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Kapitel 2

Ingolstadt, Neubaustraße,

Freitag, 2. Oktober 2015, 23:49 Uhr

Pallasch drückte den Schalter, huschte ins Badezimmer, zog die Tür hinter sich zu. Die Hände auf den Rand des Waschbeckens gestützt, blinzelte er in den Spiegel. Das Gesicht mit den hohlen Augen und den hervorstehenden Wangenknochen wollte ihm nicht gefallen. Es war das Gesicht eines alten Mannes. Eines Mannes, der am Abgrund lebte, stets nur einen Schritt davon entfernt in die Tiefe zu stürzen. Die Übelkeit kam völlig überraschend, Pallasch schaffte es gerade noch den Toilettendeckel aufzuziehen. Im Schwall erbrach er sich in die Schüssel. Es ging so schnell, er hatte nicht einmal würgen müssen. Die Magensäure ließ ihm die Zunge anschwellen, wie ein Knebel füllte sie seinen Mund. Eine düstere Reminiszenz an damals, als der Brechreiz ihn noch jede Nacht aus dem Schlaf gerissen, der falsche Freund über ihn geherrscht, er die Finger nicht von der Flasche hatte lassen können. Er drückte die Spülung. Sie lärmte laut wie ein Wasserfall. Im Spiegel zeigte sich das Gesicht eines Toten. Fahl und wächsern. Pallasch wandte den Blick ab, öffnete den Hahn. Er hielt die Hände unter das eiskalte Wasser, dachte an den Traum aus dem er vor wenigen Minuten hochgeschreckt war.

Es war ein verrückter Traum gewesen. Gemeinsam mit Inge hatte er im Schatten unter Palmen an einem Sandstrand gelegen. Sie hatten der Brandung gelauscht, aufs Meer hinausgeblickt, als urplötzlich eine Gruppe junger Menschen vor ihnen im Wasser aufgetaucht war. Die Gruppe war näher gekommen. Erst als sie ganz nah war, hatte Pallasch erkannt, dass jeder einzelne schwer verletzt war. Einem langhaarigen Jungen fehlten beide Unterarme. Unbeholfen wedelte er mit den blutigen Stümpfen, wie ein Küken bei ersten Flugversuchen. Ein anderer hielt sich den offenen Bauch. Zwischen den Fingern feucht glänzende Darmschlingen. Die Frau, die hinter den beiden durchs flache Wasser robbte, hatte nur noch ein Bein. Eine Blutspur folgte ihr, schlängelte sich hellrot durch azurblaues Wasser. Inge war aufgesprungen, wollte helfen. Pallasch aber hatte sie zurückgehalten, den Horizont abgesucht, jeden Augenblick damit gerechnet, die Rückenflosse eines Hais zwischen den schaumgekrönten Wellen auszumachen. Umso erstaunter war er gewesen, als auf einmal der splitternackte Körper eines Greises aus dem Wasser schoss. Sardonisch grinsend war der Alte auf sie zugestürzt, eine röhrende Motorsäge in den knochigen Händen. In dem Moment war Pallasch erwacht.

Er drehte den Hahn ab, trocknete die Hände. Nach einem weiteren Blick in den Spiegel stieg er aus dem schweißnassen Pyjama, ließ ihn achtlos auf die Fliesen fallen und schlich aus der Tür. Nackt tastete er sich an der Wand entlang durch die Dunkelheit, als ihm klar wurde, was der Traum zu bedeuten hatte. Zwei Millionen Jahre Evolution hatten nichts bewirkt. Der Mensch war noch immer ein Raubtier. Das Schlimmste, was er zu fürchten hatte, war er selbst. Er erreichte das Schlafzimmer, hockte sich auf die Bettkante. Eine Weile lauschte er den gleichmäßigen Atemzügen. Die trüben Gedanken verflogen. Das Gefühl der Enge in seiner Brust wurde leichter. Er schlüpfte unter die Decke, schmiegte sich an ihren Körper, schloss die Lider. In seinem Kopf erklang eine Melodie. Glad I found you. Wenig später war er eingeschlafen.

Das letzte Quartier

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