Читать книгу Heinrich Töpfer und die Jubelkugel - Detlef Köhne - Страница 12
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ОглавлениеDer Cursor verharrte blinkend hinter dem letzten Wort. Heinrichs Vater nahm die Brille ab und putzte sie hektisch mit dem Rand seines T-Shirts.
»Das ist ja unglaublich«, murmelte er und setzte die Brille wieder auf. »Das grenzt an Zauberei.«
Der Cursor huschte aufs Neue über den Bildschirm und schrieb: ›Natürlich ist das Zauberei, Sie Schlauberger. Wie sollten wir Sie denn sonst in Ihrem verkehrsberuhigten Vorstadtgetto auftreiben?‹
Heinrich spürte, wie sich ihm die Nackenhärchen aufstellten.
Sein Vater pfiff leise durch die Zähne. »Fantastisch. Spracherkennung über Mikrofon und ...«
›Nur, um das abzukürzen‹, schrieb die Owl-Software, ›holen Sie mir doch bitte den jungen Potter ans Gerät. Wir haben geschäftlich zu reden. Oder noch besser, zeigen Sie ihm einfach den Brief, schnappen Sie sich die Ausrüstungsliste und sorgen Sie dafür, dass Mr. Potter morgen seinen Kram vollständig hat. Denken Sie an den Ladenschluss.‹ Pause. Dann: ›Sind Sie noch da? Was ist jetzt mit Harry? Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.‹
Paul räusperte sich und näherte sich vorsichtig dem eingebauten Mikrofon. »Ja, äh ich ..., also ich habe keinen Schimmer, wie das alles so funktioniert und ich weiß auch nicht, was das Ganze soll, aber ...« Er holte tief Luft und sammelte sich. »Wir heißen gar nicht Potter, sondern Töpfer, und mein Sohn heißt Heinrich, nicht Harry.«
›Haha, sehr witzig. Wenn Sie Ihren Neffen vor uns verstecken wollen, hätten Sie sich etwas Besseres einfallen lassen sollen, als nur seinen Namen einzudeutschen, Mr. Durstig.‹
»Moment, Durstig? Jetzt wird mir einiges klar! Hier liegt eine Verwechslung vor! Sie meinen gar nicht uns, sondern die Typen, die früher hier gewohnt haben. Wermut und Petunie Durstig und ihren fetten Sohn Diddl. Bei ihnen wohnte damals auch ein Balg namens Harry. Wir haben das Haus vor gut zehn Jahren von ihnen gekauft.«
›Netter Versuch, Mr. Durstig. So leicht wird Harry – oder, falls Ihnen das lieber ist: Heinrich – nicht um seine Einschulung in Hochwärts herumkommen. Was soll überhaupt das Herumgezicke? Ich dachte, Sie seien froh, wenn wir Ihnen den Bengel abnehmen.‹
Paul blickte auf und verzog das Gesicht. »Ich kann's nicht glauben. Ich unterhalte mich mit einem Computer.« Sein Lachen klang eine Spur zu hoch.
›Jaja, herzlichen Glückwunsch. Sie haben den ersten Schritt in eine größere Welt getan‹, schrieb der Cursor ironisch.
»Ich hasse vorlaute und sarkastische Computer.«
›Und ich hasse es, meine Zeit mit Ihnen zu vergeuden. Holen Sie mir nun endlich Ihren Neffen ans Gerät?‹
»Ich bin hier«, sagte Heinrich mit belegter Stimme. Das Ganze war ihm äußerst unheimlich.
›Ah, perfekt. Mr. Potter. Erfreut, Sie kennenzulernen. Ihr Onkel scheint ein wenig schwer von Begriff zu sein, aber ich bin sicher, jetzt kommen wir weiter. Gewiss haben Sie Ihren Brief bereits erwartet. Alle sind immer total scharf darauf, endlich ihren Brief zu bekommen. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber wir hatten Schwierigkeiten, Ihre E-Mail-Adresse herauszubekommen. Da die Zeit zum Einkaufen dadurch etwas knapp geworden ist, schicke ich Ihnen als Unterstützung gerne Hagweed vorbei. Kinder, die in Nupsihaushalten aufgewachsen sind, benötigen häufig etwas Starthilfe.‹
»Wieso Starthilfe? Und was für eine Einschulung? Ich bin längst eingeschult. Außerdem kann ich morgen nicht. Ich bin mit Freunden verabredet«, ratterte Heinrich perplex herunter. »Und wozu überhaupt? Wenn ich doch gar nicht der bin, den Sie ...«
›Du lieber Himmel! Ist es wirklich so schlimm mit Ihren Pflegeeltern, dass Sie Ihre eigene Existenz verleugnen müssen? – Hören Sie, Mr. Pot...‹
»Töpfer«, unterbrach Heinrich. Ein nervöses Kribbeln ergriff Besitz von ihm.
