Читать книгу Heinrich Töpfer und die Jubelkugel - Detlef Köhne - Страница 20
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ОглавлениеGoldenes, durch schwere Vorhänge gedämpftes Sonnenlicht, flutete durch die hohen Fenster herein. Heinrich vergrub das Gesicht in den Kissen und versuchte, das Licht des neuen Tages von seinen Augenlidern fernzuhalten. Ein diffuses Pochen hinter seiner Stirn zwang ihn halbwegs zur Besinnung. Welcher Tag war heute? Ach ja, Sonntag. Ansonsten hätte seine Mutter ihn längst aufgescheucht und zur Schule gejagt. Ach, nein, Montag war ja ebenfalls schulfrei. Wegen der Sanierungsarbeiten. Der dritte Tag des geplanten Spielwochenendes mit seinen Freunden. Wenn er es schaffte, gleich heute Morgen aufzubrechen, hätte er nur den gestrigen Nachmittag und Abend verpasst. Was hatte er gestern eigentlich stattdessen getan? Bilder, Gefühle und Eindrücke schwirrten wild in seinem Kopf durcheinander, ohne dass er etwas davon zu packen bekam.
Er tastete nach dem Wecker und erblinzelte sich mit halb geschlossenen Augen die Uhrzeit. Viertel nach acht. Gähnend rieb sich Heinrich die Augen und kratzte sich gedankenverloren am Kopf.
»Was für ein abgefahrener Traum«, murmelte er vor sich hin und richtete sich auf einen Ellbogen auf. Sein Blick fiel auf die gebrauchten Klamotten des Vortages, die gewohnt unordentlich über dem Stuhl neben seinem Bett hingen. Komisch, dieselben Klamotten, die er in seinem Traum getragen hatte.
Zaubererumhänge, Hexen- und Magiermode schossen durch seine Erinnerungen. Das Beunruhigende war, dass er sich an jedes Detail seines verrückten Traumes erinnern konnte, nicht aber, wie der gestrige Tag tatsächlich zu Ende gegangen war, wo sein wirkliches Erleben aufgehört und der Traum begonnen hatte. Erinnerungen an das Grill anzünden am Mittag überlagerten sich mit solchen von sprechenden Notebooks und Fantasien von Zauberstäben mit Force-Feedback-Effekt. Wann war er zu Bett gegangen? Er spulte die Bilder vom gestrigen Nachmittag noch einmal vor seinem geistigen Auge ab. Zwecklos. Er wusste beim besten Willen nicht, was passiert war, nachdem es zu Hause an der Tür geläutet hatte und dieser merkwürdige Jamaikaner namens Hagweed aufgetaucht war. Seine Erinnerung, oder vielmehr, die Erinnerung an seinen Traum, setzte erst wieder ein, als er im Hinterzimmer eines Lokals aufgewacht war.
»Zaubererumhänge und Spitzhüte«, brummte er vor sich hin, und rieb sich erneut die Augen. »Verrückt, das alles.«
Sein Blick suchte die gewohnte Umgebung seines unordentlichen Zimmers mit den überquellenden Bücherregalen ..., die nicht da waren! Sie fehlten einfach. Der überladene Schreibtisch mit Stapeln von CDs und Zeitschriften ... an seiner Stelle stand ein aufgeräumter Beistelltisch mit einer Schirmlampe und einem Telefon! Sein mit Aufklebern verunzierter Kleiderschrank ..., er war einem makellosen Schwebetürenschrank mit in Schwarzglas gehaltenen Spiegeleinsätzen gewichen!
Plötzlich fror Heinrich und jedes einzelne seiner Nackenhärchen richtete sich auf. Ein paar Sekunden lang war er unfähig, sich zu bewegen, dann fuhr er wie von Furien gehetzt aus dem Bett. Ein Hotelzimmer! Kein Zweifel, er stand in einem Hotelzimmer! Er sprang zum Fenster und riss die orangefarbenen Vorhänge zur Seite ... die Winkel-Mall!
Nein! Das konnte, das durfte nicht wahr sein! Niemals! Er stolperte rückwärts und wäre beinahe über seinen Rucksack gefallen. Den Rucksack, den er für das Spielwochenende mit seinen Kumpels gepackt hatte. Auch seine schwarze Sportjacke lag darüber. Hagweed musste dafür gesorgt haben, dass sie das Zeug beim Sprung durch das Dimensionstor ohne sein Wissen mitgenommen hatten. Dimensionstor? Nein, das war absurd! Er zwang die törichten Gedanken aus seinem Kopf.
Außer sich vor Panik warf er sich in seine Klamotten vom Vortag, schnappte sich den Rucksack und die Jacke und stürzte zur Tür. Was er jetzt tun würde? Er wusste es nicht.
Die Hand bereits auf der Türklinke hielt er inne. Das Herz wummerte ihm an die Rippen. Keuchend presste er sich die Hand auf die Brust – und fühlte plötzlich etwas in der Brusttasche seines Polo-shirts. Es war eine Karte – eine Spielkarte! Die Spielkarte, die ihm Hagweed gestern Abend zum Abschied in die Brusttasche geschoben hatte!
Zitternd drehte Heinrich die Karte um und las: ›Ereigniskarte – Gehe nach Hochwärts. Begib dich direkt dort hin. Gehe nicht über Los. Ziehe nicht 4000 Geld ein.‹ Kaum hatte er die Zeilen gelesen, spürte er, wie ein starker unsichtbarer Strudel nach seinen Beinen griff, ihn in die Länge zog und begann, ihn im Kreis herumzuwirbeln, schneller und schneller ...
»Oh, nein, nicht schon wiiiiieeeder«, schrie Heinrich, dann überfluteten ihn erneut Wellen von verschmierenden Farben, blendender Helle und schließlich undurchdringlicher, tonloser Schwärze. Dann fiel er ...