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ОглавлениеKapitel 6
Eichstätt, Gabrieli-Quartier, Innere Freiwasserstraße,
Samstag, 3. Oktober 2015, 13:43 Uhr
Das Schlafzimmer war riesig. Exakt in der Mitte stand ein gewaltiges Wasserbett. Exakt darüber konnte man durch ein kreisrundes Fenster den grau schattierten Himmel sehen. Pallasch verharrte im Türrahmen, ließ die Szene auf sich wirken. Eine Handvoll Tatorttechniker bevölkerte den Raum. In weißen Ganzkörperanzügen durchstöberten sie die wenigen Möbel, beleuchteten die Wände, krochen auf dem Parkett umher. Das Ganze von Musik untermalt, die aus dem Nichts zu kommen schien. Eine sanfte Stimme sang zu ruhigen Gitarrenklängen.
»Oh, you look so tired … Mouth slack and wide … Ill-housed and ill-advised … Your face is as mean as your life has been …«
Vor einem Sideboard am anderen Ende des Raumes stand Lachmann. Der Kommissar war ebenfalls in einen Ganzkörperanzug geschlüpft. Die langen Haare unter der Haube, das Gesicht hinter der Maske, verriet ihn lediglich der ihm so eigene Körperbau. Hochgewachsen und schlaksig. Lachmann hatte die Hände in die Hüften gestemmt, lauschte einem Techniker, der mit einem durchsichtigen Folienbeutel hantierte.
»And I know a place where no one is likely to pass … Oh, you don’t care if it’s late and you don’t care if you’re lost …«
Pallasch löste sich aus dem Türrahmen, näherte sich über eine auf dem Boden ausliegende Folie vorsichtig dem Bett. Eine Frau im Regenmantel lag auf der Matratze. Sie lag auf der Seite, die Beine angezogen, die Arme um die Knie geschlungen. Wie ein Embryo im Mutterleib. Pallasch stieg über eine Nummerntafel, trat an die Längsseite des Bettes. Konzentriert betrachtete er den toten Körper.
»And if it’s the last thing I ever do … I’m gonna get you crash into my arms … I want you … You don’t agree, but you don’t refuse … I know you …«
Nach und nach verdämmerten der Gesang und das hektische Treiben ringsum. Das bleiche Gesicht war ungeschminkt, die Lider unnatürlich weit geöffnet. Bräunliche Flecken verfärbten das Weiße in den Augen. Feine Fältchen ließen erahnen, dass sie gern gelacht hatte. Das helle Haar war streng in den Nacken geflochten. Pallasch ging in die Hocke, inspizierte die quer über den Hals verlaufenden Streifen. Brustkorb und Oberschenkel waren fast komplett unter dem schmutzig gelben Mantel verborgen. Über den Knien erkannte er Abschürfungen. Die Hände, die unter den Ärmeln hervorragten, waren feingliedrig, wie die eines Kindes. Die Füße steckten in fesselhohen Stiefeletten.
Pallaschs Kniescheiben begannen zu schmerzen, er richtete sich auf. Für einen Sekundenbruchteil wurde ihm schwarz vor Augen. Unsicher stolperte er zurück. Etwas berührte ihn am Bein. Mit einem lauten Pfeifton kehrten die Umgebungsgeräusche zurück.
»Tschuldigung, Herr Hauptkommissar.« Die weiß vermummte Gestalt kauerte neben dem Bett auf dem Boden. Sie hielt einen Fotoapparat vor dem Gesicht. Das Objektiv zielte auf eine kugelförmige Glasvase auf dem Nachtkasten. Es blitzte.
»Sind Sie das, Lehmeier?« Pallasch registrierte erleichtert, dass das Pfeifen in seinen Ohren leiser wurde. Lehmeier sprang auf, eilte ohne Antwort davon. Pallasch wunderte sich. Der Tatortfotograph schien beleidigt zu sein. Hatte er ihn während einer der letzten Ermittlung zu hart angepackt?
»Into the mercy seat I climb … My head is shaved, my head is wired … And like a moth that tries … To enter the bright eye … I go shuffling out of life … Just to hide in death awhile …«
Pallasch richtete seine Aufmerksamkeit auf die Vase. Sie war bis zum Rand mit Wasser gefüllt. Ein dunkles Fellknäuel schwamm darin. Er betrachtete das Gefäß genauer, erschrak. Zwei schwarze Augen starrten ihn an.
»Ein Hund, Chef.« Lachmann stand ihm gegenüber am Bettkasten. »Ein Mops im Wasserbett, um genauer zu sein.« Der Kommissar lachte aufgekratzt, deutete zur Decke. »Und hören Sie die Musik, Chef? Die läuft schon die ganze Zeit. Wir haben keine Ahnung woher sie kommt und wie man sie abstellt.«
Pallasch schwieg, legte nachdenklich den Kopf in den Nacken, sah durch das Fenster über dem Bett in die Wolken.
»And the mercy seat is burning … And I think my head is glowing … And in a way I’m hopin’ to be done with all this twistin’ of the truth … An eye for an eye … And a tooth for a tooth … And anyway there was no proof … And I’m not afraid to die …«
Eine arrangierte weibliche Leiche. Ein toter Hund im Wasserglas. Wundersame Musik aus dem Nirgendwo. Das alles war eine Show. Eine morbide Show. Eigens für ihn inszeniert. Und im Regiestuhl hockte ein Mörder.