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Das richtige Gleichgewicht
ОглавлениеNeben diesen Aufgaben ist der Hypothalamus auch damit beschäftigt, den Körper vor größeren Schwankungen zu bewahren. Diesen Prozess nennen wir Homöostase. Das Wort stammt aus dem Griechischen, es leitet sich von den Wörter homoios für gleich und stasis für Zustand ab. Der Körper als Organismus verträgt es nämlich nicht, sich schnell zu verändern. Viele Prozesse und Organe sind daher darauf ausgerichtet, Schwankungen möglichst gering zu halten. Die Nieren tun dies, indem sie den Wasser- und Salzhaushalt genau im Gleichgewicht halten, und die Bauchspeicheldrüse, indem sie Insulin produziert, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren.
Der Hypothalamus mag keine großen Veränderungen und wird diese, wie eine Art Regisseur, schnell wahrnehmen und zu minimieren versuchen. So ist er beispielsweise darauf ausgerichtet, die Körpertemperatur konstant zu halten. Wenn alles ist, wie es sein sollte, wird die Temperatur immer innerhalb eines abgegrenzten Spektrums liegen.
Auch beim Abnehmen kommt die Schwankungsunwilligkeit des Hypothalamus zum Tragen. Er überwacht unser Körpergewicht und achtet vor allem darauf, dass wir nicht zu schnell viel Gewicht verlieren. Es ist dabei wichtig, zwischen zwei Arten von Gleichgewicht zu unterscheiden. Der Hypothalamus ist perfekt dafür ausgestattet, kurz- und langfristige Energieengpässe zu verhindern. Er versucht zu verhüten, dass wir zu wenig Zucker im Blut haben, indem er uns Hunger empfinden lässt. Außerdem wird er dafür sorgen, dass wir immer genügend Fettreserven haben, damit wir vor langfristigen Engpässen geschützt sind.
Doch es gibt ein Problem mit der Regulierung von Überfluss. Kurzfristig verhindert der Hypothalamus übermäßiges Essen, indem er uns ein Sättigungsgefühl vermittelt. So wird der Magen nicht überdehnt, und es kommt auch nicht zu niedrigem Blutdruck, weil das gesamte Blut für die Verdauung großer Mengen von Nahrung benötigt wird. Doch es gibt es keinen Schutz vor einer langfristig übermäßigen Nahrungsaufnahme. Der Hypothalamus weiß nichts von Supermärkten und will ständig zusätzliche Energie speichern. Das Fehlen einer langfristigen Regulierung führt dazu, dass anstelle eines Gleichgewichts Übergewicht entsteht. Diese Reaktionsweise des Hypothalamus passt zu seiner Funktion in Urzeiten, als sich die Menschen ständig dem Risiko des Nahrungsmangels ausgesetzt sahen. Vor diesem Hintergrund betrachtet war es lebenswichtig, immer nach einer positiven Energiebilanz zu streben, nach einer Situation also, in der beständig mehr Nahrung aufgenommen als verbraucht wird. Diese zusätzliche Nahrung konnte dann wieder als Fettspeicher für magerere Zeiten eingelagert werden. Und obwohl sich diese Situation geändert hat und heute bei uns kein Nahrungsmangel mehr herrscht, hat sich der Hypothalamus nicht daran angepasst.
Mithilfe von Hormonen und einer komplexen und ausgeklügelten Vernetzung mit dem autonomen Nervensystem erkennt der Hypothalamus einen Energiemangel und versucht ihn zu beheben. Zunächst registriert er den Mangel und veranlasst im Körper dann Anpassungen, um einerseits weniger Energie zu verbrauchen und andererseits mehr Energie aufzunehmen. Den Verbrauch reduziert er, indem er unter anderem den Ruhestoffwechsel, auch Grundumsatz genannt, absenkt. Der Ruhestoffwechsel ist die Energie, die Ihr Körper für alle laufenden Prozesse benötigt: den Herzschlag, die Atmung, aber auch die Bewegung des Darms und die Nahrungsaufnahme. Diese Prozesse verbrauchen viel Energie, ohne dass man dafür selbst aktiv werden müsste. Selbst wenn man den ganzen Tag lang still auf dem Bett läge, würde man bereits das meiste, was man mit der täglichen Nahrung zu sich nimmt, verbrauchen – also weit mehr, als das bei einem durchschnittlich intensiven Sporttraining der Fall wäre.
In Zeiten von Nahrungsknappheit (ob diese nun real ist oder ob der Zustand vom Hypothalamus nur als solche wahrgenommen wird) fährt der Hypothalamus das Niveau des Ruhestoffwechsels deutlich herunter. Er senkt dann beispielweise die Herzfrequenz und den Blutdruck ab. Dann ist einem eher kalt und man sucht nach Wärme. Außerdem stimuliert der Hypothalamus unsere Gefühle und unser Verhalten dahingehend, dass wir mehr Nahrung aufnehmen. Nicht zuletzt natürlich durch das Hungergefühl, das in so einem Moment erheblich gesteigert wird: Der leere Magen produziert mehr Magensaft, wodurch er unangenehm zwickt und drückt. Durch die Absenkung der Herzfrequenz und des Blutdrucks kommt es zu einem allgemeinen Schwächegefühl, das ebenfalls als unangenehm empfunden wird und als weiterer Anreiz wirkt, etwas essen zu wollen. All diese Reize wirken sich letztlich auf den präfrontalen Kortex und das limbische System aus, wodurch diese Gefühle zu dem gesamten Zusammenspiel führen, das auf Nahrungsaufnahme ausgerichtet ist. Der präfrontale Kortex und das limbische System werden in den Kapiteln 1.3 und 1.4 besprochen.
Homöostase durch den Hypothalamus | Energiemangel | Energieüberschuss |
Kurzfristig | Stress (zittern, schwitzen), Hunger (kalorienreiches Essen) | Sättigung (Verhindern einer Überlastung des Magens und eines niedrigen Blutdrucks) |
Langfristig | Hunger | Kein Schutz >Übergewicht |
Aufrechterhaltung, Homöostase, Schwankungen, Hungergefühle und Beeinflussung – warum sind diese Begriffe so wichtig für Ihren Prozess des Abnehmens? Nicht weil es so unverzichtbar wäre, wissenschaftliche Erkenntnisse über Form und Funktion des Gehirns zu haben. Auch ohne diese Kenntnisse funktioniert unser Körper zum Glück ausgezeichnet. Ihr Herzschlag und Ihre Atmung gehen ihren gewohnten Gang und Ihre Körpertemperatur wird ganz von allein reguliert. Dafür müssen wir selbst weder aktiv etwas tun noch irgendetwas davon verstehen. (»Zum Glück«, kann man sagen. Denn stellen Sie sich einmal vor, Ihr Überleben wäre davon abhängig, wie viel Sie über Ihre Körperfunktionen wissen …)
Warum es trotzdem so wichtig ist, etwas von diesen Begriffen zu wissen, hat etwas mit dem Erkennen und Verstehen der Konflikte zu tun, die in unserem Gehirn in dem Moment entstehen, in dem wir uns entscheiden abzunehmen. Denn obwohl der Hypothalamus entscheidende Aufgaben für unsere Lebenserhaltung erfüllt, kann er uns mit den allerbesten Absichten auch Steine in den Weg legen, wenn wir vorhaben abzunehmen. Während seine Funktion einerseits unserem eigenen Interesse dient – nämlich zu überleben –, kann sie andererseits für unser Ziel, dauerhaft unser Gewicht zu reduzieren, ziemlich hinderlich sein. Wir haben es also mit zwei Seiten der Medaille zu tun.