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Kapitel 8

Eichstätt, Gabrieli-Quartier, Innere Freiwasserstraße,

Samstag, 3. Oktober 2015, 14:30 Uhr

»Die Verteilung der Hämatome legt nahe, dass die Frau mit bloßen Händen getötet wurde.« Mendl hielt die Hände so, als würde er einen Hals umfassen. »Auf den Knien und Unterschenkeln habe ich Exkoriationen gefunden. Ich vermute, dass sie auf dem Boden kniete und der Mörder hinter ihr stand.«

Pallasch nickte stumm. Auch das hatte er bereits vermutet. Er sah zu, wie Mendl mit der Lupe die Hände der Leiche untersuchte. Lachmann schielte verstohlen in Richtung Hund im Wasserglas.

»Die Ausprägung der Muskelstarre sagt mir, dass sie mindestens zwölf Stunden tot ist.« Mendl legte die Lupe zurück in den Koffer. »Wussten Sie, dass es so gut wie unmöglich ist sich selbst zu erwürgen, Herr Kommissar?« Er öffnete ein Plastikröhrchen, entnahm ihm einen gestielten Wattetupfer.

»Beim Blackout durch Sauerstoffmangel werden die Muskeln hypoton. Der Griff um den eigenen Hals löst sich. Die Atmung setzt ein und man ist wieder wach.« Mit dem Wattetupfer bearbeitete er die Nägel der Leiche. »Es sei denn man verursacht durch den Druck auf die empfindlichen Halsschlagadern einen reflektorischen Herzstillstand.« Mendl steckte den Tupfer zurück und ließ das Röhrchen im Koffer verschwinden.

Pallasch stellte fest, dass ihm das Gerede des Arztes auf die Nerven ging. Mendl hatte die dumme Angewohnheit am Tatort seine Weisheiten zum Besten zu geben. Er plapperte einfach drauf los. Ohne Punkt und Komma. Pallasch vermutete, dass es eine Art Strategie war. Ein Schutzmechanismus. Mendl versuchte auf diese Weise dem Unfassbaren zu entrinnen. Durch das Herunterbeten medizinischer Fakten zerlegte er den Tod in seine Einzelteile. Einzelteile, die man leichter verstehen konnte. Das oberflächliche Gebäude der Wissenschaft hielt ihn fern vom Seelenkeller, wo die Gefühle lauerten. Pallasch konnte Mendl gut verstehen. Emotionen waren nicht gut in diesem Job. Ließ man sich verleiten, stieg man hinab in den Seelenkeller, verirrte man sich nur allzu leicht in den Gewölben. Und hatten sich Angst, Hass und Mitleid erst über einen hergemacht, dann war es vorbei mit Rationalität und Vernunft.

»Sie hat sich gewehrt, Herr Kommissar.« Mendls Blick wurde traurig. »Ich habe Hautfetzen unter ihren Nägeln entdeckt. Vermutlich die Haut des Täters.«

Pallasch sah durch das Glas über dem Bett in den Himmel. Dichte Wolken hatten sich vor die Sonne geschoben, den Raum schlagartig verdüstert. Seiner Stimmung erging es ebenso. Wie sehr er diese Arbeit doch hasste. All die Toten. All das Leid. Welcher Mensch konnte das auf Dauer ertragen? Inge hatte kürzlich gefragt, ob man sich an den Tod gewöhnen konnte. Ob die tägliche Nähe zu ihm, einem das Gemüt abhärtete, so wie Barfußgehen auf der Fußsohle Hornhaut wachsen ließ. Pallasch hatte über die Frage gelacht. ›Niemals!‹, hatte er geantwortet, es um ein Haar herausgeschrien. Niemand konnte sich vor dem Tod davonstehlen. Vor ihm war keiner sicher und jeder auf der Hut. Derjenige, der etwas anderes behauptete, war kein Mensch. Wer die Angst vor dem Tod verloren hatte, war nicht mehr am Leben. Niemand wusste das besser als Pallasch selbst.

»Ja was haben wir denn hier?« Mendl hatte sich eine Lampe auf die Stirn gesetzt, um mit der Pinzette im Mund der Toten umherzustochern. »Das steckte hinter den Zähnen.« Er hievte sich mühsam auf die Beine. Ein gelber, eiförmiger Gegenstand klemmte zwischen den silbernen Fasszangen. Lachmann eilte sich, den Fund aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen. Pallasch folgte, die Hände noch immer in den Hosentaschen.

»Hinter den Zähnen?«, fragte er, als er sich neben Lachmann über das Ei beugte. Blutiger Speichel klebte auf der Plastikoberfläche.

»Ihre Wangen wirkten so sonderbar aufgebläht. Deshalb habe ich dort nachgesehen.« Mendl hob den Kopf. Das Licht der Stirnlampe blendete Pallasch.

»Das ist ein Überraschungsei, Chef!« Lachmanns Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung. »Sie kennen das doch sicher? Spiel, Spaß und Schokolade?« Pallasch kannte es nicht, wollte es auch nicht kennen. Während er noch darüber nachsann, was das Ding im Mund der toten Frau zu suchen hatte, griff sich Lachmann das Ei und drehte es auf. Mit spitzen Fingern zog er einen Papierschnipsel daraus hervor.

»Was zum Teufel …« Pallasch fummelte rasch einen durchsichtigen Folienbeutel aus der Jackentasche. Lachmann faltete das Papier auseinander.

»Die Erste von Vieren. P.S.: Der Mops zählt nicht«, las er, die Stirn in Falten gelegt. Er reichte Pallasch den Zettel. Pallasch warf einen kurzen Blick auf die handgeschriebenen Worte. »Was soll das bedeuten, Chef?« Schweigend steckte Pallasch das Papier in den Beutel. Auf das Fenster über dem Bett prasselten dicke Regentropfen. Die Wolken dahinter waren zu einer dichten, grauen Wand verschmolzen. Er spürte Wut in sich aufsteigen, wie Wasserdampf in einem kochenden Teekessel. Am liebsten hätte er laut losgebrüllt, etwas kaputt geschlagen oder beides auf einmal. Er hatte sich verleiten lassen, war in den Seelenkeller hinabgestiegen. Nun fielen sie über ihn her, die Gefühle, die er nicht gebrauchen konnte.

Lachmann strich sich eine lange Strähne hinters Ohr, sie war unter der Haarhaube hervorgefallen. Der Kommissar war schlau genug ihn nicht anzusprechen, widmete sich dem Fellknäuel auf dem Nachtkasten. Auch Mendl schien zu ahnen, dass es besser war ihn in Ruhe zu lassen. Mit der Stirnlampe suchte er den Leichnam ab, befüllte Probenröhrchen. Pallasch sah ihm zu, lauschte dem Regen. Das beständige Klopfen beruhigte ihn. Die Wut verflog. Die Gedanken wurden klarer. Eine tote Frau. Ein ertränkter Hund. Triste Musik. Die Ankündigung weiterer Morde. Das Stück nahm Fahrt auf, auch wenn die Inszenierung so gar nicht nach seinem Geschmack war.

Das letzte Quartier

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