Читать книгу Einheit und Transformation - Detlev Brunner - Страница 16

2.2 Der 18. März

Оглавление

Der »Runde Tisch« hatte in seiner ersten Sitzung am 7. Dezember 1989 auf Antrag der Sozialdemokratischen Partei beschlossen, dass am 6. Mai 1990 freie Wahlen zur Volkskammer der DDR stattfinden sollten. Angesichts der rapiden Verschlechterung der wirtschaftlichen und politischen Situation waren die Modrow-Regierung und die Oppositionsvertreter am »Runden Tisch« am 28. Januar 1990 übereingekommen, den Wahltermin auf den 18. März vorzuverlegen. Fraglich war, ob die DDR im Mai überhaupt noch existieren würde.

Die Startbedingungen der Parteien zu dieser letzten und zugleich ersten freien Volkskammerwahl in der DDR waren höchst unterschiedlich. Die SED, nun mit dem Zusatz PDS (Partei des demokratischen Sozialismus) versehen,4 hatte zwar massive Mitgliedereinbußen zu verzeichnen, aber noch immer zählte sie 890.000 Mitglieder (im Mai 1989 waren es noch mehr als 2,2 Mio. gewesen) und verfügte über eine flächendeckende Organisationsstruktur. Auch die einstmaligen Blockparteien, insbesondere die CDUD und die LDPD, konnten auf bisherige Organisationsstrukturen zurückgreifen. Sie kamen als potenzielle Partner für die westdeutsche CDU und FDP in Frage. Hier gab es zwar deutliche Vorbehalte angesichts der politischen Vergangenheit der Blockparteien, doch beide Parteien entschlossen sich zur Unterstützung ostdeutscher Bündnisse, die im Falle der CDU, die Ost-CDU, den aus der Bürgerbewegung entstandenen Demokratischen Aufbruch (DA) sowie die konservative und von der bayrischen CSU unterstützte Deutsche Soziale Union (DSU) umfasste – die »Allianz für Deutschland«. Bei der FDP war es der Bund Freier Demokraten, dessen größter Anteil von der ehemaligen Blockpartei LDPD gebildet wurde.

Die im Herbst 1989 neugegründete Sozialdemokratische Partei verfügte zwar nicht über Strukturen wie die alten DDR-Parteien, konnte jedoch auf die Unterstützung einer starken Partnerin rechnen, der SPD der Bundesrepublik. Ein Wahlsieg der Sozialdemokraten galt vielen als ausgemacht. In Umfragen vom Anfang Februar 1990 lag die SPD mit 54 Prozent in der Wählergunst vorn, die SED-PDS mit 12 Prozent noch vor der CDU mit 11 Prozent.5 Weitgehend ohne westdeutsche Unterstützung agierten jene Gruppierungen, die das Herz der Friedlichen Revolution gebildet hatten, das Neue Forum, Demokratie Jetzt und die Initiative für Frieden und Menschenrechte, die sich für die Wahl zum »Bündnis 90« zusammenschlossen.

Schon der Wahlkampf zeigte deutliche Veränderungen zur bisherigen Kultur der Friedlichen Revolution, zu den basisdemokratischen Strukturen der Bürgerbewegung. Die Orientierung am westdeutschen parteipolitischen Modell war unübersehbar, und das hing auch mit dem immer deutlicher werdenden Einheitswillen zusammen. Anfang Februar 1990 ergaben Meinungsumfragen des Leipziger Zentralinstituts für Jugendforschung und eines westdeutschen Marktforschungsinstituts eine Zustimmung zur Vereinigung von 75 Prozent der Befragten in der DDR, im November 1989 waren es noch 48 Prozent gewesen6.

Helmut Kohl zog bei seinen Wahlveranstaltungen in der DDR seit Februar 1990 Hunderttausende an. Der westdeutsche Kanzler war seit seiner Dresdner Rede im Dezember 1989 in der DDR-Bevölkerung äußerst populär. Obwohl er ja gar nicht zur Wahl stand, erschien er als der Garant für Einheit und Wohlstand. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der Kanzler am 6. Februar 1990 eine Wirtschafts- und Währungsunion angekündigt hatte, um, so seine Ausführungen vor der Presse, »schnellstmöglich Anschluß an das Realeinkommensniveau der Bundesrepublik zu finden«7 – eine Perspektive, die sich in der Folge als erheblich zu optimistisch erwies.8 Während Kohl so als Retter erschien, zeigten sich führende westdeutsche Sozialdemokraten, darunter der Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine und der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Hans-Jochen Vogel, als Skeptiker. Ihre Vorbehalte gegen eine schnelle Währungsunion waren sachlich begründet und nachvollziehbar, psychologisch gesehen trafen sie jedoch nicht die Stimmungslage der Mehrheit der DDR-Bevölkerung. Nicht zuletzt deshalb fiel das Ergebnis der Volkskammerwahlen deutlich anders aus, als viele erwartet hatten.

