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7. An Karl und Paula Bonhoeffer

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24. Juni 1943

Liebe Eltern!

Ich fange den Brief schon heute an, obwohl ich ja die Hoffnung habe, Euch morgen selbst zu sehen. In der Woche nach Pfingsten habe ich viele Briefe bekommen, die mich sehr gefreut haben. Zuerst die Euren, die mir immer wieder so eine große Beruhigung sind, obwohl ich doch nicht darüber hinwegkomme, dass Ihr unter meinem Missgeschick nun schon so lange mitleiden müsst; dann Marias Brief, der mich mit den märchenhaften Zukunftsträumen richtig vergnügt gemacht hat; aber auch Hans-Walter hat sich von seinen kurzen dienstfreien Augenblicken Zeit für einen Brief an mich abgespart, wofür ich ihm besonders danke – wie schön, dass er jetzt so nahe bei Berlin ist! Christoph hat in seinem Brief so nett aus Sakrow erzählt – wenn doch den Kindern bald dieser Druck abgenommen würde! – und der kleine Michael hat im letzten Paket seinem gefangenen Patenonkel sogar sein Konfekt geschickt; das darf er nun zwar nie wieder tun, aber ich denke mir, dass ihm dieses Opfer – und das ist es doch für so einen kleinen Kerl wirklich – in Erinnerung bleibt, und dass er sich ebenso darüber freut, wie ich es getan habe; wenn ich wieder frei bin, erfülle ich ihm irgendeinen besonderen Wunsch; er soll sich das schon überlegen. Auch K. Friedrich hat wieder so nett geschrieben; für Ursels Brief habe ich wohl schon gedankt. Aus den Paketen erkenne ich immer wieder die Mitwirkung der ganzen Familie, Geschwister und Kinder wie auch der Familie von Maria, alle müssen wissen, wie dankbar ich dafür bin; es ist eine wirkliche Hilfe. Was für ein Reichtum ist in solchen bedrängten Zeiten eine große, eng miteinander verbundene Familie, wo einer dem andern vertraut und beisteht! Ich habe früher bei gelegentlichen Verhaftungen von Pfarrern manchmal gedacht, es müsse doch für die Alleinstehenden unter ihnen am leichtesten zu ertragen sein. Damals habe ich nicht gewusst, was in der kalten Luft der Gefangenschaft die Wärme, die von der Liebe einer Frau und einer Familie ausgeht, bedeutet, und wie gerade in solchen Zeiten der Trennung das Gefühl der unbedingten Zusammengehörigkeit noch wächst. Über Walters Einführung habe ich mich gefreut; ich vergaß neulich, ihm dazu und zu seinem Geburtstag Glück zu wünschen; auch für Susi freut es mich sehr, die schon so an der Gemeinde hing und so viel für sie getan hat.

Eben kommen Mamas und Großmutters Briefe, für die ich Euch sehr danke. Aus den Berichten von Erdbeeren und Himbeeren, von Schulferien und Reiseplänen spüre ich erst, dass es inzwischen wirklich Sommer geworden ist. Hier geht das Leben ziemlich zeitlos dahin. Ich bin froh über die milden Temperaturen. Vor einiger Zeit hatte hier im Hof in einem kleinen Verschlag eine Meise ihr Nest mit 10 Jungen darin; ich hatte mich täglich daran gefreut, eines Tages hatte ein roher Kerl alles zerstört, einige Meisen lagen tot auf der Erde. Unbegreiflich. Auch ein kleiner Ameisenbau und die Bienen an den Linden machen mir auf meinen Gängen im Hof viel Freude. Ich erinnere mich dann manchmal an die Geschichte von Peter Bamm, der auf einer wunderschönen Insel ist, auf der er auch allerlei mehr oder weniger angenehme Menschen trifft, und der bei dem Angsttraum, es könnte einmal eine Bombe alles zerstören, zunächst nur denken kann: Es wäre schade um die Schmetterlinge! Es ist wohl das Gefühl für das ungestörte, stille, freie Leben der Natur, das dem Gefangenen ein ganz besonderes – wahrscheinlich etwas sentimentales – Verhältnis zu Tieren und Pflanzen gibt. Nur das Verhältnis zu den Fliegen in der Zelle bleibt für mich noch ganz unsentimental. Der Gefangene neigt wohl überhaupt dazu, den Mangel an Wärme und Gemüt, den er in seiner Umgebung empfindet, bei sich selbst durch eine Übersteigerung des Gefühlsmäßigen zu ersetzen, und er reagiert wohl auch leicht überstark auf alles Persönlich-Gefühlsmäßige. Es ist dann gut, sich selbst immer wieder einmal durch eine kalte Dusche Nüchternheit und Humor zur Ordnung zu rufen, sonst gerät man aus dem Gleichgewicht. Ich glaube, dass gerade diesen Dienst einem das recht verstandene Christentum besonders wirksam leistet. Du, Papa, kennst das ja alles gut aus Deinen langen Erfahrungen mit Gefangenen. Was die sogenannte Haftpsychose ist, weiß ich allerdings selbst noch nicht; ich kann mir nur die Richtung ungefähr vorstellen.

Ich werde Euch nächstens meine Raucherkarte wieder schicken; hier kriege ich jetzt kaum noch Zigaretten, nur sehr schlechten Tabak zum Rauchen! Herrlich waren Marias und Mutters Zigaretten. Großvaters „Ideale und Irrtümer“ habe ich mit großer Freude gelesen; auch der „Nachsommer“ freute mich sehr. Ihr müsst mal den „Waldsteig“ von Stifter und den „Uli“ von Gotthelf lesen; das lohnt sich sehr!

Eben komme ich zurück und habe Maria gesehen – eine unbeschreibliche Überraschung und Freude! Nur eine Minute vorher hatte ich es erfahren. Es ist mir noch wie ein Traum – wirklich eine fast unbegreifliche Situation –, wie werden wir später einmal daran zurückdenken! Was man in einem solchen Augenblick sagen kann, ist ja so belanglos, aber das ist ja auch nicht die Hauptsache. Es war so tapfer von ihr, zu kommen; ich habe es ihr gar nicht zuzumuten gewagt; denn es ist ja doch für sie viel schwerer noch als für mich; ich weiß, woran ich bin, für sie ist alles unvorstellbar, rätselhaft, schrecklich. Wie wird es sein, wenn dieser böse Albdruck einmal vorüber ist! Und nun ist eben auch noch Marias und Mutters Brief gekommen, um die Freude vollzu achen und als Nachklang von heute Morgen. Wie gut geht es mir doch immer noch! Sagt es ihnen doch, dass ich mir das täglich sage.

Wir dürfen uns voraussichtlich nächste Woche sehen! Darauf freue ich mich sehr. Maria ist so gern bei Euch und erzählte so froh von Schleichers. Dafür bin ich sehr dankbar. – Nun grüßt alle Geschwister, Kinder und Freunde sehr von mir! In großer Liebe denkt immer an Euch

Euer dankbarer Dietrich

Du wartest jede Stunde mit mir

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