Читать книгу Trotz allem - Gardi Hutter - Denise Schmid - Страница 7

2010 Eine Schneiderin muss sterben

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Da sitzt ein weibliches, unförmiges Wesen mit verfilztem Haar, roter Nase und Flickenkleid schelmisch lachend in einem überdimensionierten Nähkasten: Gardi Hutter als ihre Bühnenfigur Hanna. Diesmal ist sie eine Schneiderin. Es ist der 28. Oktober 2010. Gardi Hutters neues Stück hat Premiere im Theaterhaus Stuttgart. Ein voller Saal mit mehreren Hundert Menschen. Sie schauen zu, wie sie sich mit dem Faden abmüht, der nicht gleich durchs Nadelöhr will. Wie sie näht und brabbelt, elastisch vom Tisch springt, mit übergrossen Fadenspulen hantiert, eine lange Nadel verschluckt und sie mithilfe eines Magneten wieder aus dem Körper lockt. Fünf frei schwingende Schneiderpuppen hängen an einem Kleiderkarussell über ihr. Abgründe tun sich auf; sie soll sterben, will nicht, kämpft mit ihrer Seele im Spiegel, versucht, sie von der Himmelfahrt abzuhalten. Am Ende stirbt sie doch. Das Publikum geht siebzig Minuten lang mit, lacht und jubelt. «Die Schneiderin» wird zu dem Erfolg, den Gardi Hutter sich erhofft hat. Ein Kulminationspunkt in ihrem Leben. Sie ist 57 Jahre alt, seit drei Jahrzehnten als alterslose Clownin unterwegs. Zwei Jahre Vorbereitungsarbeit liegen hinter ihr. Dieses Stück bündelt ihre dreissigjährige Bühnenerfahrung als weiblicher Clown, als Hanna, als kreative Künstlerin. Mehr noch, es steckt die ganze Gardi Hutter darin, auch die ehemalige Achtundsechzigerin, die Feministin und das kleine Mädchen, das im St. Galler Rheintal in einem Haus aufwuchs, in dem die Eltern unten Kleider verkauften und das Kinderzimmer oben neben dem Schneideratelier lag.


Der Tod spielt im Jahr 2010 nicht nur im Stück «Die Schneiderin» eine Rolle, sondern auch in Gardi Hutters Privatleben. Ihr Vater, Erwin Hutter, ist ein halbes Jahr vor der Premiere, mit 91 Jahren, gestorben, ihre Mutter bereits 2005. Beide waren gelernte Schneider. Gardi Hutter konnte dem Vater noch von der neuen Idee für das Stück erzählen, als sie zu reifen begann. Er war begeistert, suchte sein altes Arbeitsmaterial zusammen und übergab es der Tochter. Wie gerne hätte er das Stück gesehen. «Meine Eltern hätten sich beide extrem darüber gefreut», sagt sie und fügt an: «Ist das nicht verrückt? Da habe ich so viel getan, um meine Herkunft hinter mir zu lassen, ein anderes Leben zu führen, und dann stehe ich mit Ende fünfzig als Schneiderin auf der Bühne.»

Trotz allem - Gardi Hutter

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