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Vier Millionen tote Indianer
ОглавлениеDer australische Historiker Ben Kiernan, der an der Yale Universität in den USA lehrt, sagt richtig, dass gegen die Indianer ein »Vernichtungskrieg« geführt wurde. Kiernan geht davon aus, dass mehr als fünf Millionen Indianer nördlich vom Rio Grande lebten, als die ersten Europäer 1492 in Nordamerika landeten. Er schätzt, dass drei Jahrhunderte später, also um 1800, von diesen Indianern noch 600000 am Leben waren. Mehr als vier Millionen Indianer hatten also den Zusammenprall mit den weißen Siedlern aus Europa nicht überlebt. Die massive Gewalt gegen die Indianer sei durch den weit verbreiteten Rassismus ermöglicht worden, erklärt Historiker Kiernan richtig, in dem eine Gruppe von Menschen sich eine Welt wünsche, in der eine andere Gruppe von Menschen nicht mehr vorkommt. Die Ermordung der Indianer war nur möglich, weil sie nicht als Teil der Menschheitsfamilie angesehen wurden.103
Während die Anzahl der Indianer einbrach, nahm die Anzahl der Einwanderer stetig zu. Mit dem Zustrom aus Europa wuchs die nicht indianische Bevölkerung in den USA von 1800 bis 1900 von 5 auf 75 Millionen Menschen rasant an. In der selben Zeit schrumpfte die schon stark dezimierte Zahl der Indianer von 600000 auf 250000 Menschen. Die überlebenden Indianer waren ab dann und bis heute nur noch eine Minderheit im eigenen Land. Indem die US-Regierung den Indianern ihre Jagdgründe abgenommen und die Bisons getötet hatte, wurde auch die Kultur der stolzen Jäger zerstört. Die überlebenden Indianer wurden in Reservate umgesiedelt, wo viele Selbstmord begingen oder dem Alkohol verfielen.104
Es ist nicht so, dass es keine Gewalt gab in Nordamerika, bevor die Europäer mit ihren Schiffen den Atlantik überquerten. Auch die verschiedenen Stämme der Indianer haben sich untereinander bekämpft und getötet. Aber sie haben sich nicht ausgerottet. Der Einsatz von Gewalt war weit weniger extrem, weil es immer wieder weise Indianer gab, die darauf hingewiesen haben, dass wir alle zur Menschheitsfamilie gehören. Indianische Medizinmänner vertraten eine Weltanschauung, die man auch in der christlichen Mystik, im Zen und im Sufismus findet. Gemäß dieser Weltanschauung wird das Göttliche als allgegenwärtiger Geist verstanden, verkörpert in allen Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen, vom kleinsten Atom bis zur Galaxie. Die Erde wird als Gaia bezeichnet und ist gemäß dieser Weltsicht ein lebendiger Organismus, der weder gekauft noch besessen werden kann. Der Mensch wird nicht als eine in sich abgeschlossene Einheit gesehen, die bei der eigenen dünnen Haut endet, sondern als Energiefeld, das mit der ganzen Wirklichkeit und daher auch mit dem Göttlichen untrennbar verbunden ist. Niemals wäre es den Indianern in den Sinn gekommen, alle Bisons abzuschlachten. Sie erlegten immer nur so viele Tiere, wie sie für ihr Überleben brauchten.
Black Elk, der Medizinmann der Oglala Sioux, war ein Vertreter der Friedensbewegung und beschrieb diese Verbundenheit mit der Menschheitsfamilie so: »Der erste Friede – der wichtigste – ist der, welcher in die Seelen der Menschen einzieht, wenn sie ihre Verwandtschaft, ihre Harmonie mit dem Universum einsehen und wissen, dass im Mittelpunkt der Welt das große Geheimnis wohnt, und dass diese Mitte tatsächlich überall ist. Sie ist in jedem von uns – dies ist der wirkliche Friede, alle anderen sind lediglich Spiegelungen davon. Der zweite Friede ist der, welcher zwischen Einzelnen geschlossen wird, und der dritte ist der zwischen Völkern. Aber vor allem sollt ihr sehen, dass es nie Frieden zwischen Völkern geben kann, wenn nicht der erste Friede vorhanden ist, der, wie ich schon sagte, innerhalb der Menschenseele wohnt.«105