›Also gut: Herr Töpfer, wenn Sie darauf bestehen‹, setzte das Programm neu an. ›Auch wenn es bedauerlich ist, dass wir Ihnen die Durstigs nicht ersparen konnten, erschien uns eine Unterbringung bei den Nupsis unter den damaligen Umständen einfach am sichersten. Nachdem Sie allein durch den Umstand Ihrer Geburt die Macht von Dem-dessen-Name-mir-gerade-nicht-einfällt gebrochen hatten, hielten wir es für angebracht, sie vor möglichen Racheaktionen zu schützen.
Wie dem auch sei, das Exil ist vorüber und es ist an der Zeit, dass Sie den Ihnen gebührenden Platz einnehmen. Und deshalb täten Sie mir wirklich einen großen Gefallen, wenn Sie sich einfach zusammenreißen, Ihre Einladung zur Kenntnis nehmen und sich um Ihre Einkäufe kümmern würden.
Hagweed wird gleich bei Ihnen sein. Wir sehen uns dann morgen.
Guten Tag und meine Empfehlung an Ihre Pflegeeltern.‹
Der Cursor blinkte noch ein paarmal gleichmäßig am Ende der Zeile. Alsdann öffnete sich ein neues Fenster der Owl-Software und lud die Einkaufsliste. Noch während der Text sich aufbaute, hatte Heinrichs Vater zum Hauptschalter gegriffen und das Notebook ausgeschaltet. Das leise Surren des Gerätes erstarb. Er schaute Heinrich verstört an und atmete ungewohnt schnell. Kleine Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, und sie kamen nicht vom Zwiebeln schneiden. Immer wieder schüttelte er den Kopf.
»Computer sind dumm«, sagte er schließlich und bemühte sich, seiner Stimme einen festen Klang zu geben. »Sie führen nur aus, was ihnen einprogrammiert wurde und nichts weiter, stimmt's? Da muss jemand einen verdammt cleveren Virus entwickelt haben. Wir glauben doch nicht an den Weihnachtsmann, oder? Hahaha. Wir installieren die Kiste neu und schon ist alles in bester Ordnung.«
Sein Vater klang bei dieser Aussage selbst nicht vollends überzeugt, und auch Heinrich hatte seine Zweifel daran, dass hier etwas zugange war, das sich mit einer simplen Neuinstallation beheben ließ.
Wie zum Beweis begann das Betriebslämpchen des Notebooks plötzlich zaghaft zu blinken und der Startvorgang lief an. Heinrich spürte eine deutliche Gänsehaut seinen ganzen Körper hinabrieseln. Der Bildschirm blieb dunkel, doch dieses Mal – und das war weit schlimmer, als wäre erneut die Owl-Software erschienen – knirschte plötzlich in ziemlich miserabler Geräuschqualität eine scheppernde Frauenstimme aus den kleinen Lautsprechern und traf die beiden wie ein Faustschlag in die Magengegend.
»Bevor Sie nicht nur meine, sondern auch Ihre Zeit verschwenden – schenken Sie sich das mit der Neuinstallation«, sagte die Stimme wie aus weiter Ferne. »Wie ich das so sehe, ist das Gerät tipptopp eingerichtet und absolut virenfrei. Könnte höchstens einen flotteren Grafikchip vertragen, sonst kriegen Sie ›Heroes of Night and Panic IV‹ damit nie vernünftig zum Laufen. Fragen Sie mich ruhig, falls Sie Hilfe beim Endgegner brauchen. Ach, und was ich noch loswerden wollte: Ich hoffe, die Mädchen auf Ihrer Netzwerkfestplatte im Arbeitszimmer sind alle über achtzehn.« Ein metallenes Lachen erklang. »Sorry, war nur ein Witz. Manchmal kann ich einfach nicht widerstehen.«
Paul stürzte vor, drückte erneut den Ausschaltknopf, riss die Netzwerkkarte und den Akku aus dem Notebook und schob die Gegenstände zitternd von sich, als wären sie vergiftet.
