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2.3 Verträge für die Einheit
ОглавлениеIn die Amtszeit der Regierung de Maizière fiel der Abschluss der Vertragswerke, die die staatliche Einheit Deutschlands möglich machten. Dies waren der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Staatsvertrag) vom 18. Mai 1990, der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 (Einigungsvertrag) und der Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (»Zwei-plus-Vier-Vertrag«).
Mit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde das Ende der sozialistischen Planwirtschaft besiegelt und die soziale Marktwirtschaft nach dem Modell der Bundesrepublik auf das Gebiet der DDR übertragen. Dies galt auch für das Sozialsystem (Arbeitsrecht, Sozialversicherung usw.), das ebenfalls nach dem bundesrepublikanischen Muster in der DDR eingeführt wurde. Die Währungsunion wurde zum 1. Juli 1990 vollzogen. Sämtliche Löhne, Gehälter, Renten und sonstige laufende Unterhaltszahlungen (z. B. Stipendien) wurden zu einem Kurs von 1 : 1 (DDR-Mark zu Deutsche Mark) umgestellt. Bargeld und Sparguthaben sollten für Kinder bis zu 14 Jahren in einer Höhe bis zu 2.000 Mark, bei Personen von 15 bis 59 Jahren in einer Höhe bis zu 4.000 Mark und bei Personen ab 60 Jahren in einer Höhe bis zu 6.000 Mark ebenfalls zu einem Kurs von 1 : 1 umgetauscht werden. Alle darüber liegenden Beträge sowie alle sonstigen Forderungen und Verbindlichkeiten (z. B. Kredite) wurden im Kurs 2 : 1 umgestellt.11
Am 31. August 1990 unterzeichneten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatssekretär Günther Krause den Einigungsvertrag. Dieses 900 Seiten umfassende Vertragswerk einschließlich Anlagen regelte alle Bereiche, die für den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes von Relevanz waren. Dies waren der Tag des Beitritts, Rechtsangleichung sowie sämtliche Bereiche staatlichen Lebens (Verwaltung, Finanzen und Vermögensfragen, Gültigkeit völkerrechtlicher Verträge, Arbeit und Soziales, Bildung und Wissenschaft). Dazu kamen Übergangsbestimmungen, etwa in der umstrittenen Frage des Schwangerschaftsabbruchs; hier galten die unterschiedlichen Regelungen der Bundesrepublik (Indikationsregelung) und der DDR (»Fristenlösung«, d. h. straffreier Abbruch in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen) vorerst weiter.12
Die Entscheidung, den Einigungsvertrag als zweiten Staatsvertrag zu schließen, ging auf das Drängen der DDR und Lothar de Maizières zurück. Die DDR trat so als Verhandlungspartner auf und nicht lediglich als beitretendes Territorium. Zudem war es durchaus sinnvoll, die vielfältigen erforderlichen Regelungen in einem Vertragswerk zu bündeln und nicht in zahlreichen einzelnen Übergangsregelungen zu fassen. Aber wie ungleich die Verhandlungspartner und ihre Ausgangspositionen waren, zeigte sich an der Entwicklungsgeschichte der Verträge und an den verhandelnden Personen.
