Читать книгу Heinrich Töpfer und die Jubelkugel - Detlef Köhne - Страница 15

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Heinrich tappte ins Freie und sperrte entgeistert Mund und Augen auf. Verwirrt drehte er sich nach der Toilettentür um – sie war verschwunden. Eine polierte Metall-Fahrstuhltür schloss sich hinter ihm mit einem seufzenden Geräusch. Auch der Waschraum und überhaupt das ganze Lokal waren wie vom Erdboden verschluckt. Stattdessen befand er sich in der Halle einer der größten Shopping-Malls, die er je betreten hatte. Strahlendes Sonnenlicht flutete durch eine gläserne Kuppel herein, die sich viele Meter über ihm wölbte. Große Transparente hingen von der Kuppel herab: ›Willkommen in der Winkel-Mall, Ihrem Shoppingcenter der kurzen Wege‹ stand darauf. Reihen von Ladengeschäften gruppierten sich auf mindestens drei Etagen galerieartig an den Seiten der Kuppel. Mehrere Seitenflügel zweigten von der Hauptachse des Gebäudes nach rechts und links ab. Zahllose Rolltreppen transportierten Scharen von Kunden in die verschiedenen Ebenen des Einkaufszentrums. Teiche mit kleinen Springbrunnen, umstanden von üppigen Zimmerpalmen, zierten die breiten Gänge des Untergeschosses. Bänke luden auf jeder Ebene zum Verweilen ein. Ein Gesumm von unzähligen Stimmen, vermischt mit Kaufhausmusik aus den Eingängen der Geschäfte, lag in der Luft. Auffallend viele Kunden waren in dunkle Umhänge gekleidet und mit spitz aufgerichteten Kopfbedeckungen behütet. Ansonsten sah es aus wie daheim: quengelnde Kinder, genervte Väter, zur Eile mahnende Mütter, Paare beim entspannten Bummeln ...

Heinrich stand vor Staunen noch immer der Mund offen und Hagweed fing an zu lachen, als sein Blick auf ihn fiel. Als Heinrich es bemerkte, klappte er den Mund rasch zu.

»Was dachtest du, wo du Zauberstäbe und Bücher über Zaubertrankbrauerei bekommst? Bei Woolworth in Poppenbüttel?« Hagweed lachte wiehernd und wies mit ausladender Gebärde in die Runde. »Die Winkel-Mall. Alles, was du für den magischen Hausgebrauch benötigst, findest du hier. Und noch etwas mehr. Sehen wir uns ein bisschen um?«

Staunend klebte Heinrich Hagweed an den Fersen, während der den Fremdenführer mimte und Heinrich mit lässigen Gesten den örtlichen Einzelhandel nahebrachte. »Das hier ist ›Star-Back‹, eine unserer größten Bäckereiketten. Machen prima Blaubeermuffins. Dort hinten der Klamottenladen, das ist ›H&M‹: ›Hexen- und Magiermode‹. Da können wir nachher deine Uniformen kaufen. Sind etwas entkrampfter, als die antiquierten Fummel mit Stehkragen von ›C&A‹. Zwischendurch muss ich noch hier drüben zu ›Grünkotz‹, der führenden ortsansässigen Magierbank, und für Professor Schwurbelbart was abholen. Und falls du zwischendurch was zu picken brauchst: Nirgends gibt's bessere Burger, als bei ›McWizards‹, einer unserer angesagtesten Fad-Food-Ketten. Dort vorne bei Olli gibt's 'n ganz gutes Bier. Früher hat Olli hier in der achten oder neunten Generation Zauberstäbe verkauft. Das war, bevor der ›Magier Markt‹ den ganzen Zauberstabmarkt an sich gerissen hat.«

›Bei Olli – Inhaber: Mr. Oleander‹, las Heinrich an der Glastür des bezeichneten Ladens, der gerammelt voll mit erschöpften Einkäufern war, die beim Bier oder Kaffee ein wenig verschnauften.

»Oh, Mann, damals hat auf dem ganzen Gelände hier eine kleine verwinkelte Puffgasse mit etlichen windschiefen und abbruchreifen Buden gestanden«, erinnerte sich Hagweed mit leicht diesigem Blick. »Dann haben Investoren das Ganze aufgekauft, eingeebnet und im Zuge eines Stadtentwicklungsprojektes die Winkel-Mall aufgezogen. Hat viele Leute verärgert, aber so funktioniert halt die Marktwirtschaft. Die Preise für Zauberstäbe sind seitdem um die Hälfte gesunken.«

Sie nahmen die Rolltreppe ins erste Obergeschoss, schlenderten an schier endlosen gläsernen Schaufensterfassaden entlang und inspizierten hier und da die Auslagen und Warensortimente. Heinrich hatte gar nicht genug Augen und Ohren, um all die auf ihn einstürmenden Eindrücke zu verarbeiten. Hagweed erklärte die exotischen Artikel und hatte zu allem, auf das Heinrich zeigte, eine Antwort parat. »Die Früchte da? Das sind Melaten. Eine Kreuzung aus Melonen und Tomaten. Sehr schmackhaft. Die daneben heißen Würgpflaumen. Werden nicht so arg geschätzt, weil sie ziemlich scharf nach Drachenmist riechen. Deshalb werden sie eingepackt verkauft. Als Brechmittel sind sie aber äußerst wirksam.