»Sohn«, sagte er mit flackerndem Blick und wischte sich fahrig die Stirn. »Ich glaube, wir haben beim Grill anzünden zu viel Rauchgas eingeatmet.«
Ein Klappern ertönte aus dem nebenan gelegenen Arbeitszimmer und ließ sie beide aufhorchen.
»Das ist dein Drucker«, sagte Heinrich mit tonloser Stimme.
Deutlich vernahmen sie den Papiervorschub und das regelmäßige Hin und Her des Druckkopfes, der im Nachbarzimmer Zeile um Zeile Tinte auf das Papier sprühte.
»Glaubst du, es hört von allein auf, wenn wir es ignorieren?«, fragte Paul unsicher, bevor er sich, ohne Heinrichs Antwort abzuwarten, zögernd Richtung Arbeitszimmer bewegte.
Heinrich sprang von dem Barhocker und folgte ihm. Rechner, Akku und Netzwerkkarte nahm er vorsichtshalber mit. Besser er behielt das Zeug bei sich, bevor sein Vater es in den Backofen stopfte und auf Pyrolyse Selbstreinigung bei 400 Grad drückte.
Der Drucker spie gerade das dritte bedruckte Blatt Papier aus, bevor der Druckkopf des Tintenstrahlers seine Tätigkeit einstellte und in die Bereitschaftsstellung zurückglitt. Mit spitzen Fingern nahm Heinrichs Vater die Blätter aus der Papierführung. Heinrich stellte sich hinter ihm auf die Zehenspitzen und las mit.
›Bevor Sie gleich auch noch anfangen Ihren Drucker auseinanderzubauen, nehmen Sie bitte noch zur Kenntnis, dass der Junge die Liste für seine Einkäufe brauchen wird. Verschlampen Sie sie also nicht. Hagweed ist bereits auf dem Weg. Er wird das Weitere veranlassen.
Tut mir leid, wegen des Verbrauchs von Tinte und Papier. Stellen Sie es der Schule in Rechnung.
Grüße, C. McGummiball.‹
Auf den beiden anderen Blättern folgten abermals das Anschreiben mit der Einladung nach Hochwärts und ein doppelseitig bedrucktes Blatt mit einer Liste. Das musste die viel zitierte Einkaufsliste sein.
Bücher- und Ausrüstungsliste, lasen Vater und Sohn gemeinsam. Hochwärts Akademie für Zauberei, Irrungen und Wirrungen – Ausgabe für das Erste Schuljahr
Für das kommende Schuljahr benötigen die Erstklässler alle im Folgenden aufgeführten Ausrüstungsgegenstände und Lehrbücher.
Ausrüstung:
Mindestens zwei Schuluniformen (Kutte, Hut) sowie einen gefütterten Winterumhang in dunklen Farbtönen; bevorzugt Schwarz, Anthrazit, Schiefer, Hellschwarz, Dunkelschwarz, Pestschwarz oder sonst was. Hauptsache schwarz. Genehmigungsfähig sind auf Antrag auch ausgefallene Schwarzvariationen wie Tiefseedunkelgrün (ab 10000 Meter Wassertiefe), Mitternachtsblau (in einer Neumondnacht), Ebenholz, Steinkohle oder Teerlunge. Sollten Sie sich in Verdacht haben, zu Schwylerin zu gehören, sind ausnahmsweise altrosa oder ein dunkles Lila okay. Sind sie sich darüber nicht sicher, warten Sie mit dem Kauf besser bis nach der Einschulungsprozedur.
Zur Schuluniform gehören außerdem Krawatten (auch wenn Sie ein Mädchen sind) in zum Umhang passenden Farbtönen und einige Garnituren weißer Hemden bzw. Blusen sowie einige Pullis (grau, mit V-Ausschnitt oder Rundhals) für die kalte Jahreszeit.
