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DER REIZ DES VERBOTENEN

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1958 kommt die kleine Gardi in den Kindergarten. Den Weg darf sie ganz alleine machen, und sie ist stolz darauf. Der Kindergarten gefällt ihr sehr, insbesondere die kleinen, an die Kinder angepassten Toiletten. An jeder Tür ist ein anderes Märchenmotiv. «Das gefiel mir. Ich überlegte mir vorher immer, ob ich nun heute beim Dornröschen oder bei Schneewittchen mein Pipi machen sollte.» Man darf den ganzen Tag spielen und muss nicht helfen – ein weiterer Vorteil. «Bei uns daheim musste ich ja immer zuerst etwas erledigen, bevor ich spielen durfte.»

Nach zwei Jahren Kindergarten beginnt 1960 die Schule, und die besucht Gardi fast noch lieber. In der katholischen Mädchenschule in Altstätten wird sie in den ersten Jahren von Nonnen aus dem lokalen Kapuzinerkloster Maria Hilf unterrichtet, in Klassen mit vierzig und mehr Kindern. Disziplin ist auch in der Schule das oberste Gebot. Die Nonnen greifen streng durch. Wer stört, muss in die Ecke oder bekommt mit dem Lineal eins auf die Hand.

In der fünften Klasse kommt Gardi zu Herrn Schwarz. Auch er ist streng, aber alle lieben ihn: endlich ein Laie – und ein Mann. Er veranstaltet Wettbewerbe im Kopfrechnen, die entweder Ruthli oder Gardi gewinnen – und immer die Gleichen verlieren. Ihr beginnen die Unterschiede zu Kindern aus ärmeren Familien aufzufallen. «Die Kugelgasse, das war sozusagen das Armenviertel von Altstätten. Eine Strasse auf der anderen Seite der Altstadt mit kleineren, gedrungenen Häusern. Für die Kinder, die von dort kamen, muss die Schule besonders schlimm gewesen sein. Sie trugen den Stempel, Armeleutekinder zu sein; und sie kamen häufig nur schlecht mit. Wie sich die Kinder in der Klasse gruppierten und zusammensassen, spiegelte von klein auf die sozialen Schichten der Stadt. Wer etwas in der Stadt galt und wer nichts, wer verachtet wurde, wer nicht – es hatte immer mit Geld zu tun.»

Gardi Hutter sagt, dass ihre Familie zwar zu einer oberen Schicht im Städtchen gehörte, aber ganz akzeptiert seien sie trotzdem nicht gewesen. «Wir waren Neureiche. Wir hatten zwar das Geld, aber uns fehlte die Kultur. Als Kaufleute gehörten wir zur Kleinbürgerschicht, aber es lag immer eine Art Schatten auf uns.»

Gardi wird zur Pendlerin zwischen den Welten – aus Neugierde, und vielleicht reizt sie das Verbotene. Sie spielt gerne mit Freundinnen in der Kugelgasse, auch weil es ein wenig gefährlich und unberechenbar ist. Die Häuser sind oft dunkel und feucht, es riecht anders. Die Mutter darf nichts davon erfahren. Die Eltern einer ihrer Freundinnen aus der Schule führen ein Wirtshaus. Gardis Mutter sieht auch diesen Umgang nicht besonders gerne.

Am liebsten ist es der Mutter, wenn Gardi mit der Tochter einer der angesehensten Familien im Ort zusammen ist. Die Familie besitzt eine Glaswarenmanufaktur. «Sie hatten ein grosses, ehrwürdiges Haus in der Altstadt und ganz dicke Teppiche auf der Treppe, die jeden Ton schluckten, sodass man keinen Tritt mehr hörte. Es gab Holztäfer, Kerzenständer, Porzellan hinter Glas und eine Bibliothek. Das hat mich alles enorm beeindruckt. Die Mutter servierte uns etwas zu trinken, wenn wir dort waren. Das war für mich unfassbar. Meine Mutter hätte uns Mädchen nie etwas serviert, im Gegenteil. Wenn ich Besuch hatte, musste nicht nur ich mithelfen, sondern auch meine Freundin wurde mit eingespannt.» Und dann gibt es noch eine andere Tochter aus gutem Haus, bei der Gardi oft aus einem ganz bestimmten Grund ist. Mickey-Mouse-Hefte sind bei Hutters verboten – Stichwort: Schund. Jedes gefundene Heft wird sofort verbrannt. «Meine Freundin aber hatte einen Schrank voll davon. Ich erinnere mich an dieses Gefühl, den Schrank zu öffnen, und da lagen stapelweise Mickey-Mouse-Hefte – das Paradies. Ich nahm gleich zwanzig Hefte auf die Knie und versank darin.»

Trotz allem - Gardi Hutter

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