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«PUVERLI UND RÜEBLI» BEI DEN GROSSELTERN

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Die frühesten Eindrücke aus ihrer Kindheit verbindet Gardi Hutter mit den Erlebnissen auf den beiden Höfen der Grosseltern in Kriessern: «Mein Grossvater Matthias war ein strenger Patriarch. Wir fürchteten uns alle vor ihm.» Seine Frau Katharina ist das Gegenteil. Als still und liebenswert hat Gardi Hutter die Grossmutter in Erinnerung. Sie betreibt den Dorfladen von Kriessern. Als kleines Kind ist Gardi gerne und oft bei den Grosseltern in den Ferien. Dort gibt es gleichaltrige Cousinen zum Spielen, weil der Onkel, der den Hof übernommen hat, auch wieder zehn Kinder hat, und Gardi darf im Laden der Grossmutter mithelfen. Es sind die 1950er-Jahre. Im Dorfladen stehen grosse Säcke mit getrockneten Bohnen, Linsen und Nudeln. Man schöpft die Ware mit Schaufeln in Papiertüten, wiegt sie ab, kassiert. Gardi liebt diese Arbeit zusammen mit der Grossmama. Abends sitzt die Grossfamilie beisammen. Die Schwiegertochter hat gekocht, ein grosser Topf steht auf dem Tisch. Zehn und mehr Menschen tauchen ihre Löffel ein und essen alle gemeinsam aus der grossen Schüssel. Es gibt Hörnli und Apfelmus oder Kartoffeln in jeder erdenklichen Form, als Rösti, Bratkartoffeln, Kartoffelstock, «Gschwellti» mit Käse, und Ribel, ein Rheintaler Maisgericht. In der Erinnerung haften geblieben ist Gardi Hutter das wundervolle silbergraue, lange Haar der Grossmutter, das sie abends aus dem straffen Dutt befreite und mit einem Kamm langsam durchkämmte, aber auch die Rute an der Wand gleich hinter dem Platz des Grossvaters: «Wenn ein Kind etwas ausgefressen hatte, wurde es abends über dem Tisch mit der Rute gezüchtigt. Das war der Erziehungsstil damals. Und als der Sohn den Hof übernahm, sass er dann dort und hat es genauso gemacht.»

Die Dietsches sind eine lebhafte Familie. Sie reden laut und sind manchmal etwas rau, sie lachen und singen auch viel. Ihr Wohlstand kommt nicht nur vom Laden und vom Bauernbetrieb; der Grossvater ist auch Viehhändler. Im Haus herrscht ein ganz anderer Geist als bei Gottlieb und Emma Hutter im Unterdorf, den Grosseltern väterlicherseits. Hier ist alles viel kleiner und enger, ruhiger, aber auch herzlicher. Grossmutter Emma hat 14 Kinder geboren, zwei sind gestorben. Gardi Hutter sagt: «Sie war ein Wesen von fast Zen-artiger Friedlichkeit. Obwohl sie immer arbeitete, schien sie in sich zu ruhen und strahlte eine Heiterkeit aus. Mit 96 Jahren sagte sie eines Nachmittags, sie fühle sich müde. Dann legte sie sich hin und starb.»

Die Hutters sind generell stille Leute, selbst beim Jassen wird kaum gesprochen. Nur Fritz, einer der drei Brüder des Grossvaters Gottlieb – der in die USA ausgewandert war und zurückkehrte –, schlägt aus der Familie und unterhält in der Dorfwirtschaft jeweils den ganzen Saal. Prompt wird später behauptet, Gardi habe ihr Talent vom Grossonkel geerbt.

Die zwei jüngsten Schwestern von Erwin Hutter werden Klosterfrauen in Baldegg und gehen in die Mission – damals eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen aus einfachen Verhältnissen, in die Welt hinaus zu kommen. Verona Hutter schafft es in den 1970er-Jahren bis nach Papua-Neuguinea und Tansania.

Gardi hilft wie alle Kinder auf beiden Höfen mit, hütet Kühe und Schafe und liebt das Landleben. Die Bauern im Rheintal betreiben Milchwirtschaft, und viele bauen neben Kartoffeln auch Erbsen für die Konservenfabrik Hero an; so auch Gardis Grosseltern.

Seit 1886 stellt Hero Büchsenerbsen her. In den 1900er- Jahren steht die Fabrik noch in Frauenfeld, wo die umliegenden Erbsenfelder liegen, und auch im Rheintal stellen die Bauern auf das Gemüse um. Gardi Hutter lacht, als sie erzählt, dass sie in ihrer ganzen Kindheit immer nur «Puverli und Rüebli» – Schweizerdeutsch für «pois vert», grüne Erbsen, und Karotten – aus der Dose zu essen bekam und nie frische Erbsen, obwohl sie sogar beim «Puverle» mithalf, dem Pulen der Erbsen aus den Schoten. Aber das Gemüse ging in die Fabrik und landete erst aus der Büchse wieder auf dem Teller. «Aus heutiger Sicht war es ziemlich absurd. Man befand sich in einer Gegend voller frischer Erbsen und ass sie bei den Grosseltern und bei uns zu Hause aus der Büchse, aber wir Kinder liebten die Puverli und Rüebli. Und es gab sie nur am Sonntag.» Erst im Alter von etwa dreissig Jahren kommt sie nach einem Auftritt bei einem Abendessen in einem Kloster im Walsertal das erste Mal in Berührung mit frischen Erbsen – eine Offenbarung: «Ich fiel fast vom Stuhl, dass Erbsen einen solch intensiven Geschmack haben konnten, unglaublich. Aber Konserven galten in meiner Kindheit als modern – und meine Mutter hatte wenig Zeit zum Kochen.»


Die Grosseltern Dietsche mit ihren Kindern; Gardis Mutter vorne links.


Die Familie um die Grosseltern Hutter; Gardis Vater oben links.


Gardis Eltern, Irma und Erwin Dietsche, heiraten am 7. Oktober 1946 in Altstätten. Beide haben Schneider gelernt; sie bauen erfolgreich ein Modehaus auf.


1948 erwerben Hutters ein Haus an der Trogenerstrasse 24 in Altstätten. Im Erdgeschoss führen sie das Geschäft, darüber wohnt die Familie.


Ein Schaufenster Anfang der 1950er-Jahre. Das Modehaus E. Hutter führt Herren-, Damen- und Kinderkleider.


Ende der 1950er-Jahre können sich Hutters ein kleines Ferienhaus auf dem Ruppen und einen Zweitakter DKW leisten.


Sommerferien in Italien. Skeptisch betrachtet die kleine Gardi einen steinernen Löwen in Venedig – ob er nicht doch lebendig wird?


Gardi Hutter 1958 als Fünfjährige im Kindergarten; stolz bewältigt sie den Weg dorthin alleine.


Weihnachten bei Familie Hutter, es wird musiziert und viel gesungen. Auch sonst ist das Singen wichtig im Familienleben.

Trotz allem - Gardi Hutter

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