Namensschilder sind nicht unbedingt notwendig, werden jedoch empfohlen. Aufnäher mit den Haus-Emblemen werden nach Zuteilung in dieselben durch die Schulverwaltung ausgegeben. Fanschals für die Quatschnich-Mannschaften werden bei Interesse ebenfalls von der Schule zur Verfügung gestellt.
Für den Flugunterricht bieten sich nach Belieben Ellbogen- und Knieschoner an. Schreckhaften Naturen sowie Schwylerin-Schülern wird überdies ein Schutzhelm empfohlen. Für letztere wird auch die Anschaffung von Spülhandschuhen für den Zaubertrankunterricht angeregt.
Sodann ein Zauberstab nach MU-Norm 666, Modell beliebig. Kaufen Sie aber in Ihrem eigenen Interesse nicht den billigsten Plunder, sonst zaubern Sie sich um Kopf und Kragen. Der Stab sollte erstklässlergeeignet sein, d. h. über einen Backfire-Schutz verfügen und den Selbstschutzrichtlinien der Magischen Union entsprechen.
Gestattet ist außerdem ein Haustier zur Besorgung der Post. Erlaubt sind Wühltiere aller Art. Ein Durchmesser von max. 20 cm an der dicksten Stelle des Tieres darf nicht überschritten werden, um ein Steckenbleiben in den Rohrpostsystemen auszuschließen. Bevor Sie sich zum Kauf eines eigenen Tieres entschließen, denken Sie bitte daran, dass sie den Mist alleine wegmachen müssen. Bei der Benutzung der schuleigenen Posthamster entfällt dies.
Persönliche Fluggeräte sind unerwünscht und frühestens nach Abnahme der Flugprüfung gestattet.
Fortsetzung siehe Rückseite
Heinrichs Vater wendete mit zittrigen Fingern das Blatt.
Lehrbücher:
Zaubern für Dummies, Band 1
Verwandeln lernen in 21 Tagen
Zieperl, einfach Kochen
Blumen und Kräuter – Der Balkon des Magiers
Zauberhafte Tierwelt
Origami mit Alufolie
Alienabwehr mit Hausmitteln – Der große Ratgeber
Abwehr schwarzer Magie – Das Grundseminar
Kartentricks für Anfänger
Grundlagen und Technik des hilfsmittelgestützten Fliegens
Abschliessende Hinweise:
Bücher und Ausrüstungsgegenstände müssen nicht zwangsweise neu sein, sollten aber den geforderten Standards entsprechen.
Bitte beachten Sie, dass Ihnen Ihre MISA-Card erst zu Beginn des Schuljahres in Hochwärts ausgehändigt wird. Bis dahin genügt es, beim Erwerb von Büchern und Ausrüstungsgegenständen zur Legitimation diese Liste vorzulegen. Ihre Karte wird später mit den Kosten, die über die Hochwärts Lehrmittelbeihilfe hinausgehen, belastet. Sollten Sie über die Beihilfe hinaus ZaföG-berechtigt sein, fordern Sie bitte ein entsprechendes Formular bei der Schulverwaltung an.
Paul schüttelte verwirrt mit dem Kopf und schob die Blätter ohne weitere Umschweife durch den Aktenvernichter. »Was soll das bloß?«, murmelte er und sank auf seinen Bürostuhl. »Es ist wie verhext.«
Augenblicklich lief der Drucker wieder an und begann erneut, Anschreiben und Liste auszudrucken. Heinrichs Vater sprang aus dem Stuhl, als stünde er unter Strom.
»Verdammt, jetzt wirds mir aber langsam zu bunt«, rief er schrill. Er wartete nicht, bis der Ausdruck fertig war, sondern riss sämtliches Papier aus Vorratsbehälter und Papierführung, zerrte den Netzstecker aus der Mehrfachsteckdose und schob die fertigen Teile des Ausdrucks durch den Aktenschredder. Nun blieb erwartungsgemäß alles still.
Schwer atmend sah Paul von dem Drucker auf. »Was ist hier los, Heinrich?«
Leichtfüßige Schritte ertönten auf der Waschbetontreppe vor der Eingangstür des Töpferschen Hauses. Sekunden später läutete es an der Haustür Sturm.