Читать книгу ILP - Integrierte Lösungsorientierte Psychologie - Dietmar Friedmann - Страница 8
Die äußere Lebenswirklichkeit und ihre psychische Entsprechung
ОглавлениеDe Shazer und Bandler haben in unterschiedliche Richtungen geforscht, De Shazer eher erfolgsorientiert: Wie werden Ziele erreicht, und wie können Klienten darin unterstützt werden? Bandlers Forschungsinteresse ist mehr erkenntnisorientiert: Wie funktioniert unser Erleben und wie lässt es sich ändern? Beide haben viel von Erickson gelernt. Sein Ansatz war beziehungsorientiert: Wie kann ich mit Klienten so umgehen, dass es ihnen unmöglich wird, weiterhin ihr problem- und leiderzeugendes Verhalten fortzusetzen? Von den Ergebnissen her sind alle drei Vorgehensweisen lösungs- und ressourcenorientiert.
Die unterschiedlichen Fragestellungen haben zu unterschiedlichen Forschungs-Ergebnissen und Anwendungs-Schwerpunkten geführt. Für mich ging es nicht darum, mich für die eine oder andere Schule zu entscheiden. Ich vermutete, dass die unterschiedlichen Vorgehensweisen den je andersartigen Bedingungen der drei Lebensbereiche entsprechen. Tatsächlich zeigte sich, dass De Shazers Lösungsorientierte Therapie in erster Linie auf praktische Veränderungen abzielt, Bandlers NLP auf die der mentalen Steuerungen und Ericksons paradoxe Interventionen sich direkt auf der Beziehungs-Ebene auswirken.
So ist es kein Zufall, dass sich in den letzten Jahrzehnten drei Therapie-Schulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt haben: die Lösungsorientierte Kurztherapie, das Fortgeschrittene NLP und die Systemische Familientherapie. Sie entsprechen in etwa den unterschiedlichen Bedingungen der drei Lebensbereiche Handeln, Erkennen10 und Beziehung. Das heißt, dass eine Therapie, die praktische Veränderungen in der Lebensgestaltung anstrebt, anders denken und vorgehen wird als ein tiefenpsychologisches Verfahren, das frühe Muster des Erlebens verändern möchte, oder eine Therapie-Schule, die auf die Veränderung von Beziehungen ausgerichtet ist.
De Shazers Lösungsorientierte Kurztherapie entspricht den Erfolgskriterien des Bereiches Handeln, sich Ziele setzen und seine Ressourcen nützen. Mit Bandlers Fortgeschrittenem NLP lassen sich alte einschränkende Programme in erlaubende ändern, jene mentale Steuerungen, die nachhaltig unsere Reaktionen und unser Erleben bestimmen. Und Ericksons systemisch-energetische Interventionen wirken ein auf das Beziehungsgeschehen. Da jede Veränderung in einem Lebensbereich der Unterstützung der anderen Lebensbereiche bedarf, führt das dazu, dass sich in jeder Schule Elemente der anderen Schulen finden.
Abb. 2 Integration der drei Therapie- oder Coaching-Verfahren
Mein erster Beitrag auf dem Weg zu einer Integration dieser wirksamen Methoden war das psycho-ontologische Landkartenwissen: das Wissen über die Eigengesetzlichkeiten der drei Lebensbereiche, über die unterschiedlichen Fähigkeiten der drei Ichs und die Wesensunterschiede der Persönlichkeitstypen. Es machte sichtbar, wo noch weiße Flecken sind, was fehlt oder was methodisch erschlossen werden musste, um dem jeweiligen Thema gerecht zu werden. Mein zweiter Beitrag war, vorhandene Methoden weiter oder fehlende neu zu entwickeln. Zugleich ermöglicht dieses Wissen, die dann zur Verfügung stehenden Verfahren entsprechend der jeweiligen Persönlichkeit zu organisieren und sie bis ins Detail passgenau anzuwenden. Die Integration der lösungsorientierten Verfahren war mein dritter Beitrag.
Jedes dieser lösungs- und ressourcenorientierten Verfahren ist schon für sich allein wirksam. Obwohl sie schon seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt und zugänglich sind, kämpfen sie noch immer um ihre Anerkennung. Denn sie verstoßen gegen eine Reihe wissenschaftlicher, medizinischer und psychotherapeutischer Paradigmen. Gorbatschows oft zitierter Satz: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, kann durch eine andere Erfahrung ergänzt werden: „Wer zu früh kommt, den bestrafen die Fachleute.“
Es gibt in der Geschichte des Fortschrittes kontinuierliche Verbesserungen und einschneidende Veränderungen. Zu den Letzteren zählen etwa der Übergang vom Schlitten zum Wagen, vom Floß zum Boot oder von der Hand- zur Maschinenarbeit. Ein ähnlich revolutionärer Umbruch ist der Übergang von der problem- zur lösungsorientierten Therapie. Das lösungsorientierte Denken und Handeln lässt sich nicht in das problemorientierte integrieren.
Damit lösungsorientierte Verfahren anerkannt und in breitem Umfang eingesetzt werden können, muss zweierlei geschehen. Es muss sich ein neues Denken und Verstehen durchsetzen, wie Psychotherapie, Beratung oder Coaching funktionieren. Eine Hilfe dabei ist, dass dieses neue Denken auch in anderen Wissenschafts- und Lebensbereichen zu finden ist.11 Und über die Anerkennung und Anwendung von Psychotherapie-Verfahren dürfen nicht die Argumente der Interessen-Verbände und -Vertreter entscheiden, sondern es muss vom Wohl der Klienten ausgegangen werden.
Bisher hat man logisches, vernünftiges Denken mit wissenschaftlichem Denken gleichgesetzt. Es wird immer deutlicher, dass mit diesem Denken nur ein Teil der menschlichen Wirklichkeit zu erfassen ist. Doch Psychotherapie hat es mit der ganzen Wirklichkeit zu tun. Dazu kommt, dass Medizin und Psychotherapie sich in der Vergangenheit vor allem mit Krankheiten und Störungen befasst haben. Damit weiß man noch nichts über Gesundheit und gelingendes Leben, beide sind weder das Gegenteil, noch einfach die Abwesenheit von Krankheiten bzw. Problemen.
Und schließlich hat man Störungen wie Tatsachen behandelt, die man diagnostizieren und therapieren müsse. Doch wenn Klienten beginnen, angemessen mit ihrer Lebens-Wirklichkeit umzugehen und diese entsprechend ihrer Bedürfnisse zu gestalten, verschwinden diese Störungen in den meisten Fällen. Manchmal genügt dazu schon eine Änderung der Sichtweise. Etwas, was einfach verschwindet, ist keine Tatsache, sondern lediglich ein Symptom. Solche Symptome können eine tiefer liegende Ursache haben, doch häufiger entstehen sie durch falsche oder fehlende Lösungsstrategien.