Der erste Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 kam im Wesentlichen auf der Basis eines von der westdeutschen Ministerialbürokratie ausgearbeiteten Entwurfs zustande. Die westliche Seite hatte die Initiative ergriffen und mit Hans Tietmeyer, vormals Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und seit Januar 1990 im Direktorium der Bundesbank, saß ein ausgewiesener Experte für Finanzfragen am Verhandlungstisch. Für Ost-Berlin führte der Parlamentarische Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten der DDR Günther Krause die Gespräche. Er war Dozent an der Ingenieur-Hochschule in Wismar und nahm für die DDR als Chefverhandler im Einigungsprozess eine herausragende Stellung ein. Bei aller Energie, mit der Krause an seine Aufgabe heranging, die Kompetenzunterschiede waren doch deutlich.13
Auch bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag zeigte sich die unterschiedliche Ausgangslage. Am 6. Juli 1990 begannen die Verhandlungen. Wolfgang Schäuble, Bundesinnenminister und Verhandlungsführer für die Bundesrepublik, hatte zwar mit Rücksicht auf die Verhandlungsposition der DDR-Seite auf einen vorgefertigten Vertragsentwurf verzichtet. Gleichwohl war bereits am 25. Mai 1990 im Bundesinnenministerium ein Entwurf über »Grundstrukturen eines Staatsvertrages zur Herstellung der deutschen Einheit« formuliert worden. Vier Tage später wurde dieser Entwurf dem ostdeutschen Verhandlungsführer Günther Krause überreicht. Dieser legte nur ein knappes Papier zur »Einheit Deutschlands« vor.14
Als Tag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde der 3. Oktober 1990 festgelegt; dieser Termin wurde zudem anstelle des 17. Juni, des bislang in der Bundesrepublik zum Gedenken an den unterdrückten DDR-Volksaufstand von 1953 begangenen Feiertags, als »Tag der deutschen Einheit« zum neuen gesetzlichen Feiertag erklärt.
Aus den umfangreichen Bestimmungen des Einigungsvertrages verdient ein Punkt besondere Aufmerksamkeit, der für viele Bürgerinnen und Bürger der DDR von beträchtlicher Bedeutung war: die Eigentumsfrage. Als Anlage III war dem Vertrag die »Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen, vom 15. Juni 1990« hinzugefügt worden.15 In dieser Erklärung einigten sich die beiden Regierungen auf Eckpunkte, die für die Behandlung der komplizierten Eigentumsfrage grundlegend sein, Rechtssicherheit bieten und den Rechtsfrieden wahren sollten. Den Hintergrund bot die verbreitete Sorge vor einem »Ausverkauf« der DDR bzw. vor einem Ansturm jener Personen, deren Eigentum zu DDR-Zeiten enteignet worden war und die dieses nun wieder zurückfordern würden. Dies galt zumal für Immobilien.16 Viele DDR-Bürgerinnen und -Bürger fürchteten, aus ihren teils jahrzehntelang bewohnten Häusern und Wohnungen ausziehen zu müssen, weil enteignete Eigentümer aus dem Westen ihre Ansprüche geltend machen würden. Die in den Einigungsvertrag aufgenommene Erklärung vom 15. Juni 1990 legte zweierlei zu Grunde und suchte damit sowohl den spezifischen historischen Bedingungen in der DDR wie auch dem Grundsatz des Rechtes auf Eigentum gerecht zu werden. Demnach sollten Enteignungen, die auf besatzungsrechtlicher oder unter besatzungshoheitlichen Bedingungen vollzogen waren, d. h. in der Zeit der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1949, nicht rückgängig gemacht werden, für Enteignungen zu Zeiten der DDR sollte der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung gelten. Damit konnten die Maßnahmen der Bodenreform und die damit verbundenen Enteignungen nicht rückgängig zu machen, Enteignungen nach Gründung der DDR schon. Es wurden diverse Maßnahmen verabredet, die mögliche Härten vermeiden sollten, darunter Mieterschutz und Wahrung von Nutzungsrechten von Bürgerinnen und Bürgern der DDR. Trotz solcher Absichtserklärungen und Vereinbarungen blieb der Komplex der Restitution schwierig und vor allen Dingen langwierig. Zu den befürchteten sozialen Verwerfungen ist es zwar nicht in nennenswertem Umfang gekommen. Problematisch war jedoch, dass der Grundsatz Rückgabe vor Entschädigung investitionshemmend wirkte. Wer wollte schon in Objekte investieren, ohne sicher zu sein, dass nicht doch einmal ein Alteigentümer auftauchte, der die Immobilie für sich beanspruchte.17 Erst zwei weitere Gesetze vom März 1991 und vom Juli 1992 schufen hier mehr Sicherheit.
Der dritte Teil des Vertragskomplexes zur deutschen Einheit umfasste den sogenannten »Zwei-plus-Vier-Vertrag«, geschlossen zwischen den beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten über das nationalsozialistische Deutschland. Dieser Vertrag war allein wegen der noch vorhandenen Rechte der einstmaligen Alliierten im Hinblick auf Deutschland als Ganzes erforderlich, er war allerdings auch politisch geboten, weil die Herstellung der Einheit nicht gegen die vier Mächte denkbar war.