Der Laden da hinten? Die verkaufen Haustiere für die biologische Rohrpost. Die meisten von denen kennst du: Murmeltiere, Wühlratten, Kaninchen, Hamster und so weiter. Sind für den Posttransport zuständig. In Hochwärts wimmelt es nur so von ihnen. Schüler dürfen auch ein eigenes Posttier haben. Ist aber vielleicht günstiger, wenn du dich in Hochwärts erst mal ein bisschen eingewöhnst, bevor du an so was denkst. Wenn du willst, besorge ich dir eins, wenn du dort bist. Kannst dir ja mal überlegen, was für eins du möchtest.

Der Laden daneben könnte nächstes Jahr interessant für dich werden: Fluggeräte. In erster Linie Tretroller und Kickboards. Auf denen wird fliegen gelernt. Erstklässler dürfen allerdings erst nach bestandener Flugprüfung ein eigenes Fluggerät haben; hast du in deinem Brief sicher gelesen. Und dort drüben bei ›Guten&Berg‹ werden wir nachher deine Schulbücher kaufen.«

Es wurde ein ungemein spannender Nachmittag für Heinrich. Ihm fiel auf, dass er bereits seit einer Weile gar keine Fragen mehr stellte, die die Existenz dieser Welt überhaupt in Zweifel zogen. Hagweed hatte seine Neugierde geweckt und er brannte jetzt förmlich darauf, in den Läden zu stöbern und die Dinge genau in Augenschein zu nehmen. Er fühlte sich wie berauscht, wollte alles wissen, alles berühren, alles erfahren. Ein Traum? Egal. Er wollte es genießen, so lange es dauerte.

Hagweed interpretierte Heinrichs glühendes Gesicht richtig. »Und?«, fragte er lächelnd und schlug den Weg zu H&M ein. »Bereit für ein bisschen Kaufrausch?«

Heinrich strahlte erwartungsvoll.

»Weißt du eigentlich deine Kleidergröße?«

Er schüttelte den Kopf. Ausgerechnet Klamottenkauf! Konnten sie nicht mit den Zauberstäben anfangen?

»Macht nichts. Wir gehen trotzdem rein. Wird dir gefallen. Die Magiermode ist in den letzten Jahren viel zwangloser geworden, weißt du? Nicht mehr diese spitz aufgerichteten Hüte. Heute trägt man den Spitzhut mit Knick. Zylinder sind völlig out.«

Der Modetempel von H&M war so groß, dass er gleich über mehrere Etagen verteilt war. Sie drängten sich durch die Eingangstüren im ersten Obergeschoss. Trockene Konservenluft schlug ihnen entgegen und erinnerte Heinrich, zusammen mit dem Übermaß an Kunstlicht und der seichten Musikberieselung, an die typischen Warenhäuser von zu Hause. Auch das Warenangebot mit Bergen von Klamotten und Wäsche war ähnlich, wären da nicht die vielen Umhänge und Spitzhüte gewesen. Und natürlich die Wühltische mit recht exotisch anmutenden Accessoires aus Drachenleder oder Einhornhorn.

»Allerdings, um so etwas zu finden«, Hagweed deutete auf seine modische Jeans, »oder so was wie deine Nikes, wirst du hier lange suchen müssen. Ein vernünftiges Shirt oder 'ne Baseballkappe findest du in der ganzen Winkel-Mall nicht. Für die lässigeren Klamotten kenne ich ein paar Nupsiläden, in denen ich mich bei Bedarf eindecke. Aber wir sind ja schließlich wegen deiner Schuluniformen hier.«

Hagweed war der geborene Einkaufsführer und er wusste genau, wie er Heinrich zu nehmen hatte. Spaßhaft zog er hier und da ein Kleidungsstück aus dem Regal, machte sich mal über rosa Herrenumhänge und mal über Schuhe mit goldenen Schnallen lustig. »Bei der Damenwäsche sind wir fast auf dem gleichen Modeniveau wie die Nupsis. Ist vielleicht noch ein bisschen früh für dich, an derlei zu denken.« Er nahm einen cremefarbenen BH vom Wäscheständer und hielt ihn sich vor die Brust. »Scharf, oder?«

Heinrich prustete los. Keine Frage, der Bummel mit dem fröhlichen Hagweed machte sogar den Klamottenkauf zu einem Erlebnis.

