine Nacht hier verbringen, wollte ich mir Authentizität verschaffen.
Verdammt!
Gerade als wieder eine Menschenmenge von der Haupthalle Richtung U-Bahn gehastet war, sprach mich mein Vollidiotenpennernachbar an.
„Willste Gras?”
Ich nickte.
Endlich eine Spur.
„Gerne”
„Musste dir selbst besorgen?”
„Wo?”
„Beim Kasper”
„Wo finde ich den?”
„Musste durchfragen!”
Sehr hilfreich, du Arschloch!
Danke auch!
„Danke für den Tipp!”, schleuderte ich ihm genervt entgegen und beschloss aufzustehen. Endlich wieder mal alle Knochen und Muskeln an den richtigen Platz bringen und ein paar Schritte zu laufen.
Ich beschloss mal, diesen Kasper aufzusuchen.
Ich machte mich auf und ging durch die Haupthalle.
Wieder diese Blicke. Als wäre ich ein Aussätziger.
Wieder das panische Festhalten von Gepäckstücken. Als wäre ich ein Dieb.
Wieder das Packen der eigenen Kinder bei der Hand. Als wäre ich ein Kinderschänder oder Kindesentführer.
Was habe ich euch getan?
Ruhig Blut Patrick, du spielst hier nur eine Rolle. Das bist nicht du selbst!
Ja du selbst würdest auch so abschätzig auf die Bettler gucken!
Halt die Fresse, Gewissen!
Beim Reisezentrum der Deutschen Bahn fand ich einer meiner so genannten Kollegen, welcher um eine Spende für die Heimreise bettelt.
E.T. lässt grüssen!
Ob er auch so traurig sei?
„He du!”, fragte ich ihn.
„Ja?”, pampte er mich an.
Ist auch einer dieser Herren freundlich zu mir?
„Wer ist der Kasper?”
„Ich du Dussel!”
Haha, kann ich das riechen?
In diesem Umfeld hat die Redewendung „ich kann dich nicht riechen” eine ganz neue Bedeutung erhalten!
„Was brauchste denn Kleiner?”
Ich? Kleiner? Wohl eher du! Selbst in der Hose!
„Gras”, sagte ich knapp. „Man hat mich zu dir geschickt!”
„Ja dann hat man dich zum Richtigen geschickt!”
Ja und weiter im Text?
„Du kannst es holen! Ich habe es versteckt!”
„Und wo ist das Versteck?” Langsam wurde ich ungeduldig.
„Im Gepäckschliessfach 131. Der Code lautet 44603. Lass dich nicht erwischen!”