Die vier Mächte nahmen zur deutschen Einheit eine gespaltene Haltung ein. Einzig die Vereinigten Staaten sprachen sich frühzeitig für die deutsche Einheit aus. Großbritannien mit Premierministerin Margret Thatcher hingegen war wenig begeistert. Thatcher befürchtete eine wirtschaftliche Dominanz des vereinten Deutschlands zu Lasten der übrigen großen europäischen Staaten; ihr Außenminister Douglas Hurd meinte gar angesichts des bevorstehenden Endes des Kalten Krieges, man habe in diesem System die letzten 40 Jahre ganz glücklich gelebt, das hieß, auch mit der Teilung Deutschlands ganz glücklich gelebt.18 Während Thatchers negative Haltung unbestritten ist, gehen im Fall Frankreichs und dessen Präsidenten François Mitterrand die Positionen auseinander. Die einen sehen Mitterrand als Gegner der deutschen Einheit an,19 andere sehen ihn keineswegs in dieser Rolle. Allerdings sei ihm daran gelegen gewesen, eine überstürzte Entwicklung zu vermeiden; vor allem verband Frankreich seine Position zur deutschen Einheit mit einer klaren Integration Deutschlands in das vereinte Europa einschließlich der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung.20 Während Großbritannien sich mit seiner intransigenten Haltung zunehmend isolierte, verknüpfte Frankreich seine Zustimmung zur deutschen Einheit mit eigenen europapolitischen Zielsetzungen.21 Mitterrand machte Frankreichs Standpunkt unmissverständlich klar. Auf der Straßburger Tagung des Europäischen Rates am 8./9. Dezember 1989 erklärte der französische Staatspräsident gegenüber dem bundesdeutschen Außenminister Genscher: »Wenn Deutschland sich, um die DDR vergrößert, im europäischen Gesamtverband bewegt, wird es in der Europäischen Gemeinschaft Freunde haben, sonst nur Partner mit eigenen Reflexen.«22
Erheblich komplizierter als für die westlichen Alliierten war die Situation für die Sowjetunion. Zwar hatte Gorbatschow mit seiner Politik der Reformen die politischen Umbrüche und revolutionären Entwicklungen im Ostblock entscheidend ermöglicht und der Vereinigung der beiden deutschen Staaten bei Kohls Besuch in Moskau am 10. Februar 1990 grundsätzlich zugestimmt. Aber die Frage der deutschen Einheit war mit Folgen verbunden, die die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion sehr grundsätzlich berührten. Ein Streitpunkt war die Bündniszugehörigkeit des vereinten Deutschlands. Aus Sicht der drei westlichen Mächte und auch der Bundesrepublik sollte das vereinigte Deutschland dem Nordatlantikpakt, der NATO, angehören. Für die Sowjetunion bedeutete dies die Ausweitung der NATO bis an die Oder – dabei ist nicht zu vergessen, dass auf dem Gebiet der DDR noch sowjetische Truppen in einer Personalstärke von 380.000 Mann stationiert waren.
Am 5. Mai 1990 begannen in Bonn Gespräche der vier Außenminister der früheren Siegermächte und der beiden deutschen Außenminister. Insgesamt fanden vier Ministerkonferenzen (Ost-Berlin 22. Juni, Paris 17. Juli, Moskau 12. September) statt.23 Die Idee zu den Zwei-plus-Vier-Gesprächen war von den Vereinigten Staaten ausgegangen, die Beschränkung auf die vier Siegermächte, wie sie der britischen Regierung vorschwebte, hatte sich nicht durchgesetzt. Die Bündniszugehörigkeit Deutschlands, die endgütige Festschreibung der polnischen Westgrenze, die Herstellung der vollständigen Souveränität eines vereinten Deutschlands und der Abzug der alliierten Streitkräfte waren die Themen dieser Beratungen.
