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ОглавлениеKapitel 11
Eichstätt, Gabrieli-Quartier, Innere Freiwasserstraße,
Samstag, 3. Oktober 2015, 15:26 Uhr
»Sie kannten die Tote?« Funke fuhr erschrocken zusammen. Pallasch war sehr viel lauter geworden, als notwendig. Es kümmerte ihn nicht.
»Aber sicher, Herr Kommissar.« Umständlich verfrachtete Funke das Tuch zurück in die Brusttasche. »Ihr Name ist … ähm … war Franziska Schlotter. Sie ist … ähm … war die Frau vom Chef. Herr Schlotter wird …«
»Schlotter?« Lachmann ließ das Notitzbuch sinken. »Schotterschlotter?« Funke runzelte die Stirn.
»Das ist nicht fair, Herr Kommissar.« Er zog die Hemdsärmel unter dem Jackett hervor. »Bernhard Schlotter ist ein ehrenwerter Geschäftsmann. Aber natürlich ruft der Erfolg auch Neider auf den Plan.« Der Makler blickte auf seine Schuhspitzen. Sie waren blankpoliert.
»Was soll das heißen?«, hakte Pallasch nach. Funke drehte den goldenen Ring an seinem Finger, während er antwortete.
»Herr Schlotter führt in Eichstätt ein sehr erfolgreiches Bauunternehmen.« Er hob den Blick, ließ ihn über die Stadt hinter der Scheibe schweifen. »Wir stehen hier in einem seiner Gebäude.« Funke war eingeschnappt, Pallasch bemerkte es am Tonfall. »Den Namen Schotterschlotter haben ihm seine Gegner im Stadtrat verpasst. Sie müssen wissen, dass sich das Bauunternehmen Schlotter aktiv in der Flüchtlingspolitik engagiert.« Der Makler unterstrich seine Worte mit einem Kopfnicken. »Das Wohnheim dort unten …« Er tippte den manikürten Zeigefinger ans Glas. »Die Firma Schlotter hat es erst kürzlich im Auftrag der Stadt errichtet.« Pallasch betrachtete die von einem hohen Zaun umgebenen Gebäude. Von hier oben sahen sie aus wie die Baracken eines Kriegsgefangenenlagers.
»Und das will der neuen Rechten im Stadtrat natürlich nicht schmecken.« Lachmann stach mit dem Bleistift ein Luftloch, ehe er ihn wieder in sein Büchlein senkte.
»Wem sagen Sie das, Herr Kommissar.« Funke seufzte zustimmend. Er wirkte schon etwas weniger feindselig. »Eugen Lewandofski wirft Herrn Schlotter vor, sich auf Kosten der Stadt zu bereichern. Was natürlich total absurd ist. Sie können sich vorstellen, dass das Wohnheim dem Absatz unserer Wohnungen nicht gerade förderlich ist.«
Pallasch erinnerte sich. Lewandofski war Gründer der sogenannten Bajuwarenfront. Mit seiner Rechtspartei hatte er bei den Stadtratswahlen im vergangenen Frühjahr einen Sitz im Eichstätter Rathaus ergattert. Zuvor hatte Lewandofski kräftig Stimmung gemacht im Altmühltal. In jedem noch so unscheinbaren Kaff vom Wahlplakat gegrinst. Mit Parolen wie ›Keine Moschee in der Bischofsstadt!‹ oder ›Ist der Murat kriminell, ab nach Hause, aber schnell!‹ war er beim Volk gut angekommen. Die Leute hatten ihn gewählt, auch wenn es im Nachhinein keiner mehr gewesen sein wollte. Die Presse heuchelte Betroffenheit. Politiker gaben sich schockiert. Demokratische Bürgerinitiativen beklagten einen zunehmenden Populismus. Niemand wollte zugeben, dass der Mann einen Nerv getroffen hatte. Die Menschen hatten Angst. Angst vor der Zukunft. Angst vor dem Fremden. Angst vor sich selbst. Sie glaubten nicht mehr an den Staat, waren politikverdrossen. Sie konnten die immergleichen Sprüche zu immergleichen Problemen nicht mehr hören. Die etablierten Parteien hatten versagt. Etwas Neues musste her. Etwas, das einfache Lösungen versprach. Etwas, das auch die abgebrannteste Kerze wieder zum Leuchten brachte. Genau das versprach Lewandofski mit seiner völkischen Bewegung. Er lockte mit einer neuen Heimat für die Abgehängten. Einer Verlockung, der Deutschland schon einmal nicht hatte widerstehen können. Einer Verlockung, die fünfundsechzig Millionen Menschen den Tod gebracht hatte.
