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2. Ist das noch Psychotherapie? Sich auf ein neues Element einlassen

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Bei Spaziergängen im Kaiserstuhl sah ich gelegentlich Schülern einer Drachensegler-Schule zu, wie sie ihre ersten Flugversuche unternahmen. Sie liefen mit ihrem Fluggerät den Berg hinunter, machten Sprünge von zwei, drei Metern, und dann rannten sie wieder auf dem Boden. Später trauten sie sich längere Strecken zu segeln. Vermutlich macht ein kleines Kind ähnliche Erfahrungen, wenn es laufen lernt und die Sicherheit des Krabbelns auf allen vieren aufgibt zugunsten des noch unsicheren Gehens auf zwei Beinen. Einige Jahre später, beim Fahrradfahren oder Schwimmenlernen geht es wieder darum, sich neuen Bewegungsabläufen oder einem neuen Element anzuvertrauen.

Dieses Bild des Drachensegelns habe ich oft vor Augen, wenn ich an den Unterschied zwischen den problemorientierten und den lösungsorientierten Therapien denke. Wer lösungsorientiert arbeitet, bewegt sich in einem neuen Element, lässt die alten Sicherheiten hinter sich. Vertreter der älteren Schulen verstehen meist nicht, was es bedeutet lösungsorientiert zu arbeiten. Es erscheint ihnen eher oberflächlich, unseriös und unwissenschaftlich.

Bei meinen Ausbildungsteilnehmern konnte ich beobachten, wie sie sich allmählich auf die lösungsorientierte Denk- und Arbeitsweise einließen. Es erfordert ein bestimmtes Maß an Mut, an innerer Freiheit, an Vertrauen in die Fähigkeiten des Klienten und eine Dienstleistungshaltung. Man muss es aushalten können, dass man weder das Problem des Klienten, noch das, was die Lösung in ihm und in seinem Leben ausmacht, wirklich versteht und verstehen muss, um mit ihm lösungsorientiert zu arbeiten. Es gibt nach meiner Einschätzung heute mehr Menschen, die diese Voraussetzungen mitbringen als vor zwanzig, dreißig und weit mehr als vor fünfzig Jahren. Vermutlich wären damals die neuen Verfahren weder begriffen noch akzeptiert worden.

Die moderne Psychotherapie zu verstehen ist paradoxerweise weniger schwierig für Laien als für Fachleute. Warum? Laien bringen neue Informationen in Beziehung zu ihren Lebenserfahrungen, Fachleute setzen sie in Beziehung zu dem, was sie wissen, bzw. was man ihnen beigebracht hat. Hier rächt sich die starke Ideologisierung der Psychotherapie in der Vergangenheit. Grawe, der die an psychotherapeutische Schulen gebundene Ausbildung überwinden möchte, bringt es in „Psychotherapie im Wandel“ mit der Formulierung „Von der Konfession zur Profession“ programmatisch auf den Nenner.34

Die moderne Psychotherapie bricht gleich mit mehreren Überzeugungen darüber, was Psychotherapie sei und wie sie zu funktionieren habe. Lässt man sich auf sie ein, so geht eine Menge verloren von dem, was Therapeuten vertraut ist und woran sie ihre Fachkompetenz festmachen:

Psychodiagnostik und Psychopathologie werden uninteressant, da man nicht mehr davon ausgeht, dass aus Problemen Lösungen abgeleitet werden können. Rückblickend erscheint das ‚wissenschaftliche‘ Gebaren in der Psychotherapie und Psychiatrie eher wie ein archaisches Beschwörungsritual, das weit mehr dem Selbstverständnis und Diskurs der Therapeuten dient als dem Wohl der Patienten.

Das Aufarbeiten der Vergangenheit wird weitgehend ersetzt durch Änderung der gelernten Programme (Reaktionsmuster, Grundeinstellungen, Erwartungshaltungen, Identitäten). Die tiefenpsychologische Arbeit verliert dadurch an emotionaler Dramatik und erinnert an den Arbeitsstil eines Programmierers.

Vernünftigkeit und Wissenschaftlichkeit sind keine allein verbindlichen Maßstäbe mehr für diese Psychotherapie. Erickson vertritt die Haltung des ‚wissenden Nichtwissens‘. Die Grenzen zwischen ‚wissenschaftlich anerkannten‘ und alternativen Verfahren bestehen nicht mehr. Die Kontrolle durch Erkennen und Verstehen wird teilweise aufgegeben.

Was wird dafür gewonnen?

Die Klienten werden als kompetent gesehen, und ihre Kompetenz wird von Anfang an genützt. Das stärkt sie, macht sie erfolgreich, und es geht ihnen meist schon recht gut in und nach den ersten Therapie-Sitzungen. Sie erleben sich als fähig, zuversichtlich und machen positive Erfahrungen.

In ihrer Lebenssituation erfahren sie in der Regel schon nach wenigen Sitzungen eine deutliche Verbesserung des beklagten Sachverhaltes. Statt sich monate- oder jahrelang mit kaum lösbaren Problemen zu quälen, können sie sich wieder den Herausforderungen ihres Lebens stellen und beginnen diese zu meistern.

Körperlich Leidende und Kranke können wieder berechtigte Hoffnungen auf Heilung schöpfen, das gilt auch bei schweren Krankheiten. Endlich ist es möglich, dass die Erkenntnisse der Psychosomatik umgesetzt werden durch eine rasch wirksame Psychotherapie. Das kann zu deutlichen Kosteneinsparungen im Gesundheitswesen führen.

Die neuen Erkenntnisse und Methoden in der Psychotherapie sind viel mehr ‚Coaching‘ als ‚Behandlung‘. Sie lassen sich in vielen Lebensbereichen erfolgreich einsetzen, in der Pädagogik, der Partner- und Familientherapie, in Führungskräfte-Trainings, in der Arbeit mit Arbeitslosen und Behinderten oder der Seelsorge.

ILP - Integrierte Lösungsorientierte Psychologie

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