Читать книгу ILP - Integrierte Lösungsorientierte Psychologie - Dietmar Friedmann - Страница 6
Einleitung
ОглавлениеWenn etwas gelingen soll, ist es besser von Lösungen auszugehen, statt von Problemen. Lenkt man die Aufmerksamkeit der Klienten auf mögliche Lösungen und auf Gelungenes, können in kürzerer Zeit bessere Ergebnisse erzielt werden, als wenn man sich viel mit dem beschäftigt, was misslungen ist. Das sind die übereinstimmenden Erfahrungen jener, die lösungsorientiert vorgehen. Sie arbeiten mit Träumen und Zielen, mit Ressourcen und Erfahrungen, aber auch mit Intuition und dem Wissen, wie unsere Wirklichkeit funktioniert. Lösungsorientiertes Vorgehen erfordert neben solidem handwerklichem Können eine innere Haltung, die man ihrerseits als lösungsorientiert beschreiben kann.
Dieses Buch behandelt die Integration lösungsorientierter Verfahren auf dem Hintergrund einer prozessorientierten Persönlichkeitstypologie. Dabei handelt es sich um schon bewährte Verfahren wie die Lösungsorientierte Kurztherapie1 und das fortgeschrittene NLP2, aber auch um Neuentwicklungen. Die Systemisch-energetische Kurztherapie, bisher eher intuitiv eingesetzt, wurde methodisch zugänglich gemacht. Und mit dem typgenauen Autonomie-Training wird deutlich, wie der Einzelne sein Wohlbefinden beeinträchtigt und wie er es zurückgewinnen kann.
Wie ist es möglich, dass ein Verfahren zugleich Psychotherapie und Coaching sein kann? Bisher galten Therapie und Coaching als zwei völlig unterschiedliche Tätigkeiten, etwa Therapie ist etwas für Kranke, Coaching für Gesunde. Doch die systemischen, lösungs- und ressourcenorientierten Verfahren sind eigentlich Coaching-Methoden. Sie kümmern sich wenig um die Symptome des (psychischen) Krankseins und auch nicht um die Heilung von psychischen Störungen.
Sie arbeiten von Anfang an auf Lösungen hin, aktivieren und unterstützen die gesunden Anteile des Klienten. Sie vertrauen darauf, dass Krankheiten und Störungen Symptome sind, die von selbst verschwinden, wenn der Klient konstruktiv mit sich und seinem Leben umgeht. Das ist eine in der Psychotherapie (und Medizin) neue Sichtweise.
Die Praxis gibt ihnen Recht. Klienten realisieren in einem Bruchteil der bisherigen Behandlungszeiten stabile positive Ergebnisse. Deshalb nennt man diese Verfahren auch Kurztherapien. Nicht weil sie ‚Taschenausgaben‘ einer richtigen und ausführlichen Therapie sind, sondern weil sie in kurzer Zeit erfolgreich die Ziele ihrer Klienten realisieren.
Für die alltägliche Lebenspraxis sind diese ‚therapeutischen‘ Coaching-Verfahren nützlich, um mit sich und anderen ‚gesund‘ umzugehen. ILP ist angewandte Lebenskompetenz. Das heißt, im ILP stecken viel Wissen und praktisch Erfahrung, wie man mit den vielfältigen Herausforderungen des Lebens angemessen und erfolgsversprechend umgehen kann.
Damit wird ein neues Kapitel in der Geschichte der Psychotherapie aufgeschlagen. Wir sind jetzt in der dritten oder vierten Generation angelangt, und in jeder stellen sich neue Aufgaben. In den letzten Jahrzehnten wurden mannigfaltige Verfahren zur lösungs- und ressourcenorientierten Therapie entwickelt. Sie nützen und unterstützen die schöpferischen Fähigkeiten der Klienten. Man arbeitet mit ihnen auf deren Kompetenzebene, aktiviert ihre Ressourcen und lenkt ihren Blick nach vorne auf lohnende und attraktive Ziele.
Was steht jetzt an? Es kommt jetzt darauf an die unterschiedlichen lösungsorientierten Ansätze zu integrieren. Das erfordert offen zu sein, Zusammenhänge zu erkennen, Erkenntnisse kompatibel zu machen. Was bedeutet hier Integration? Integrieren ist nicht Mischen und Vermischen. Es ist ein passgenaues Zusammenfügen, so dass jedes Teil wie bei einem Puzzle seinen Platz hat und findet. Dabei wird deutlich, dass manche Puzzleteile nur rudimentär ausgebildet sind und andere ganz fehlen, also fertiggestellt oder neu gestaltet werden müssen. Mischungen dagegen haben den Charakter des Beliebigen, man denke an Tabak-, Kaffee- oder Duftmischungen – der eine mag die, der andere jene.
