Читать книгу Heinrich Töpfer und die Jubelkugel - Detlef Köhne - Страница 13

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Vater und Sohn sahen sich unsicher an, während es an der Tür weiter läutete.

Heinrich lauschte nach den Geräuschen aus dem Garten. Die unverminderten Freudenschreie vom Pool verrieten, dass die planschende Mütter- und Kinderschar von dem ganzen Spuk noch nichts mitbekommen hatte.

»Wir sollten wohl nachsehen, oder?«, murmelte Paul mit ebenfalls besorgtem Blick Richtung Garten, und ging, sich übertrieben räuspernd, zur Haustür. Heinrich folgte ihm etwas halbherzig, immer noch das Notebook mit beiden Armen umklammernd. Als er seinen Vater einholte, war der bereits an der Haustür. Er riss sie viel zupackender auf, als er sich bewusst war, und zuckte vor seinem eigenen Eifer merklich zusammen. »Jaah, ist gut«, sagte er, um Festigkeit in der Stimme bemüht, und gebot dem ungeduldigen Besucher mit erhobener Hand Einhalt. »Wir haben es gehört. Einmal läuten reicht! Danke!«

Vor ihnen stand ein groß gewachsener dunkelhäutiger Typ in Jeans, Jamaikaflaggen-T-Shirt und teuren Turnschuhen. Die wüste Rastafrisur, die seinen Kopf zierte, wurde von einem breiten dunkelroten Stirnband notdürftig gebändigt. An seinem linken Ohr baumelte ein verwegen großer goldener Ohrring.

»Oh, Pardon Bruder«, sagte der Fremde mit wohltönend tiefer Stimme und grinste. »Ich stelle mich manchmal etwas ungeschickt an mit dem Nupsikram.« Der Mann mochte in etwa das Alter von Heinrichs Vater haben. Eine Doppelreihe blitzender Zähne strahlte aus seinem schlecht rasierten dunkelhäutigen Gesicht und mahlte heftig auf einem Klumpen rosafarbenen Bubblegums herum. Ehe Heinrichs Vater sich groß hätte wehren können, hatte der Besucher seine Hand gepackt und schüttelte sie herzlich. »Du musst Wermut Durstig sein. Friede sei mit dir, Mann. Professor McGummiball schickt mich, um Harry abzuholen. Ich habe hier seine Einladung und die Einkaufsliste.« Er wedelte mit einigen Blatt Papier, die Heinrich sehr bekannt vorkamen. »Wir haben eine Menge Zeug zu erledigen und McGummiball meinte ...«

Paul hob erneut die Hand und unterbrach. »Stopp, stopp, stopp! Augenblick mal! Erstens: Ich bin nicht Wermut Durstig. Mein Name ist Paul Töpfer. Die Durstigs haben früher hier gewohnt, aber das ist lange her. Zweitens: Das ist nicht Harry, sondern mein Sohn Heinrich. Drittens: Wie ist es Ihnen gelungen, in unseren Laptop einzubrechen? Und viertens: Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?«

»Oh, noch mal Pardon, Mann.« Der Fremde fuhr sich verlegen mit der Hand durch die wirre Rastamatte und förderte dabei eine Sonnenbrille zutage, die sich dort versteckt hatte. Er schien selbst überrascht über ihr unverhofftes Auftauchen zu sein, klappte sie zusammen und schob sie sich in den Hosenbund. »Ich bin Hagweed. Stets zu Diensten«, stellte er sich vor. »Ich war dabei, als wir den kleinen Racker hier vor zehn Jahren abgeladen haben. Tut mir leid, wegen des Lärms damals. Professor Schwurbelbart hat den Wagen beim Einparken auf die Seite gelegt.« Er deutete über die Schulter auf eine am Straßenrand geparkte, ziemlich ramponierte, giftgrüne Ente, aus deren Lautsprechern gedämpft ›Who let the dogs out‹ zu hören war. »Hättest die alte McGummiball sehen sollen. Mann, war die sauer.« Er lachte wiehernd und blies eine große Kaugummiblase, die wundersamerweise die Form einer schimpfenden Frau mit spitzem Hut aufwies.

Neugierig geworden auf den fremdländischen Besucher, der mit so kehlig melodischer Stimme sprach, als stimme er gerade einen Raggaesong an, drängte sich Heinrich an seinem Vater vorbei. »Beim Einparken?«, fragte er.

»Hi, Harry«, begrüßte ihn Hagweed und strich ihm übers strubbelige Haar. »Ist nicht so einfach mit diesen Kisten. Sorry wegen der Narbe. Schwurbelbart war total zerknirscht damals. Hat sofort versucht, die Wunde zu verschließen, ist leider nicht ganz geglückt. Hoffe, du hast sonst nix zurückbehalten.« Er fingerte ein paar poppig bunt verpackte Bubblegums aus der Tasche, steckte Heinrich einen zu, schob sich den anderen zu dem bereits vorhandenen in den Mund und kaute geräuschvoll.

