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ОглавлениеKapitel 5
Kinding, Hügelgräberweg,
Samstag, 3. Oktober 2015, 12:37 Uhr
Die Wolkendecke war aufgerissen. Die Sonne entsandte ein paar kräftige Strahlen durch das farbenprächtige Blätterdach. Pallasch blieb stehen, zog den Rucksack von den Schultern, setzte ihn auf einen moosbewachsenen Stein. Während er die Trinkflasche hervorkramte, bemerkte er, dass der Wald von einem beständigen Rauschen erfüllt war. Ein kräftiger Wind strich durch die dichten Baumkronen, zerrte an den Ästen, verwirbelte das herabfallende Laub. Kreiseschlagend tanzte es zu Boden. Er nahm einen Schluck aus der Flasche. Das kühle Wasser trieb feine Schweißperlen aus den Poren, die ihm kitzelnd in den Nacken rannen. Pallasch knöpfte die Jacke auf, ließ den Blick umherschweifen.
Schroffe Felsformationen umgaben den steil ansteigenden Pfad. Sie ragten zwischen den Bäumen auf, so als seien sie vor langer Zeit von Riesenhand hierher geschafft und dann einfach vergessen worden. Zu seiner Rechten schmiegten sich auf halber Höhe ein paar besonders bizarr gestaltete Felsen an den Hang. Groß wie ein Haus beherbergten sie eine Höhle in der einmal ein Einsiedler gelebt haben sollte. Eine flache Steinplatte verlieh dem Ensemble das Aussehen eines archaischen Opferaltars. Folgte man dem Pfad nach oben auf den Hügel gelangte man ins alte Holz zu den keltischen Hügelgräbern. Pallasch stellte sich vor, wie frühe Menschen, dem mystischen Zauber des Ortes verfallen, genau hier ihren vorzeitlichen Göttern gehuldigt hatten.
Der Druide stand auf einem der Felsen. Sein schlohweißes Haar wehte im Wind. Die Arme in die Höhe gereckt, hielt er eine Steinklinge in der einen, ein strampelndes Ferkel in der anderen Hand. Menschen drängten sich am Fuße des Felsens. Männer, Frauen und Kinder. In einer wilden, fremden Sprache forderten sie den Tod des Tieres. Die Klinge schoss herab, drang in das sich windende Fleisch. Das Ferkel schrie, doch das Geschrei ging unter im Gebrüll der Menge. Blut rann über die nackte Haut des Druiden, tropfte auf sein Haar, sein Gesicht, seine Lippen. Er öffnete den Mund, trank gierig vom roten Saft des Lebens. Als er genug hatte, warf er das sterbende Tier in die Meute. Hände packten zu, zerrten an den Gliedern, rissen sie aus den Gelenken, zerfetzten den Körper in nur wenigen Sekunden, bis nicht mehr von ihm übrig war.
Der Schrei einer Krähe riss Pallasch aus dem Tagtraum.
Der Vogel hatte sich direkt über ihm auf dem kahlen Ast eines hohlen Baumstamms niedergelassen. Aus pechschwarzen Augen starrte er auf ihn herab. Ein Galgenvogel, dachte er, der hat mir gerade noch gefehlt. Prompt kam ihm der verfluchte Montagmorgentermin in den Sinn. Inge hatte ihn bei einem Homöopathen in Ingolstadt angemeldet. Seine Attacken waren in den letzten Wochen stärker geworden, sie machte sich Sorgen, wollte, dass er sich einmal gründlich durchchecken ließ. Eine Zeitlang hatte Pallasch sich gesträubt, doch Inge hatte nicht locker gelassen. Ihn nach und nach weichgekocht, bis er endlich versprochen hatte hinzugehen. Widerwillig und mit auf dem Rücken gekreuzten Fingern. Der Quacksalber behandelte ausschließlich auf private Rechnung. Der Besuch würde ihn ein kleines Vermögen kosten. Pallasch konnte Ärzte nicht ausstehen. Wenn es nach ihm ginge, sollte man die Kerle meiden, so lange man nur konnte. Denn geriet man ihnen erst in die Fänge, hefteten sie einem garantiert etwas an, das man absolut nicht gebrauchen konnte.
Die Wolkendecke war zugezogen. Pallasch fröstelte. Eilig verstaute er die Trinkflasche, knöpfte die Jacke zu und schulterte den Rucksack. Gerade als er den Aufstieg fortsetzen wollte, läutete das Mobiltelefon. Die Melodie von Irgendwie und Sowieso schreckte die Krähe auf. Flügelschlagend erhob sie sich von ihrem Ast, verschwand im Dickicht. Es dauerte eine Weile, bis Pallasch das Gerät aus der Hosentasche gefischt hatte. Als er es endlich in der Hand hielt, musste er grinsen. Es war Franz. Er rief aus der Esplanade an. Mit ein wenig Glück war das die Gelegenheit dem Montagmorgentermin zu entkommen. Einem Mord konnte schließlich auch Inge nichts entgegensetzen. Er drückte die Rufannahme, bellte seinen Namen ins Mikro.