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1. An Karl und Paula Bonhoeffer
Оглавление14. April 1943
Liebe Eltern!
Vor allem müsst Ihr wissen und auch wirklich glauben, dass es mir gut geht. Leider kann ich es Euch erst heute schreiben, aber es war wirklich die ganzen zehn Tage so. Was man sich gewöhnlich bei einer Haft als besonders unangenehm vorstellt, also die verschiedenen Entbehrungen des äußeren Lebens, das spielt merkwürdigerweise tatsächlich fast gar keine Rolle. Man kann sich auch mit trocken Brot morgens satt essen – übrigens gibt es auch allerlei Gutes! – und die Pritsche macht mir schon gar nichts aus und schlafen kann man von abends 8 bis morgens um 6 Uhr reichlich. Besonders überrascht hat es mich eigentlich, dass ich vom ersten Augenblick an so gut wie nie Verlangen nach Zigaretten hatte; ich glaube eben doch, dass bei all diesen Dingen das Psychische die entscheidende Rolle spielt; eine so starke innere Umstellung, wie sie eine so überraschende Verhaftung mit sich führt, die Nötigung, sich innerlich zurecht- und abzufinden mit einer völlig neuen Situation – das alles lässt das Körperliche völlig zurücktreten und unwesentlich werden; und das empfinde ich als eine wirkliche Bereicherung meiner Erfahrung. Alleinsein ist für mich ja nicht etwas so Ungewohntes wie für andere Menschen und ist sicher ein gutes seelisches Dampfbad. Quälend ist oder wäre nur der Gedanke, dass Ihr Euch um mich ängstigt und quält, dass Ihr nicht richtig schlaft und esst. Verzeiht, dass ich Euch Sorgen mache, aber ich glaube, daran bin diesmal weniger ich als ein widriges Schicksal schuld. Dagegen ist es gut, Paul-Gerhardt-Lieder zu lesen und auswendig zu lernen, wie ich es jetzt tue. Übrigens habe ich meine Bibel und Lesestoff aus der hiesigen Bibliothek, auch Schreibpapier jetzt genug. Nun könnt Ihr Euch denken, dass mir meine Braut in dieser Zeit ganz besonders leidtut. Es ist viel für sie, nachdem sie Vater und Bruder erst kürzlich im Osten verloren hat. Als Offizierstochter wird sie vielleicht besonders schwer an einer Verhaftung tragen. Wenn ich ihr doch ein paar gute Worte sagen könnte. Nun werdet Ihr es tun, und vielleicht kommt sie mal zu Euch nach Berlin, es wäre schön. Heute vor 14 Tagen war der 75. Geburtstag. Es war ein schöner Tag. Der Morgen- und Abendchoral mit den vielen Stimmen und Instrumenten klingt noch in mir nach: „Lobe den Herren, den mächtigen König … in wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet.“ So ist es, und darauf wollen wir uns weiter getrost verlassen.
Nun kommt ja der Frühling mit Macht. Ihr werdet viel im Garten arbeiten; bei Renate gehen hoffentlich die Hochzeitsvorbereitungen gut voran. Hier im Gefängnishof singt morgens und auch jetzt abends eine Singdrossel ganz wunderbar. Man wird für Geringes dankbar, auch das ist wohl ein Gewinn! Lebt wohl!
Es denkt an Euch und alle Geschwister und Freunde in Dankbarkeit und Liebe immer
Euer Dietrich
Würdet Ihr bitte gelegentlich Hausschuhe, Schnürsenkel (schwarz, lang), Schuhcreme, Briefpapier und -umschläge, Tinte, Raucherkarte, Rasierseife sowie Nähzeug und einen Anzug zum Auswechseln hier für mich abgeben? Vielen Dank für alles!