Zu Irritationen kam es in der Frage der deutsch-polnischen Grenze, denn absurderweise schien diese Frage wieder offen zu sein. Der seit Sommer 1989 amtierenden polnischen Regierung unter Tadeusz Mazowiecki ging es um eine völkerrechtlich verbindliche Regelung und Garantie der Grenzfrage. Aus historischer Sicht war eigentlich alles ganz klar. Die DDR hatte die polnische Westgrenze bereits 1950 anerkannt, die Bundesrepublik folgte explizit mit den Ostverträgen, dem Moskauer und dem Warschauer Vertrag aus dem Jahre 1970. Aber die Bundesrepublik konnte – so ihr Rechtsstandpunkt – angesichts der alliierten Vorbehalte bezüglich Gesamtdeutschlands, wie sie im Deutschlandvertrag 1952/54 festgelegt waren, zu diesem Zeitpunkt nicht für Gesamtdeutschland sprechen; die endgültige Lösung war demnach einem vereinten Deutschland oder einem Friedensvertrag vorbehalten. Indem Helmut Kohl dieses Argument betonte, folgte er politischen Überlegungen, die vor allem nach innen zielten. Denn der Bund der Vertriebenen lehnte die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze nach wie vor ab.24
Eine längst in den Hintergrund geratene Diskussion flammte wieder auf. Der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Herbert Czaja, bezeichnete die Westverschiebung Polens als einen Willkürakt Stalins, der nie durch eine friedensvertragliche Regelung festgeschrieben worden sei. Die Grenzfrage sei also immer noch offen. Einer derartigen Argumentation fehlte jeglicher Bezug zur historischen Entwicklung, vor allem im Zusammenhang mit den seit den 1970er Jahren geschaffenen Realitäten der Entspannungspolitik. Zudem ließ sie völlig außer Acht, welche Konsequenzen ein deutscher Anspruch auf die nunmehr polnischen ehemaligen deutschen Ostgebiete haben würde. Letztlich setzte sich in der CDU, der Czaja angehörte, eine deutliche Position für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und deren völkerrechtliche Vereinbarung in einem Vertrag mit Polen durch. In einer Abstimmung des Bundestages am 21. Juni 1990 stimmten lediglich 15 Vertreter aus den Reihen der Vertriebenen gegen den entsprechenden Antrag.25 Am 14. November 1990 schließlich unterzeichnete Außenminister Genscher in Warschau den deutsch-polnischen Grenzvertrag.
In der ebenfalls umstrittenen Frage der Bündniszugehörigkeit Deutschlands agierte der sowjetische Partei- und Staatschef Gorbatschow auf schwierigem Terrain. Zum einen gab es Berater in seinem engsten Bereich, die bereit waren, ein vereintes Deutschland als NATO-Mitglied zu akzeptieren, deutlich stärker jedoch waren jene Kräfte, die dies klar ablehnten. Valentin Falin, Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, war einer jener Vertreter, die sich weiterhin an einer Weltmachtposition der Sowjetunion orientierten, er hatte gar die Vorstellung, ein vereintes Deutschland solle Mitglied des Warschauer Vertrages werden26. Gorbatschow war, nicht nur qua seines Amtes, die Schlüsselfigur. Solange er im Amt war, standen die Möglichkeiten einer Einigung gut, zugleich durfte der Prozess nicht so forciert werden, dass er unter weiteren Druck der Hardliner in der Sowjetunion geriet und möglicherweise sogar sein Amt verlor – eine Befürchtung, die sich im folgenden Jahr mit dem Putschversuch im August 1991 und Gorbatschows Amtsverlust im Dezember dieses Jahres bewahrheiten sollte.
Eine entscheidende Veränderung vollzog sich bei Gorbatschow in der Bündnisfrage im Mai 1990. Dabei spielte nicht zuletzt die problematische wirtschaftliche Lage der Sowjetunion eine Rolle. Tatsächlich war die Sowjetunion an Krediten interessiert, die ihr die bundesdeutsche Regierung im Mai auch konkret in Aussicht stellte. Kohl schrieb am 22. Mai 1990 in einem Brief an Gorbatschow, er verbinde mit dem Kreditangebot die Erwartung, dass die Sowjetunion in den Zwei-plus-Vier-Gesprächen alles unternehme, »um die erforderlichen Entscheidungen herbeizuführen, die eine konstruktive Lösung der anstehenden Fragen noch in diesem Jahr ermöglichen«.27 Die Einheit zu den dann vereinbarten Bedingungen war nicht einfach gekauft – aber die Kreditfrage spielte eine Rolle und Kohl brachte diesen Zusammenhang ganz offen zur Sprache.
