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ОглавлениеKapitel 12
Eichstätt, Gabrieli-Quartier, Innere Freiwasserstraße,
Samstag, 3. Oktober 2015, 15:46 Uhr
Ins Sofapolster gesunken überlegte Ignatz, was der dunkelhaarige Kommissar von ihm halten mochte. Wieder einmal war er mit Theo mir nichts, dir nichts in eine Mordermittlung hineingeplatzt. Das vierte Mal schon. Da musste man ja misstrauisch werden. Die Hände in den Jackentaschen starrte der Mann ihn an. Breitbeinig. Unrasiert. Kaugummikauend. Das klischeehafte Abziehbild des übellaunigen Ermittlers. Sein Gebaren so leicht zu durchschauen und dennoch verfehlte es die Wirkung nicht. Ignatz musste sich eingestehen, dass er unter dem Blick nervös geworden war, mit jeder Minute nervöser wurde. Ganz anders als der Kommissar seine Kollegin: Ein quirliger Lockenkopf mit lachenden Augen. Alles an ihr strahlte Vertrauen aus. Ignatz war einigermaßen erleichtert, dass sie das Verhör führte.
»Sie überlegen also in Eichstätt eine Praxis zu eröffnen?«, fragte sie Theo gerade, eine Hand ins krause Haar gekrallt.
»Ich bin noch nicht sicher.« Theo lächelte bescheiden.
»Berlin gegen Eichstätt eintauschen. Das soll gut überlegt sein. Nicht jeder ist fürs Kleinstadtleben geschaffen.« Sie lächelte zurück. Ein entzückendes Lächeln. Nur ein Mundwinkel hob sich, zauberte ein wundervolles Grübchen auf ihre Wange.
»Das kann ich nachvollziehen«, lachte sie. Ignatz stöhnte auf, unbemerkt im Geiste. Theo, der Schlingel, hatte es wieder geschafft. Sie war um den Finger gewickelt. Er, Ignatz, hatte da weit weniger Glück. Der Beamte nahm ihn noch immer ins Visier. Kaugummikauend. Unrasiert. Breitbeinig. Die Schiebetür zur Küche wurde einen Spaltbreit aufgezogen. Ein Gesicht lugte hindurch.
»Verzeihung, aber wie lang wird’s denn noch dauern?« Der Schwarzbärtige zeigte auf die klobige Uhr an seinem Handgelenk. »Langsam wird uns nämlich die Zeit lang.«
»Sie werden sich gedulden müssen«, schnaubte die Kommissarin mit einem Lächeln für Theo. »Es gilt einen Mord aufzuklären. Das braucht seine Zeit.« Die Tür öffnete sich komplett. Hinter dem Bärtigen drängte die Alte in den Raum.
«Ich steh der Polizei immer gern zur Verfügung, Frau Kommissarin«, krakelte sie, den Gehstock schwingend. »Aber dahoam. Da sind nämlich die Tabletten, die ich einnehmen muss, wenn’s heut ned noch a zweite Leich beklagen wollen.« Theatralisch fasste sie sich an die Hüfte. Das schnieke Pärchen lauerte abwartend in der Tür.
»Ja, wenn das so ist.« Die Kommissarin zögerte, aus dem Konzept gebracht. Ihr Kollege fixierte Ignatz noch immer. Eine Spur weniger energisch vielleicht. »Sie können gehen«, entschied sie kurzerhand. »Wir nehmen Ihre Aussage später auf.« Der Anzugträger rückte in die Tür, hatte eine Chance gewittert.
»Ich hab mit der Leich auch nix am Hut«, meldete er sich zu Wort. »Schlimm genug, dass einem so etwas zugemutet wird, darf man sich auch noch wie ein Schwerverbrecher behandeln lassen.« Seine Begleiterin, die Einfalt in Person, klimperte zustimmend mit den Lidern. Der mürrische Kommissar löste den Magnetblick.
»Jetzt reicht’s!« Ganz langsam drehte er die Kappe auf dem Kopf, so dass der Schirm im Nacken hockte. »Sie bleiben hier. Und zwar alle!« Grob packte er die Alte am Arm, manövrierte sie zurück in die Küche. Sie leistete keinen Widerstand. »Als Zeugen in einem Mordfall ist es Ihre verdammte Pflicht …«
Die folgenden Ausführungen zur Staatsbürgerkunde hörte Ignatz nur mit einem Ohr. Seine Gedanken waren bei der ermordeten Frau, die auf der Matratze im Schlafzimmer weiter hinten in der Wohnung lag. Er hatte schon viele Tote gesehen. Es lag in der Natur der Sache, dass er ihnen als Seelsorger in der Sterbebegleitung hin und wieder über den Weg lief. Das hier aber war etwas anderes. Er hatte die Frau gekannt. Ihr Name war Franziska. Und Franziska war nicht auf natürliche Weise gestorben. Nicht alt und schwach einer langen Erkrankung erlegen. Nicht schicksalhaft bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Sie war nicht unerwartet über Nacht in ihrem Bett verschieden, gnädig dahingerafft von einer Hirnblutung oder einem Herzinfarkt. Franziska war ermordet worden und der Mörder hatte sie wie eine Schaufensterpuppe ausgestellt. Sie in Szene gesetzt, wie in einem Film. Sie sollte in der Wohnung gefunden werden, größtmögliche Aufmerksamkeit erregen. Ihr Tod war präzise vorbereitet. Wer tat so etwas? Und warum? Die Unruhe im Raum hatte sich gelegt. Die Widerspenstigen waren zurück in die Küche getrieben, die Verbindungstüre wieder geschlossen.
»Wo waren wir stehengeblieben?«, nahm die hübsche Kommissarin den Faden wieder auf. Mit einem schiefen Lächeln für Theo. Einem zauberhaften schiefen Lächeln. Natürlich. Ignatz hingegen bekam es wieder mit dem grimmigen Kollegen zu tun. Breitbeinig und kaugummikauend baute er sich vor dem Sofa auf, richtete den sezierenden Blick auf ihn. »Ist Ihnen denn irgendetwas aufgefallen bei der Wohnungsbesichtigung?«
»Etwas aufgefallen?« Theo kniff ein Lid zu, während er nachdachte. »Ja, doch.« Er drehte die Hand, mimte eine Sperrbewegung. »Die Wohnung war nicht verschlossen. Der Makler musste die Tür nicht aufsperren.«
»Nicht abgeschlossen?« Die Kommissarin stampfte mit dem Stiefelabsatz aufs Parkett. Ignatz zuckte zusammen.
»Und dann war da noch diese Musik.« Er versuchte sich selbst an einem unschuldigen Lächeln. »Überall in der Wohnung war Musik.« Der Kommissar drehte die Kappe auf dem Kopf. Ignatz drückte sich ins Polster.
»Was für Musik?«, brummte er, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
»Unheimliche«, entgegnete Ignatz leise, spürte wie sich in seinem Nacken die Härchen aufrichteten.