Hier stellt sich die Frage, lässt sich unsere Wirklichkeit tatsächlich mit einem Puzzle3 vergleichen, ist sie ‚vorstrukturiert‘, funktioniert sie nach erkennbaren Gesetzmäßigkeiten und vorhersagbaren Prozessen – oder ist sie eher ein zufälliges Durcheinander? Das könnte die entscheidende Frage sein, die den Übergang markiert von der dritten zur vierten Generation. Die meisten lösungsorientierten Therapeuten denken pragmatisch und konstruktivistisch. Für sie ist die Wirklichkeit so etwas wie ein Baukasten aus Legosteinen – man kann sie so oder anders zusammensetzen und alles Mögliche damit bauen. Dagegen habe ich nichts einzuwenden, doch es ist nicht alles.
Ähnlich stellt sich die bisherige Lösungsorientierte Therapie selbst dar, eine Fülle wirksamer Ansätze und Methoden. Das sieht aus wie Reichtum, hat aber auch etwas von einer Überschwemmung: das Wertvolle geht unter in einer Masse des Mittelmäßigen – ein Werkzeugkasten voller Werkzeuge ohne Gebrauchsanleitungen. Ich stimme hier De Shazer zu, der darauf besteht, die Dinge einfach zu halten, oder Walter und Peller, die sich auf nur drei Methoden konzentrieren – auch wenn mein eigener Ansatz deutlich differenzierter ist. Integration bedeutet für mich deshalb auch, den Weizen von der Spreu zu trennen. Dabei dürfen keine persönlichen Vorlieben im Spiel sein, sondern das muss sich aus der Sache ergeben.
Wie kann so eine Aufgabe gelöst werden? Was uns vermutlich am meisten daran hindert weiterzukommen, sind gedankliche Einschränkungen. Die banale und leicht zu durchschauende Form von Behinderungen sind Ideologien. Sie werden heute vor allem dafür eingesetzt, veraltete Verfahren zu rechtfertigen und zu schützen. Subtiler sind wissenschafts- und erkenntnistheoretische Einstellungen, die sich in der Vergangenheit darin bewährt haben, bestimmte Wirklichkeitsaspekte zu erschließen, dann aber verallgemeinert werden und das bereits Bekannte für die ganze Wirklichkeit halten. Hier hilft, dass man sie nicht als allgemein gültige Wahrheiten betrachtet, sondern als Erkenntniswerkzeuge, die einen bestimmten und begrenzten Anwendungsbereich haben.
Meine eigenen psychologischen Forschungen, speziell zu den Themen Typologie und Psychotherapie, bestanden hauptsächlich darin, die für diese Themen relevanten Gesetze der menschlichen Wirklichkeit herauszufinden, ihnen wissend und methodisch zu entsprechen und das dann in der therapeutischen Praxis anzuwenden und zu überprüfen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind keine Geheimwissenschaft, sondern was sie beschreiben oder tun, liegt offen zu Tage. Man muss nur bereit sein hinzuschauen und es auszuprobieren. Das bedeutet jedoch eine Schwelle zu überschreiten, und solche Schwellen sind immer mit Tabus belegt.
Die Geschichte der Psychotherapie ist eine Folge solcher Tabubrüche – man spricht auch von Paradigmenwechsel. Dieser Begriff verschleiert allerdings, dass es sich dabei um existentielle Entscheidungen handelt. In der Psychotherapie up to date zu sein, bedeutet paradoxerweise, dass man das Risiko eingeht, bestraft zu werden. In der Praxis sieht das so aus, dass zum wiederholten Mal die vorausgehende und inzwischen etablierte Generation nicht wirklich versteht, was die nachfolgende tut, und, statt das Neue begeistert aufzunehmen, es abwertet. Eine erfreuliche Nachricht ist, dass im Dezember 2008 die Systemisch-lösungsorientierte Psychotherapie vom Wissenschaftlichen Beirat Psychologie (WBP) wissenschaftlich anerkannt wurde.
Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass die neuen Erkenntnisse und Methoden der lösungsorientierten Psychologie viele Lebensbereiche verändern werden. Sie können Menschen, die seelisch leiden, meist rasch und nachhaltig helfen. Werden sie in der Psychosomatik eingesetzt, kann, vorsichtig geschätzt, einer von drei Schwerkranken geheilt werden, der ohne diese Unterstützung dazu verurteilt wäre, chronisch krank zu bleiben oder vorzeitig zu sterben. Sie können pädagogische und sozial-psychologische Tätigkeiten wesentlich erfolgreicher gestalten als das bisher möglich ist. Und sie können das Klima der Führung und der Zusammenarbeit in Unternehmen günstig beeinflussen. Da das alles immer auch positive wirtschaftliche Auswirkungen hat, empfiehlt es sich, hier Mittel zu investieren, um als Folge davon Einsparungen und Gewinne zu erzielen.
De Shazer sagt, lösungsorientierte Therapie sei einfach, doch nicht leicht. Dem möchte ich zustimmen. Man kann sie nicht aus Büchern lernen, sondern sie erfordert eine sorgfältige und praxisbezogene Ausbildung. Sonst besteht die Gefahr, dass sie dilettantisch eingesetzt und dadurch diskreditiert wird. Man wird das nicht verhindern können, denn auch eine mangelhafte lösungsorientierte Therapie ist für den Klienten oft besser als eine perfekte problemorientierte. Doch das entspricht nicht meinem Qualitätsanspruch sowohl an lösungsorientierte Verfahren wie an eine entsprechende Ausbildung.