Читать книгу Trotz allem - Gardi Hutter - Denise Schmid - Страница 6

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«Sie haben Talent, aber Sie sind klein, Sie werden nie eine Hauptrolle spielen.» Dieser Satz stand am Anfang von Gardi Hutters Bühnenkarriere. Trotz Zweifel an ihrer Eignung wurde die 21-Jährige an der Schauspiel-Akademie Zürich aufgenommen. In der Ausbildung, wie im Theater, herrschte damals das Credo: «Frauen sind tragisch, Männer sind komisch.» Das war Mitte der 1970er-Jahre.

Gardi Hutter hat alle eines Besseren belehrt. 45 Jahre später ist sie eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Schweiz. Ein Ausnahmetalent, das als komische Frau, als Clownerin – wie sie sich selbst bezeichnet – die Bühnen der Welt erobert hat. Als sie erzählt, dass man ihr damals die Schauspielkarriere nicht zugetraut habe, steht sie auf der Bühne der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) am Mikrofon und lacht. Sie trägt ihrer ehemaligen Schule den Fauxpas nicht nach. Viel habe sie hier gelernt, und sie sei dankbar, fügt sie an. Es ist der 7. November 2019, und eben hat Gardi Hutter die Auszeichnung «Honorary Companion» der ZHdK vor einem vollen Saal unter langem und warmem Applaus entgegengenommen.

Man kennt sie als Hanna, die das Publikum als Wäscherin, Schneiderin oder Souffleuse zum Lachen bringt. Eine Clownin mit verfilztem Haar, roter Nase, dickem Bauch, in braunem Kleid und beiger Schürze. Darunter eine geflickte Hose, Stiefelchen. Schnell sind ihre Bewegungen, sie kratzt sich zwischendurch am Po, springt in die Luft, brabbelt in einer universell verständlichen Lautsprache, ist immer für die nächste Überraschung gut. So hat sie Karriere gemacht.

1981 stand Gardi Hutter das erste Mal als Hanna auf der Bühne, in 34 Ländern ist sie seither mit ihrer weiblichen Clownfigur gewesen und fast 4000 Mal aufgetreten. «Meine Damen, mir scheint, Sie haben noch nie einen Besen in der Hand gehabt!» Ikonisch ihr Auftritt im Schweizer Nationalratssaal 1991, als sie die Politikerinnen in ihren Kostümen und adretten Kurzhaarfrisuren tüchtig fegen liess. Sie weiss, wie man Macht demontiert, auch weibliche, die es mittlerweile gibt. Und sie weiss, wie man Stereotype ins Lächerliche zieht und wie nah das Komische und das Tragische beieinanderliegen können. Im Nationalratssaal befreite sie sich aus einem Wäschebottich, hängte Socken an die Leine, und als sie am Ende eine Schweizer Fahne entrollte, auf der das Kreuz zum feministischen Zeichen umgedeutet war, da kannte der Jubel keine Grenzen. Gardi Hutter ist nicht nur die lustigste Schweizerin, sie ist auch die witzigste Feministin.

Klein und quirlig ist sie wie eh und je. Man sieht ihr die 68 Jahre nicht an. Sie trägt das dunkelblonde Haar lang und offen, die einzelnen grauen Haare verlieren sich darin. Ihre Stimme klingt tief und unverwechselbar. Ich höre ihr gerne zu, und sie hat Lust, ihr Leben zu erzählen, aber sie fürchtet sich auch ein wenig davor. Auch vor den absehbaren Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen. «‹Noch eine Schauspielerbiografie›, werden sie stöhnen», meint sie, als wir das erste Interview in meinem Büro in Zürich führen. Das lasse ich nicht gelten. Sie ist nicht irgendeine Schauspielerin, sie ist ein weiblicher Clown, eine Pionierin, ein Vorbild. Ich habe keinen Zweifel, dass sie Interessantes zu berichten hat.

Wir werden Gespräche führen, ich darf in ihrem Archiv stöbern, mit Weggefährten sprechen. Sie kann den Text korrigieren, muss aber damit leben, wie ich als Autorin auf ihr Leben schauen, wie es gewichten und erzählen werde. Sie lässt sich darauf ein. Im Januar 2020 beginnen wir, miteinander zu sprechen, zu mailen und zu telefonieren. Das Manuskript soll bis Anfang November stehen, damit es im Frühjahr 2021, zum Vierzig-Jahr-Bühnenjubiläum ihrer Figur Hanna, bereit ist. Die Corona-Pandemie wird zur ungeplanten Unterstützung für das Buchprojekt. Alle Vorstellungen fallen ab März 2020 aus. Im Juli tritt sie drei Mal im Tessin auf, wo sie wohnt, und im September gibt es ein paar «Gaia Gaudi»-Aufführungen in der Nordschweiz. Die für Oktober geplante Neuseelandtournee – das 35. Land – fällt aus. Gardi Hutter hat Zeit, sich um ihr Werkbuch «Die Schneiderin» – im zweiten Teil dieses Bands –, die dazugehörige Website und ihr Archiv zu kümmern. Sie hat Zeit für unsere Gespräche und das Gegenlesen der Texte.

Zu Beginn weiss ich wenig über sie, nicht viel mehr als: katholische Kindheit im Rheintal, Rebellion, Schauspielausbildung, erste Schritte im Beruf in Italien, Entwicklung der weiblichen Clownfigur, ein Mann, zwei Kinder, eine Scheidung, Wohnsitz im Tessin, grosser Erfolg im In- und Ausland. Ein Leben in Stichworten, aber ich bin neugierig darauf, die Persönlichkeit dahinter kennenzulernen. Mit dem Prozess der Arbeit entdecke ich die Ursprünge und Konturen ihres Lebenslaufs. Ihre Rebellion, ihren Feminismus, ihre soziale Einstellung, ihr Umweltbewusstsein – all das geht auf den Geist der Achtundsechziger zurück. Sie war während ihrer Schulzeit in St. Gallen selbst aktiv in einer politischen Gruppierung. Sie testete alle Grenzen aus, vom LSD-Trip bis zur freien Liebe. Gardi Hutter hat viele Rollen gespielt, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Leben. Sie war katholische Internatsschülerin, politische Linksaktivistin, Hippiemädchen, eine Zweifelnde, Suchende und irgendwann eine erfolgreiche Künstlerin, Unternehmerin, Mutter und unabhängige Frau. Sie wollte kein Durchschnittsleben führen, und sie wollte Erfolg haben – beides ist ihr gelungen. Dass das nicht nur einfach war, dass dazu Jahre der Selbstzweifel, Verluste und Niederlagen gehörten, davon wird hier auch erzählt. «Ich will keine beschönigende Biografie», sagte sie im ersten Gespräch. Daran hat sie sich, mutig und offen, wie sie ist, beim Erzählen ihres Lebens gehalten.

Trotz allem - Gardi Hutter

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