Die Wahlbeteiligung lag mit 93,4 Prozent außerordentlich hoch. Klarer Wahlsieger war die »Allianz für Deutschland«, mit 48,1 Prozent, wobei die alte Block-CDU mit über 40 Prozent die mit Abstand stärkste Partei wurde. Die Unterstützung aus dem Westen, Kohls deutliches Bekenntnis zur Einheit, vor allem die Perspektive wirtschaftlicher Einheit und die breite Ablehnung sozialistischer Perspektiven gleich welcher Prägung waren Gründe für diesen Sieg. Die im Bündnis 90 vereinten Reformkräfte kamen nur auf 2,9 Prozent der Stimmen. Die PDS errang dagegen über 16 Prozent. Die so hoch gehandelte SPD erlangte nur knapp 22 Prozent. Das Wahlergebnis musste bitter sein für all jene, die sich mit aller Kraft für eine Veränderung der Verhältnisse in der DDR eingesetzt hatten und die, nachdem das Ziel der Einheit eindeutiger Wunsch der Mehrheit der DDR-Bevölkerung war, für einen Neuanfang in einem vereinten Deutschland eintraten.

Mit dem Ergebnis der Volkskammerwahlen vom 18. März 1990 war deutlich geworden, dass das Ziel der staatlichen Einheit von einer großen Mehrheit der DDR-Bevölkerung angestrebt wurde. Für dieses Ziel stand die neu gebildete Regierung mit Lothar de Maizière als Ministerpräsident an der Spitze. Der seit November 1989 amtierende Vorsitzende der DDR-CDU bildete eine Koalitionsregierung, die die Parteien der »Allianz für Deutschland« sowie die Liberalen und die SPD einschloss. Die Einbeziehung der SPD war vor allem deshalb erforderlich, weil für eine Reihe der anstehenden Vorhaben, die mit der Einheit Deutschlands zusammenhingen, eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Volkskammer erforderlich war. Das Ziel der Einheit war in der Koalitionsvereinbarung vom 12. April festgeschrieben. Die neue Regierung der DDR wollte die »Einheit Deutschlands nach Verhandlungen mit der BRD auf der Grundlage des Art. 23 GG zügig und verantwortungsvoll« herbeiführen.9

Die Regierung de Maizière setzte sich aus Menschen zusammen, die über wenig oder keine administrative Erfahrungen im politischen, staatlichen Rahmen verfügten. Als Pfarrer und Theologen hatten manche von ihnen allenfalls im kirchlichen Bereich Verwaltungserfahrungen sammeln können. Sie standen jeweils Ministerien vor, die in den untergeordneten Ebenen aus dem bisherigen Personal bestanden, das allerdings loyal mitarbeitete. Die Regierung de Maizière trat mit dem Anspruch an, die Sache der DDR-Bürger so gut wie möglich zu vertreten. Man wolle, so der Regierungschef bei seiner Regierungserklärung am 19. April 1990, Bedingungen vereinbaren, »die sichern, daß die DDR-Bürger nicht das Gefühl bekommen, zweitklassige Bundesbürger zu werden.« An die Adresse der Westdeutschen gewandt, betonte er, was die DDR-Bevölkerung einbringen könne: eigene »geschaffene Werte und unseren Fleiß«, »Sensibilität für soziale Gerechtigkeit, für Solidarität und Toleranz«, und er erinnerte daran, dass die Menschen in der DDR »40 Jahre die schwere Last der deutschen Geschichte tragen« mussten. »Die DDR erhielt bekanntlich keine Marshall-Plan-Unterstützung, sondern sie mußte Reparationsleistungen erbringen. Wir erwarten von Ihnen keine Opfer. Wir erwarten Gemeinsamkeit und Solidarität. Die Teilung kann tatsächlich nur durch Teilen überwunden werden.«10

Einheit und Transformation

Подняться наверх