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DIE ELTERN

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Erwin Hutter und Irma Dietsche wachsen in den 1920er- und 1930er-Jahren in Kriessern auf. Die Hutters wohnen im Unterdorf mit zwölf Kindern, sieben Söhne und fünf Töchter. Sie sind ärmer als die Dietsches im Oberdorf, die acht Kinder haben, fünf Söhne und drei Töchter. Erwin und Irma kennen sich schon seit Kindertagen, im Dorf kennt jeder jeden. Er ist 1919 geboren, sie 1923.

Weil in beiden Familien jeweils nur ein Sohn den Hof übernehmen kann, müssen sich die Geschwister anderweitig umschauen. Erwin Hutter kommt 1935 aus der Schule. Da wird gerade eine Schneiderlehrstelle in der Umgebung frei. Man fragt nicht lange nach Talenten oder Interessen. Erwin hat grosse, kräftige Hände. Für die Arbeit auf dem Bauernhof ist er bestens geeignet. In der Schneiderlehre leidet er zu Beginn, weil die kräftigen Bauernhände Nadel und Faden beinahe nicht zu fassen kriegen. Vom vielen Sitzen bekommt er Rückenschmerzen, aber er beisst sich durch. Eine Lehre ist eine Chance auf einen Beruf, der einst eine Familie ernähren kann. Danach folgt die Rekrutenschule, in der er als Bursche das Pferd eines Vorgesetzten pflegt. Gerne würde er nach der Rekrutenschule, wie damals üblich, auf die «Stör», das heisst im Ausland auf Wanderschaft gehen. Aber es ist 1939, der Krieg bricht aus, Erwin Hutter wird eingezogen und leistet zwei Jahre Aktivdienst an der Grenze. Zwischendurch wird er immer mal wieder vom Dienst freigestellt und kann in der Herrenkleiderfabrik Lenox in Altstätten arbeiten. Dort werden Uniformen genäht, und er verdient etwas mehr als nur den kargen Sold. Der Bauernsohn ist voller Tatendrang und möchte etwas erreichen im Leben. Er macht seinen Meistertitel und eignet sich in Abendkursen kaufmännisches Wissen an. Nach Kriegsende eröffnet er mit seiner Schwester Angela eine kleine Massschneiderei an der Obergasse in Altstätten. Vom Ersparten haben sie sich eine Nähmaschine im Wert von 600 Franken gekauft, einen Bügel- und einen Arbeitstisch zu 270 Franken und Stoffe für 97 Franken. Berücksichtigt man die Teuerung, lassen sich die Zahlen zum heutigen Wert ungefähr mit fünf multiplizieren. Ein bescheidener Anfang, aber der 26-jährige Mann ist geschäftstüchtig, ein guter Schneider, und er möchte heiraten. Erwin Hutter beginnt sich für Irma Dietsche, Bauerntochter aus dem gleichen Dorf, zu interessieren. Doch die will zunächst nichts von ihm wissen.

Auch sie ist nicht ganz freiwillig Schneiderin geworden. In der Schule hatte sie ausschliesslich Bestnoten. Zu gerne hätte sie eine Sekundarschule besucht und anschliessend das Lehrerseminar. Traumberuf Lehrerin. Für ihre bäuerlichen Eltern sind das Flausen. Zu viel Bildung macht bei Frauen keinen Sinn und vereitelt womöglich die Heiratschancen. Die Realschule genügt. Später erzählt Irma Hutter ihren Kindern, dass sie über das Verbot, Lehrerin zu werden, drei Tage lang geweint habe.

Eine von Irmas älteren Schwestern ist bereits Schneiderin. Ein guter Beruf, findet der Vater, und so lernt die Jüngere ebenfalls das Schneiderhandwerk. Die Autorität der Eltern ist damals Gottes Gesetz, und Irma begehrt nicht auf. Erst als sie achtzig Jahre alt ist, wird sie Gefühle des Zorns hochkommen lassen und grollen: «Wir Mädchen waren allesamt nur Mägde.»

Dass Irma ihren Verehrer Erwin zunächst zurückweist, kann ihr Vater nicht nachvollziehen. Er ist begeistert von dem jungen Hutter. So ein Schneider passt perfekt zu seiner Tochter, sie könnten zusammen die Schneiderei in Altstätten führen und womöglich ausbauen. Aber Irma erklärt, sie sei zu wenig verliebt. Für den Vater kein stichhaltiges Argument, doch Erwin hat Geduld, schreibt sogar einen Brief an Matthias Dietsche und argumentiert darin, dass der Vater Verständnis haben müsse, man könne Irma ja nicht zwingen.

Beide Familien gehören dem ländlichen katholischen Milieu an, das sich nach aussen abschottet und für das strenge moralische Werte und ein ganzer Reigen religiöser Riten prägend sind. Dazu gehören beinahe tägliche Messebesuche, das Beichten, Beten, Andachten, die Sakramente zu Geburt, Heirat und Tod sowie spezielle Feiern an religiösen Feiertagen. Man ist Mitglied in katholischen Vereinen, und braucht man Rat, wendet man sich an den Pfarrer; ist es etwas geheimer, an einen Pater. So macht es auch Irma Dietsche. Sie ist unsicher, wie sie mit ihrem Verehrer Erwin Hutter umgehen soll. Ist es richtig, einen Mann zu heiraten, den man nicht liebt, nur weil praktische Gründe dafürsprechen? Sie erzählt später, dass der Pater ihr ganz pragmatisch geraten habe, sie solle sich einmal auf die Knie des jungen Mannes setzen, der Rest werde sich schon finden. Ob es dieser Rat ist, der die beiden am Ende zusammenbringt, oder einfach eine längere Phase des Kennenlernens, in der doch Zuneigung keimt? Hilft Erwins Geduld oder die Aussicht darauf, gemeinsam arbeiten und sich etwas aufbauen zu können?

Was immer die Gründe sind, dass die beiden am Ende doch zusammenkommen – Irma nimmt den Heiratsantrag schliesslich an. Am 7. Oktober 1946 findet die Hochzeit statt, und die Kombination der beiden Schneider wird sich als glücklich erweisen, geschäftlich und privat. Sie hätten es als Paar gut miteinander gehabt, sagt Gardi Hutter.

Zwei arbeitsame Menschen mit dem gleichen Beruf und von ähnlicher Herkunft, aber unterschiedlichem Naturell finden so nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammen. Er, der Ruhigere, handwerklich rundum Begabte, der die Berge, das Wandern, Reisen und das Skifahren liebt. Er sei ein Optimist gewesen, sagt Gardi Hutter, und auch einer, der Risiken eingegangen sei, was sich am Ende meist ausbezahlt habe. Sie, die Geschäftsfrau durch und durch, perfektionistisch, intelligent, mit viel Bauernwitz; man kann gut mit ihr lachen und singen. Aber sie ist eine Pessimistin, macht sich ständig Sorgen und ist viel vorsichtiger als ihr Mann. Sie ist streng mit sich selbst und mit anderen; an erster Stelle stehen in ihrem Leben der gute Ruf und ihr Glaube.

Trotz allem - Gardi Hutter

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