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6. An Karl und Paula Bonhoeffer
Оглавление14. Juni 1943, Pfingsten
Liebe Eltern!
Nun feiern wir also auch Pfingsten noch getrennt, und es ist doch in besonderer Weise ein Fest der Gemeinschaft. Als die Glocken heute früh läuteten, hatte ich große Sehnsucht nach einem Gottesdienst, aber dann habe ich es gemacht wie Johannes auf Patmos und für mich allein einen so schönen Gottesdienst gehalten, dass die Einsamkeit gar nicht zu spüren war, so sehr wart Ihr alle, alle dabei und auch die Gemeinden, in denen ich Pfingsten schon gefeiert habe. Das P. Gerhardt'sche Pfingstlied mit den schönen Versen: „Du bist ein Geist der Freude …“ und „Gib Freudigkeit und Stärke …“ sage ich mir seit gestern Abend alle paar Stunden auf und freue mich daran, dazu die Worte: „der ist nicht stark, der nicht fest ist in der Not“ (Sprüche 24) und „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit“ (2Tim 1). Die seltsame Geschichte vom „Sprachenwunder“ hat mich auch wieder sehr beschäftigt. Dass die babylonische Sprachenverwirrung, durch die die Menschen einander nicht mehr verstehen können, weil jeder seine eigene Sprache spricht, ein Ende haben und überwunden sein soll durch die Sprache Gottes, die jeder Mensch versteht und durch die allein die Menschen sich auch untereinander wieder verstehen können, und dass die Kirche der Ort sein soll, an dem das geschieht, das sind doch alles sehr große und wichtige Gedanken. Leibniz hat sich sein Leben lang mit der Idee einer Universalschrift, die nicht in Worten, sondern in evidenten Zeichen alle Begriffe zur Darstellung bringen sollte, herumgeschlagen – ein Ausdruck seines Verlangens, die damals so zerrissene Welt zu heilen – ein philosophischer Reflex der Pfingstgeschichte.
Es ist wieder völlige Stille im Haus, nur die Schritte der in ihren Zellen auf und ab gehenden Gefangenen hört man, und wie viel trostlose und unpfingstliche Gedanken mögen da mit herumgetragen werden. Wenn ich Gefängnispfarrer wäre, dann würde ich an solchen Tagen von frühmorgens bis abends durch die Zellen gehen; da würde sich manches ereignen.
Euch, K. Friedrich und Ursel habe ich wieder sehr für Briefe zu danken. Ihr wartet alle ebenso wie ich, und ich muss gestehen, dass ich in irgendeinem Bezirk des Unterbewusstseins wohl doch gehofft hatte, Pfingsten wieder frei zu sein, obwohl ich mir bewusst immer wieder verbiete, irgendwelche bestimmten Termine ins Auge zu fassen. Morgen sind es nun 10 Wochen – das hatten wir uns wohl unter einer „vorläufigen“ Festnahme in unserem Laienverstand nicht vorgestellt. Es ist aber überhaupt ein Fehler, in juristischen Dingen so ahnungslos zu sein, wie ich es bin. Ich spüre hier erst, in was für einer verschiedenen Atmosphäre der Jurist leben muss als der Theologe; aber auch das ist lehrreich und es hat wohl jedes an seinem Ort sein Recht. Und uns bleibt nun eben gar nichts übrig, als im Vertrauen darauf, dass ja jeder zur beschleunigten Klärung tut, was er kann, mit möglichst viel Geduld zu warten und nicht bitter zu werden. Bei Fritz Reuter heißt es so schön: „So egal und sacht fließt kein Lebenslauf, dass er nicht mal gegen einen Damm stößt und sich im Kreise dreht, oder dass ihm die Menschen Steine ins klare Wasser schmeißen, na, passieren tut jedem was – und er muss dafür sorgen, dass sein Wasser klar bleibt, dass Himmel und Erde sich in ihm spiegeln kann“ – damit ist eigentlich alles gesagt.
Dass Ihr beide vorgestern hier unten das Pfingstpaket abgegeben habt, hat mich wirklich riesig gefreut, und es ist merkwürdig, nur das Wissen um Eure Nähe hat mir alles, das Haus und Euer ganzes Leben, das mir manchmal schon in so unwirkliche Ferne rückt, wieder ganz nah gebracht. Ich danke Euch sehr dafür und auch für das Paket, das wieder höchst willkommen war, besonders hat mich auch die gelbe Speise begeistert, die sich so gut hält.
Von Maria hatte ich wieder einen lieben Brief. Die Arme muss nun immer schreiben, ohne ein direktes Echo von mir zu bekommen; das muss schwer sein, aber ich freue mich über jedes Wort von ihr und jede Kleinigkeit interessiert mich, weil sie das Mitleben erleichtert. Ich danke ihr sehr dafür. In kühnen Träumen male ich mir manchmal schon unsere künftige Wohnung aus.
Die Studie über das Zeitgefühl ist ungefähr fertig; jetzt muss sie eine Weile ruhen; mal sehen, wie sie das übersteht.
Es ist Pfingstmontag. Eben setze ich mich, um Rüben und Kartoffeln zu Mittag zu essen, da wird völlig unerwartet Euer Pfingstpäckchen abgegeben, das Renate gebracht hat. Es ist wirklich nicht zu beschreiben, wie einen so etwas freut. Bei aller Gewissheit der geistigen Verbindung zwischen Euch allen und mir, hat der Geist doch offenbar immer ein ungestilltes Verlangen nach Sichtbarmachung dieser Verbindung der Liebe und des Gedenkens, und die materiellsten Dinge werden dann Träger geistiger Realitäten. Ich glaube, das ist etwas Analoges zu dem Verlangen aller Religionen nach dem Sichtbarwerden des Geistes im Sakrament. Ich lasse Renate ganz besonders dafür danken, dass sie mir diese große Freude gemacht hat, und wünsche ihr täglich viel Freude in ihrer Ehe und ihrem Beruf. Wie schön, dass sie einen Flügel bekommen hat; es wird einer der besonders schönen Augenblicke beim Freiwerden sein, wieder einmal mit ihnen zu musizieren. – Sehr dankbar bin ich für alles, was man rauchen kann. – Nun wollen wir sehr hoffen, dass alles bald zum Abschluss kommt. – Grüßt Maria und die Geschwister! Es denkt in Dankbarkeit und Liebe immer an Euch
Euer Dietrich
Bitte doch noch etwas Watte, „Oropax“ macht mir so ein dumpfes Gefühl im Kopf.