»Fangen wir mit den Umhängen an. Weißt du wirklich nicht, was für eine Größe du hast? Na, egal. – Hier, probier mal den. Und den.« Er warf Heinrich ein paar Umhänge zu. »'ne Umkleide brauchst du nicht. Ist ja nur zum Überziehen.«

Heinrich fing die Umhänge auf und schaute Hagweed kurz mit einem Anflug von Unsicherheit an, nickte sich dann selber anfeuernd zu und streifte ihn sich über: den ersten Zaubererumhang seines Lebens.

In der nächsten halben Stunde probierte er ein Dutzend Roben in allen möglichen dunklen Farbtönen an. Schließlich entschieden sie sich für zwei schwarze Modelle, in denen Heinrich aussah wie ein Rechtsanwalt. Nur der Spitzhut mit der zur Seite geknickten Spitze mochte nicht recht in einen deutschen Gerichtssaal passen. Dazu kauften sie ein paar flauschige graue Pullis und einen Winterumhang aus windundurchlässigem Stoff ein. Er hatte ein herrlich weiches, herausknöpfbares Futter aus der Wolle eines Tieres, das Samtbeutler hieß und das Hagweed als verbreitetes Nutztier bei den Zauberern der nördlichen Breitengrade beschrieb.

»Okay«, meinte Hagweed. »Nun zu Hemden und Krawatten.«

»Oh je, muss das sein?«, nörgelte Heinrich.

»Geht leider nicht anders. Während der Unterrichtszeiten gehören Hemd und Krawatte zur vollständigen Schuluniform«, erklärte Hagweed entschieden und schichtete einen Stapel weißer Hemden und – passend zu den Umhängen – schwarzer Krawatten auf.

Für das Krawattenbinden mussten sie Hilfe herbeirufen, denn diese Technik hatte Hagweed einfach nicht drauf und Heinrich erst recht nicht. Doch die mit Maßbändern bewehrten Verkäuferinnen waren zahlreich und hilfsbereit, und der den Damen längst aufgefallene athletisch gebaute Hagweed verstand es, so charmant und einnehmend mit ihnen umzugehen, dass sie sich beinahe darum prügelten, ihm und dem – wie sie es nannten – netten jungen Mann, zu Diensten sein zu dürfen.

Schließlich stand Heinrich komplett eingekleidet in Umhang, Hemd und Krawatte vor dem Spiegel und begutachtete das Ergebnis. »Gar nicht uncool«, sagte er zufrieden zu seinem Spiegelbild und dachte an die ›Men in Black‹. »Gibt 's zu dem Outfit auch die passende Sonnenbrille?«

»Wenn du willst«, grinste Hagweed und setzte Heinrich ein Modell mit kleinen, ovalen Gläsern auf, das er vom benachbarten Brillenkarussell genommen hatte.

»Haben wir dieses Jahr brandneu im Sortiment«, hauchte Babette, ihre hübsche junge Verkäuferin und schlug unter Hagweeds Blick die Augen nieder.

Der nickte anerkennend. »Wird höchste Zeit, dass ein paar modische Accessoires in die Zaubererwelt kommen. Sehen Sie sich das nur an, Babette.« Er zerrte Heinrich von dem Spiegel weg. »Mach mal den Umhang auf, Heinrich. Hier – der Knirps hat im kleinen Finger mehr Geschmack für Klamotten, als die halbe Zaubererschaft in ihren weisen Gehirnen. Jeans und Nikes, das ist es, was der Zaubermode fehlt. Möbeln Sie Ihre Kollektion auf, Babette. Geben Sie 's weiter an Ihren Chef, oder, noch besser, machen Sie es selbst vor. Kommen Sie – drehen Sie sich mal. – Gar nicht übel. Können Sie sich vorstellen, wie Sie in einer solchen Jeans aussähen?«

Babette wurde knallrot.

»Trauen Sie sich was. Raus aus den alten Tweedklamotten. – Nein, nicht jetzt sofort. Vielleicht später. Ich lass Ihnen mal ein paar Adressen zukommen, Babette. Damit hängen Sie C&A endgültig ab. – Was meinst du, Heinrich? Jeans und Turnschuhe für den Anfang?«

Heinrich nickte grinsend. »Bei den Jacken könnte man auch noch was machen«, sagte er.

Hagweed ließ sich Babettes Karte geben (»Siehst du, Heinrich? So schnell kommt man an die Kontaktdaten.«), und ab der nächsten Saison würde der Modestore H&M gewiss ein hübsches Zusatzgeschäft machen.

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel

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