Die Aufzugtüren öffneten sich geräuschlos. Ein untersetzter Mann in leuchtend gelber Weste stieg aus der Kabine.
»Tschuldigung.« Er stoppte vor Lachmann, die Arme steif am Körper, das Kinn auf die Brust gesenkt. »Brauchen’s mich noch? Ich würd sonst nämlich gern gehen.« Lachmann schielte zu Pallasch.
»Das ist Felix Brandner, Chef. Er ist der Bauleiter. Ich hab seine Aussage schon aufgenommen.« Er pochte den Bleistift aufs Notizbuch. »Viel hat der Herr Brandner allerdings nicht zu berichten gewusst. Er war nicht mit dabei, als die Leiche entdeckt wurde.« Leise Kaufhausmusik drang aus der Kabine. Pallasch dachte an die mysteriöse Musik in der Wohnung.
»Haben Sie eine Ahnung, weshalb in der Wohnung Musik läuft, Brandner?« Er sah aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Wolkendecke war aber noch immer dicht geschlossen.
»Musik?« Brandner guckte drein, als habe Pallasch ihn gebeten Einstein’s Relativitätstheorie zu erläutern. »Was für a Musik?«
»Herr Brandner kennt sich mit unserer Musterwohnung nicht aus, Herr Kommissar«, sprang Funke dem Bauleiter zur Seite. »Für die Feinheiten ist er nicht zuständig. Er ist eher unser Mann fürs Grobe.« Brandners Gesicht wurde schlagartig farblos. Funke ließ das kalt. Unbeirrt sprach er weiter.
»Die Musik ist ein Verkaufstrick. Wir spielen sie, um unsere Kunden in Laune zu bringen. Das Rundumsorglospaket. Sie verstehen, Herr Kommissar?« Pallasch verstand.
»In Laune bringen?« Lachmann kratzte sich mit dem Bleistift am Kopf. »Mit diesen tristen Songs? Die würd ich ja nicht mal auf einer Beerdigung spielen.« Funke blies die Wangen auf, ließ geräuschvoll die Luft entweichen.
»Herr Schlotter persönlich kümmert sich um die musikalische Untermalung unserer Führungen.« Er richtete den Scheitel, der nicht gerichtet werden brauchte. »Er selbst wählt die Songs aus.« Pallasch sah aus dem Fenster.
»Wo finden wir Schlotter?«, fragte er. Funke sagte die Adresse, Lachmann notierte sie. Unten eilte eine Gruppe dunkelhäutiger Männer über den morastigen Platz. Das war er also, dachte Pallasch. Der Schrecken des braven Bürgers. Aus syrischem Kriegsgebiet geflohen. In der Bischofsstadt interniert.
»Also, ich bin dann mal weg.« Brandner trat in die Kabine, drückte den Finger auf einen der Etagenknöpfe. Lautlos verschwand seine Gestalt hinter den schließenden Türen.
»Hatten die Schlotters häufig Streit?«, wandte sich Pallasch an Funke.
»Streit?« Der Makler tat überrascht. »Niemals, Herr Kommissar. Herr und Frau Schlotter waren ein Herz und eine Seele. Ein Traumpaar. Wirklich.« Pallasch nickte. Ein Traumpaar also. Da sprach die Statistik dagegen. Mehr als neunzig Prozent aller Tötungsdelikte waren Beziehungstaten. Während Lachmann Funke nach seinen Personalien fragte, die er säuberlich ins Notizbuch kritzelte, beobachtete Pallasch die fremdländischen Männer, die sich unten im Dämmerlicht vor einer Baracke versammelt hatten. Nur schemenhaft konnte er sie erkennen. Der Regen hatte wieder eingesetzt. Auf der Scheibe verschmolzen die Wassertropfen, ließen die Welt dahinter verschwimmen.