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DU SOLLST NICHT ZWEIFELN

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Im März 1962 wird Gardi neun Jahre alt. Bald darauf findet die Erstkommunion statt. Davor muss man das erste Mal beichten und von da an regelmässig einmal pro Monat. Von all der Schuld, die man immer wieder auf sich lädt, kann man sich so befreien. Doch was können neunjährige Kinder schon beichten? Gardis Bruder Fredi erzählt, dass seine Primarschullehrerin, Schwester Klara, damals die Klasse instruiert habe, wie und was zu beichten sei: «Ich glaube an die Kirche. Ich habe geschwatzt, ich hatte unkeusche Gedanken, ich habe genascht.»

Als Gardi so weit ist, schärfen ihr die beiden grossen Brüder ein, dass sie nicht nur schlimme Taten beichten müsse. «Meine Brüder waren gemein. Sie lagen mir ständig in den Ohren damit, dass nur schon ein unkeuscher Gedanke Sünde wäre, weil Gott alles sehe, auch das, was ich nur schnell gedacht hätte. Und so quälte ich mich mit allen möglichen und unmöglichen Sünden. Es war nicht mal erlaubt, daran zu denken, einen Jungen zu küssen. Über Schuldgefühle stolpere ich heute noch. Das war für mich das Schwierigste aus meiner Erziehung: das wieder loszuwerden.»

Die Fotos vom grossen Tag zeigen eine wunderbar brave Gardi auf dem offiziellen Kommunionsfoto im langen, weissen Kleid mit Handschuhen, Rosenkranz, einer Kette mit Kreuz um den Hals und weissem Schleier auf dem Kopf; ein unschuldiger, leicht verkrampfter kleiner Engel.

Das erste Mal die Hostie zu bekommen, sie auf der Zunge zu spüren. Gardi weiss noch, wie ernst und innig dieser Moment in der Kirche damals für sie war: «Die Vorstellung, dass ich mit der Hostie den Leib Jesus in mich aufnehme, daran habe ich nicht nur geglaubt, ich habe ihn gespürt.» Dreissig Jahre später wird sie in ihren Aufzeichnungen festhalten, wie schön sie sich damals in dem weissen, langen Kleid fühlte, wie eine Prinzessin. Aber nach der Kirche fährt die Familie ins Ferienhaus auf den Ruppen, und Gardi muss das Kleid ausziehen. Sie will nicht, aber sie muss: «Ich höre noch meine Mutter schimpfen: ‹Tu nicht so hochmütig.› Ich heulte, erst laut, dann immer leiser und war den ganzen Tag traurig – und bin es heute noch, wenn ich daran denke. Einer der seltenen Momente, in denen ich mich schön gefühlt habe.» Aber: Frömmigkeit war gefragt. Eitelkeit war Sünde und verpönt.

Jungen dürfen nach der Erstkommunion Ministranten werden. «Ich hätte wahnsinnig gerne ministriert, mit grossem Ernst das Weihrauchfass geschwungen und die Glocken geläutet», sagt sie, aber das geht natürlich nicht. Es ist den Jungen vorbehalten, weil Mädchen «von Natur aus schmutzig» sind. Was genau an Mädchen schmutzig ist, dass es mit der Menstruation zusammenhängt, so weit geht die Erklärung nicht, und Gardi ist zu jung, um solche Regeln zu hinterfragen. Später aber entwickelt sie eine grosse Wut auf das körper- und frauenfeindliche Diktat der Kirche.

Doch so weit ist es noch nicht. Als Kind ist Gardi Hutter wie gesagt tiefgläubig. Gott, den Teufel, die Sünde, all das gibt es in ihrer Vorstellungswelt. Bis sich ein erster leiser Zweifel einschleicht. Sie kann sich noch an ihre Empörung erinnern: «Es hiess, dass ungetaufte Kinder nicht in den Himmel kommen. Sie kommen in eine Zwischenwelt, den Limbus, und bleiben dort für immer und ewig. Ich fand das ungerecht: Sie können doch nichts dafür. Es sträubte sich alles in mir. Ich fragte nach und wurde gerügt. Zweifeln war Sünde und ebenso wenig erwünscht wie Auflehnung. Was in der Kirche gesagt wurde, das galt, und der Papst konnte nicht irren, denn er war ja der Vertreter Gottes.»

Nach längeren internen Diskussionen und einem 41 Seiten langen Bericht stimmt Papst Benedikt XVI. 2007 schliesslich der Auffassung zu, dass der Limbus nur eine «theologische Hypothese» sei und kleine Kinder, die ungetauft sterben, direkt ins Paradies kämen. Gardi Hutter ahnte es schon fünfzig Jahre früher.

Zur Kirche und ihren Traditionen, ihren Zwängen, Auswüchsen, aber auch zu den inspirierenden Seiten hat Gardi Hutter viel zu erzählen. Aus der heutigen Warte beleuchtet sie die Mechanismen dahinter kritisch, vor allem das Frauenbild: «Die drei grossen Weltreligionen aus dem Vorderen Orient haben alle zum Ziel, den Mann als dominierende Figur zu platzieren und die Frau zu unterwerfen. Im Christentum gibt es den Gottvater und seinen Sohn und dann noch Maria. Aber sie ist keine Göttin, sondern nur eine Art keusches ‹Gefäss›. Je weiter wir in der Menschheitsgeschichte zurückgehen, desto mehr weibliche Gottheiten finden sich. Noch bei den Griechen sind sie starke Persönlichkeiten, werden dann aber immer dekorativer.» Sie ereifert sich, wenn sie darüber spricht. «Die Idee der unbefleckten Empfängnis, wie abstrus ist das denn? Ist Empfängnis, also ein Kind zu zeugen, im Normalfall befleckt? Dieser schönste und heiligste Akt unseres Lebens? Wenn ich mir überlege, wie viele gebildete Männer als Exegeten ihr Leben und ihre Intelligenz dazu benutzt haben, um solchen Unsinn hinzubiegen und in unfehlbare Argumente zu verpacken! Dabei geht es am Ende doch nur um Machtpolitik. Wenn es im Himmel keine Göttin gibt, gibt es auf Erden auch keine. Das ist letztlich extrem raffiniert ausgedacht.»

Trotz allem - Gardi Hutter

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