Am 31. Mai 1990 weilte Gorbatschow in Washington und ließ in Gesprächen mit Präsident George H. W. Bush durchblicken, dass er mit der freien Bündniswahl eines vereinigten Deutschland einverstanden sei.28 Gorbatschow ließ sich offenkundig überzeugen, dass er nicht einerseits die Einheit Deutschlands akzeptieren, andererseits aber die freie Entscheidung des vereinten Deutschlands in der Bündnisfrage torpedieren könne. Auch die von »Konservativen« wie Falin vorgebrachten Sicherheitsinteressen der Sowjetunion schienen angesichts einer in die NATO integrierten deutschen Militärmacht besser gewährleistet als von einem neutralen, unabhängig handelnden Deutschland.29 Die US-Vertreter hatten das Zugeständnis gemacht, dass es keine Erweiterung der NATO Richtung Osten, d. h. über das Territorium der DDR hinaus, geben werde – eine Zusage, die unter Präsident Bill Clinton keinen Bestand mehr hatte, zu einem Zeitpunkt allerdings, als es die Sowjetunion nicht mehr gab.30 Bei Verhandlungen zwischen Gorbatschow und Kohl wurde im Juli 1990 der Durchbruch erzielt. Kohl reiste am 14. Juli 1990 in die Sowjetunion und bereits bei einem Gespräch im Gästehaus des Außenministeriums am 15. Juli gestand Gorbatschow zu, dass Deutschland weiterhin Mitglied der NATO bleiben könne.31 Symbolträchtig in Szene gesetzt wurde dieses Zugeständnis dann beim Besuch in Gorbatschows Jagdhaus im Kaukasus am folgenden Tag. In lockerer Atmosphäre, Gorbatschow im Pulli und Kohl in Strickjacke, bestätigte der sowjetische Partei- und Staatschef am 16. Juli, dass das vereinigte Deutschland in der Bündnisfrage frei entscheiden könne. Dass dieser Durchbruch von bundesdeutschen Politikern – ohne Einbeziehung der DDR-Regierung – erzielt wurde, wirft ein weiteres bezeichnendes Bild auf das unterschiedliche politische Gewicht der beiden deutschen Staaten in jener Phase vor dem Vollzug der deutschen Einheit.
Der am 12. September 1990 in Moskau unterzeichnete Zwei-plus-Vier-Vertrag bestimmte, dass nach Abzug sowjetischer Truppen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR deutsche Streitkräfte stationiert werden könnten. Verbunden war dies mit einer deutlichen Reduzierung der deutschen Streitkräfte, die 1990 zusammengenommen etwa 600.000 Personen umfasste. In den kommenden drei bis vier Jahren sollten sie auf 370.000 reduziert werden. Ebenfalls in diesem Zeitraum sollten die sowjetischen Truppen abgezogen werden, dies war 1994 der Fall.
Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde die endgültige und vollständige Herstellung der Souveränität des geeinten deutschen Staates festgelegt. In Artikel 7 hieß es, das vereinte Deutschland habe die volle Souveränität über seine inneren und äußeren Angelegenheiten; die vier Siegermächte beendeten ihre noch bestehenden Rechte in Bezug auf Deutschland als Ganzes. Auch Deutschlands Grenzen wurden endgültig festgelegt, einschließlich der Oder-Neiße-Grenze zu Polen.
Nach der vertraglichen Regelung der innerdeutschen Fragen waren damit auch die außenpolitisch relevanten Rahmenbedingungen für die Vereinigung vertraglich vereinbart. In der Nacht von 2. auf den 3. Oktober 1990 konnten die Deutschen die vollzogene Einheit feiern.