Читать книгу Das letzte Quartier - Dennis A. Nowak - Страница 6
ОглавлениеProlog
Dollnstein, Bahnhof,
Freitag, 2. Oktober 2015, 21:38 Uhr
Der Bursche beachtete ihn gar nicht. Die Kopfhörer auf den Ohren öffnete er das Schloss und hob mit einem Scheppern das Fahrrad aus dem Ständer. Dann schlenderte er in Richtung Bahnhofsgebäude davon, das Rad lässig neben sich herschiebend. Er sah ihm nach, bis seine Gestalt im Schummerlicht hinter dem klobigen Bau verschwunden war. Auf dem Parkplatz vor dem Supermarkt lachte jemand, viel zu laut. Von der Straße war das Aufheulen eines Motors zu hören. Er zog die Mütze aus der Jackentasche und streifte sie über den Kopf. Seine Wimpern verhakten sich in der feinen Wolle, als er hinter dem Fahrradhäuschen hervortrat, um in Richtung der Gleise zu spähen. Verärgert zupfte er an den Lidschlitzen. Er hätte sie größer ausschneiden sollen, doch dafür war es nun zu spät. Einige Sekunden blickte er mit angehaltenem Atem und pochendem Herzen zu den flachen Bauten hinüber. Keine Menschenseele war zu sehen. Er legte den Rucksack über die Schulter und sprang ins Gleisbett hinab. Nach dem dritten Schritt blieb seine Fußspitze an einer Bohle hängen. Er taumelte. Nur mit Mühe konnte er sich auf den Beinen halten. Leise fluchend stolperte er weiter.
Dort wo der Bahnsteig endete und die matten Energiesparlampen schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr brannten, duckte er sich ins Gestrüpp. Hektisches Rascheln ließ ihn zusammenfahren. Vermutlich irgendein Tier, das sich im Gebüsch auf die Lauer gelegt hatte. Vielleicht eine Katze? Oder ein Marder? Egal. Das Rascheln verstummte und er kniete nieder, um sich für einen Moment zu sammeln. Die Wolle über Mund und Nase war vom Atmen ganz feucht. Als er sich über die spröden Lippen leckte, blieben ein paar Fäden an seiner Zungenspitze haften. Vergeblich versuchte er sie auszuspucken. Er nahm sich vor für das nächste Mal ein Atemloch auszuschneiden.
Die Kälte tat gut, kühlte ihm das Gemüt. Auch das Pochen in den Schläfen ließ nach. Er befreite sich aus den dornigen Ästen, die ihm durch den Stoff der Jacke in die Arme stachen, zog den Rucksack von den Schultern. Langsam öffnete er den Reißverschluss, kramte Flasche und Feuerzeug hervor. Ließ sich Zeit damit, hatte keine Eile. Die Schatten konnten nicht fliehen, würden ihm nicht entkommen. Langgestreckt lagen sie vor ihm in der Dunkelheit. Wie Wale, die gestrandet auf den sicheren Tod warteten. Knapp zwei Wochen hatte es gedauert die Baracken auf dem morastigen Boden zu errichten. Noch waren sie unbewohnt. Aber nicht mehr lange. Schon am Montag sollten die ersten Flüchtlinge dort einziehen. Sollten … Er schüttelte den Kopf. Es war so grotesk, am liebsten hätte er laut losgelacht. Überall im schönen Altmühltal verschandelten Wohncontainer Orte und Landschaften. Schuhkartons, aufgereiht einer neben dem anderen, von einem findigen Bauunternehmer, der die Gunst der Stunde erkannt und geschickt für sich zu nutzen wusste. Einer von vielen Trittbrettfahrern auf der Welle der staatlich verordneten Willkommenskultur. Pah! Wie er dieses Wort hasste. Willkommenskultur. Blanker Hohn! Niemand war willkommen. Keiner der dunkelhäutigen Fremden war eingeladen, gekommen waren sie trotzdem. In Massen. Und nun errichtete man ihnen auf Kosten des Steuerzahlers nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern versorgte sie auch noch mit Taschengeld, Sprachkursen und freiem Arztbesuch. Völlig absurd. Kein braver Deutscher kam in den Genuss solcher Privilegien.
Er dachte an seinen Vater. Der Alte arbeitete bis zu zwölf Stunden täglich. Hatte seit Jahrzehnten keinen einzigen Tag krankgefeiert. Noch nie eine Kur in Anspruch genommen. Geschenkt bekommen hatte er dafür gar nichts. Im Gegenteil. Sein Leben war ein einziger Scherbenhaufen. Eine gescheiterte Ehe und einen Berg Schulden. Das war alles, was ihm sein verdammtes Pflichtbewusstsein eingebracht hatte. Ohne Beruhigungsmittel konnte er nachts nicht schlafen und wenn er in wenigen Jahren in Rente ging, würde er sich allein kaum über Wasser halten können. So erging es seiner Generation. Der Generation der Vergessenen. Über Jahrzehnte hatten sie dieses Land groß gemacht. Gebuckelt ohne zu murren. Steuererhöhungen hingenommen. Dem Osten blühende Landschaften beschert. Jede noch so dreiste Lüge der Führenden mit einem Schluck Bier hinuntergespült. Jede Erniedrigung ertragen. Doch jetzt war Schluss damit. Das Maß war voll. Übervoll!
Was wollten diese verfluchten Syrer, Afghanen und Iraker eigentlich hier? Glaubten die ernsthaft, sie könnten sich im deutschen Sozialwanst festbeißen? Wie ein Zeck Blut saugen, bis sie satt und Deutschland tot war? Sich laben am fetten Euter der deutschen Melkkuh? Er könnte kotzen, wenn er daran dachte, dass einige seiner Landsleute auch noch Mitleid hatten mit diesen Schmarotzern. Elende Gutbürger, die nicht begreifen wollten, dass mit jedem der ein Bleiberecht erhielt, etliche weitere nachfolgten. Familiennachzug nannte man das. Widerlich. Das Trojanische Pferd des Arabers mitten im Herzen Europas. Und diese Idioten von der Presse hatten nichts Besseres zu tun, als den Pseudohumanismus auch noch zu fördern. Ließen Bilder von traurig dreinschauenden Kindern und prügelnden Grenzpolizisten ins Wohnzimmer flattern, um dem depperten Deutschen das Herz zu erweichen. Dabei hatte der Orbán Viktor doch Recht. Sein Land wurde überrannt. Der Mann tat nichts anderes, als sein Volk zu schützen. Genau das sollte die Merkel auch endlich tun. Doch anstatt auf die Straße zu hören und zu handeln, versteckte sich die Kanzlerin hinter Floskeln. ›Wir schaffen das!‹ Ja, genau! Irgendwann war es geschafft, dass Deutschland im islamischen Terror versank und auf bayerischen Kirchtürmen das schwarze Banner der Dschihadisten wehte. Wie zur Mahnung begann in der Ferne die Turmuhr zu schlagen. Einmal. Zweimal. Beim dritten Schlag erhob er sich. Zündete das Feuerzeug und schlich an den Maschendrahtzaun. Es war soweit. Zeit die Scharte auszuwetzen. Zeit die Schatten den Flammen zu übergeben.