»Bevor das Gespräch ins total Irrsinnige abdriftet«, unterbrach Heinrichs Vater, »und mal ganz abgesehen davon, dass Einbruch in einen Computer strafbar sein kann, wüsste ich zu gerne, wie Sie das angestellt haben, weil ich das nämlich ungemein spannend finde. Und falls mich Ihre Erklärung zufriedenstellt, will ich gerne vergessen, was passiert ist, Herr ...«

»Hagweed, einfach Hagweed«, antwortete Hagweed. »Frag mich lieber nicht nach dem Nupsikram, Mann. Ich kenne mich zwar einigermaßen damit aus, liege aber auch oft genug daneben. Ich habe mal eine halbe Stunde lang in eine Mikrowelle mit einem sich drehenden Hähnchen gestarrt, in der Annahme, es sei eine Ratgebersendung im Fernsehen über die Schädlichkeit von Bräunungscremes. McGummiball ist diejenige, die da mehr Ahnung hat. Sie hat das Zeug studiert, weißt du. Apropos McGummiball ...«

»Moment, so einfach kommen Sie mir aus der Nummer nicht raus, guter Mann. Was hindert mich eigentlich daran, Sie zu ... Augenblick mal, was wollen Sie überhaupt hier? Ist ja ganz was Neues, das die Computerkriminellen nach begangener Untat persönlich an der Haustür des Geschädigten schellen und nachsehen kommen, wie zerrüttet die Nerven ihrer Opfer sind.«

»Ja, also, wie gesagt, Professor McGummiball meinte, hier sei ein wenig Hilfe von Nöten und hat mich hergeschickt.« Er griff nach seiner Sonnenbrille und begann, sie mit dem Rand seines T-Shirts zu putzen. »In ein paar Stunden machen die Läden zu und morgen geht's ja schon nach Hochwärts. Da müssen wir uns ein wenig ranhalten.«

Paul bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Noch mal: Das ist Heinrich und nicht Harry. Ja, ich weiß, dass das auf Englisch dasselbe ist, deshalb haben meine Frau und ich den Namen auch ausgesucht: damit sich die Leute in England oder den Staaten nicht mit neumodischen Zungenbrechern rumschlagen müssen, falls er dort mal studieren geht. Mein Gott, hätten wir ihn doch Hennes-Gideon oder Torben-Lauritz genannt, dann gäbe es solche Missverständnisse nicht! – War nur ein Witz, Heinrich.

Also: Keine Ahnung, hinter wem sie her sind, aber er ist mit Sicherheit der Falsche und er wird nirgendwo hingehen. Falls Sie nach den Durstigs suchen, die sind vor einer Ewigkeit wegen plötzlichen Reichtums weggezogen. Nachsendeadresse unbekannt. Fragen Sie beim Einwohnermeldeamt nach. Und wenn ich von Ihnen schon nicht erfahren kann, was hier in der letzten halben Stunde gelaufen ist, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie einfach verschwänden und uns in Ruhe ließen. Bevor ich es mir anders überlege und die Polizei rufe. – Kommst du, Heinrich?« Damit ließ er den Besucher stehen und ging zurück ins Haus.

Heinrich zuckte in Hagweeds Richtung entschuldigend mit den Schultern. »Tut mir leid. An sich ist er nicht so. Ist nicht unser bester Tag heute.«

»Ist schon in Ordnung. So ersparen wir uns ein paar Diskussionen. – Ist das dein ganzes Gepäck?«

Heinrich folgte Hagweeds Fingerzeig. Da standen sein Rucksack und das Notebook, das er gerade obenauf gepackt hatte. »Was? Ja, ist es. Das sind nur Klamotten für ein Wochenende und ein Notebook«, sagte er verwirrt. »Mehr brauche ich nicht.«

»Na, wenn du meinst. Mir soll es recht sein. Das meiste kaufen wir ja ohnehin gleich erst ein. Hier, zieh eine.« Er streckte Heinrich ein Päckchen Spielkarten hin.

»Wie bitte?«, fragte Heinrich und kam sich etwas einfältig vor.

»Eine Karte«, versetzte Hagweed und fächerte den Kartenstoß ein wenig auf. »Zieh einfach eine. – Welches ist deine Jacke?« Er ließ den Blick über die Garderobe im Hausflur wandern.

Heinrichs Verwirrung nahm allmählich kosmische Ausmaße an. »Die schwarze dort«, zeigte er automatisch. Dann griff er wie ferngesteuert zu dem Kartenstapel und zog aus der Mitte eine heraus.

»Und?«, fragte Hagweed und grinste erwartungsfroh über das ganze Gesicht.

»Was?«

»Lies.«

Mit zitternden Fingern drehte Heinrich die Karte um. Ereigniskarte stand in großen blauen Buchstaben darauf. »Mache einen Ausflug zur ›Winkel-Mall‹«, las er weiter. »Wenn du über Los kommst, ziehe 4000 Geld ein.«

Sobald er die Aufschrift gelesen hatte, war Heinrich für eine Sekunde so, als habe jemand der Welt den Ton abgedreht. – Er hörte nicht mehr die ausgelassenen Schreie der Badenden hinter dem Haus, er hörte nicht das Gebrumm des Elektrorasenmähers von nebenan, er hörte auch nicht das Gebell des nervigen kleinen Foxterriers, der im Garten gegenüber hinter einem Radfahrer herkläffte. Er sah in Hagweeds fröhliches Gesicht, das sich eigentümlicherweise immer mehr in die Breite zog und dessen Lippen sich zu einem lautlosen Satz formten ... Im nächsten Augenblick drehte sich die Welt. Schneller und schneller. Farben verschmierten, Umrisse wurden unscharf. Heinrich taumelte. Dann war ihm, als zerre jemand an seinen Füßen und zöge seinen ganzen Körper in die Länge, als würde er durch einen riesigen Abfluss in einen viel zu engen Gummihandschuh hineingesogen. Die um ihn herumwirbelnde Umgebung zerfloss in blendender Helle und verschwand. Dann wich die Helle undurchdringlicher Schwärze und er fiel ... tiefer und tiefer ... Dann war es vorbei.

Heinrich Töpfer und die Jubelkugel

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