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8. An Karl und Paula Bonhoeffer
Оглавление3. Juli 1943
Liebe Eltern!
Wenn am Sonnabend abends um 6 Uhr die Glocken der Gefängniskirche zu läuten anfangen, dann ist das der schönste Augenblick, um nach Haus zu schreiben. Es ist merkwürdig, was für eine Gewalt die Glocken über den Menschen haben und wie eindringlich sie sein können. Es verbindet sich so vieles aus dem Leben mit ihnen. Alles Unzufriedene, Undankbare, Selbstsüchtige schwindet dahin. Es sind lauter gute Erinnerungen, von denen man auf einmal als von guten Geistern umgeben ist; als Erstes sind es immer stille Sommerabende in Friedrichsbrunn, die mir gegenwärtig werden, dann all die verschiedenen Gemeinden, in denen ich gearbeitet habe, dann die vielen schönen häuslichen Feste, Trauungen, Taufen, Konfirmationen – morgen wird mein Patenkind konfirmiert! –, man kann es gar nicht aufzählen, was da alles lebendig wird. Aber es können nur sehr friedliche, dankbare und zuversichtliche Gedanken sein. Wenn man nur andern Menschen mehr helfen könnte!
Ich habe eine Woche mit viel ruhiger Arbeit und schönen Büchern hinter mir, dazu mit Briefen von Euch und Maria und mit dem wunderschönen heutigen Paket. Es beunruhigt mich etwas, dass Eure Fenster im Luftschutzraum zugemauert werden sollen. Ich finde, Ihr dürft Euch das unter keinen Umständen gefallen lassen; es ist doch der einzige Ausgang und auch sicher nicht so gedacht. Ich habe hier mit dem Hauptmann darüber gesprochen; der hat sich mit Erfolg zur Wehr gesetzt; es ist nur die schematische Durchführung einer Bestimmung, die für Euer Haus gar nicht passt. Rüdiger soll Euch doch da etwas helfen. Dass Ihr nun bei Alarmen oben bleiben wollt, verstehe ich ja, aber ich finde es beunruhigend und das muss in Ordnung kommen. Man kann ja vor dem Fenster eine dicke Sandsackschicht aufbauen.
Sich von den schönen Bildern zu trennen, ist ja traurig; aber vielleicht ist es richtig, so wüst, wie die Angriffe jetzt zu sein scheinen. Für meine Bücher hoffe ich ja wirklich selbst noch sorgen zu können, um Euch diese Arbeit zu sparen. Vielleicht sollte man die großen Rembrandtmappen schon verstauen.
Maria hat mir über Ausstattungsfragen geschrieben, das hat mich ungeheuer gefreut. Die Skizzen von den Möbeln ihres Zimmers finde ich wunderhübsch. Dass sie jetzt eine Weile zu Haus sein kann, freut mich für sie alle. […] Ich lasse sie fragen, ob sie es nicht statt der Geige mit der Laute versuchen will, wenn sie sich wirklich von der Geige nichts verspricht; nur muss man gleichzeitig dann etwas Harmonielehre treiben. Es wäre wirklich hübsch, wenn so etwas noch möglich wäre. […] Ich lasse ihr sehr für ihren Brief und auch die Bilder danken. Sehr gern hätte ich eine Vergrößerung ihres Bildes auf dem Hochzeitszug von Ruth-Alice Bismarck; das ist so sehr hübsch; auch das Kleid finde ich besonders schön. Sie hat mir übrigens einen so märchenhaften Kuchen gebacken, dass mir schon beim Ansehen und erst recht nachher Herz und Magen gelacht haben und dass ich nur bedauerte, Dir, Mama, nicht davon anbieten zu können!
Nur um Euch auf dem Laufenden zu halten, nicht weil ich es für der Rede wert hielte, muss ich noch von meinem Hexenschuss berichten. Er ist nicht schlimm, aber dauert schon über 3 Wochen; das ist etwas lästig. Schuld ist wohl der Steinboden. Hier geschieht alles Erdenkliche, Lichtbäder, Fußbäder, aber nützen tut es gar nichts.
Es ist nun 1/4 Jahr Haft herum. Ich erinnere mich, als Student in der Ethik bei Schlatter gehört zu haben, es gehöre zu den christlichen Staatsbürgerpflichten, eine Untersuchungshaft ruhig auf sich zu nehmen. Damals waren mir das leere Worte. Ich habe in den vergangenen Wochen manchmal daran gedacht; und nun wollen wir auch die Zeit, die uns noch auferlegt ist, ebenso ruhig und mit Geduld abwarten wie bisher. In Träumen bin ich mehr denn je schon wieder in Freiheit bei Euch.
Ganz wunderschön waren die Feuerlilien, die Kelche öffnen sich morgens langsam und blühen nur einen Tag, am nächsten Morgen sind neue da, übermorgen werden die letzten geblüht haben.
Eben komme ich von der Sprecherlaubnis. Das war doch wieder ganz wunderschön; ich bin sehr dankbar dafür. Besonders geht mir der Gedanke an Renate nach, Ihr habt doch mit den Schwestern schon so viel Erfahrung in diesen Zuständen, dass Ihr es ihr werdet erleichtern können; ich freue mich doch sehr; übrigens war Goethes Mutter knapp 18 Jahre, als er zur Welt kam. Grüßt sie doch besonders! Auch alle Geschwister und Kinder lasse ich sehr grüßen; ich glaube, es ist keiner, an den ich nicht alle Tage einmal dächte. Dass es der Großmutter wieder so gut geht, hat mich auch besonders gefreut zu hören. Wenn Ihr nun nur bald die Sorge loswürdet und reisen könntet! Das ist unaufhörlich mein Wunsch. Habt nochmals Dank für alles und nehmt viele Grüße von
Eurem Dietrich