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1.4

DAS LIMBISCHE SYSTEM

ÜBER BELOHNUNG, GEFÜHLE UND GEWOHNHEITEN Ein Lobbyist für mehrere Parteien

Was bringt uns nun dazu, eine Sache anzugehen? Wann tun wir, was der Hypothalamus will, und wann hören wir auf den präfrontalen Kortex?

Wenn Menschen gebeten werden, an etwas sehr Positives zu denken, stellt sich jeder von ihnen etwas anderes vor. Manch einer denkt an die innige Umarmung seines Kindes, ein anderer an einen erfolgreichen beruflichen Deal, an Sex oder an einen Lauf, bei dem er genau in den richtigen Rhythmus kommt, an Musik oder Kunst. Man kann natürlich auch an Essen denken: an Gummibärchen, einen Hamburger oder die Spezialität des eigenen Lieblingsspitzenkochs in einem Dreisternerestaurant.

Dies sind zwar alles unterschiedliche Dinge und Themen, doch sie führen alle zum gleichen Resultat: einem schönen Gefühl, das von irgendwoher kommt. In einer etwas technischen Sprache ausgedrückt, ist es das Ergebnis von Substanzen, die an Rezeptoren in bestimmten Hirnregionen andocken, wodurch wiederum andere Substanzen oder größere Mengen von Substanzen freigesetzt werden. Reine Chemie, Physik und Biologie also. Und damit haben wir nun etwas Schönes und Angenehmes auf etwas reduziert, das auch in einem Reagenzglas stattfinden oder kopiert werden könnte. Das fiele dann unter die Rubrik »Medikamente« oder »Drogen«. Eine wichtige Hirnregion, in der diese Substanzen ihr Werk verrichten, hat einen Namen: das limbische System.


Das limbische System ist vielleicht die am schwierigsten zu verstehende Hirnregion in diesem Buch. Denn es kann Ihnen helfen, Ihr Ziel – eine dauerhafte Gewichtsabnahme – zu erreichen, es kann Ihnen dabei aber auch massiv im Weg stehen. Man kann das limbische System einfach ausgedrückt als den Hamster auf der einen Schulter und den gesunden Menschenverstand auf der anderen Schulter beschreiben. Man weiß zwar, dass man selbst es ist, der oder die denkt und fühlt, dennoch kämpfen beide um Aufmerksamkeit. Das limbische System kann Sie in Versuchung führen, wenn Sie am Schaufenster einer Bäckerei vorbeigehen und Hunger haben. In diesem Moment folgt es dann dem Wunsch des Hypothalamus und steuert Ihr Verhalten so, dass Sie dem Ruf nach Nahrung Gehör schenken. Sie verspüren ein angenehmes Gefühl, wenn Sie beispielsweise ein Cremeschnittchen essen. Dieses Gefühl vermittelt Ihnen, zumindest für kurze Zeit, die Vorstellung, dass es sich dabei um eine gute Aktion handelt.

Andererseits kann das limbische System auch vom präfrontalen Kortex gesteuert werden. Zum Beispiel dann, wenn es Ihnen ein gutes Gefühl vermittelt, an der Bäckerei vorbeizugehen und das Cremeschnittchen links liegen zu lassen oder eine gesündere Alternative zu wählen. Dieses Gefühl verstärkt sich, wenn Sie sich klarmachen, wie viele Kalorien Sie nicht zu sich genommen haben – oder wenn Sie sehen, dass Sie tatsächlich unbeirrt auf verantwortungsvolle Weise abnehmen.


Das limbische System ist also abstrakter als der Hypothalamus (der Sammler, der sich »widersetzt«) und als der Kortex (der vernünftig und »kooperativ« ist). Das passt auch gut zur Funktion des limbischen Systems als »Schaltzentrale des Gefühls«.

Jeder, der schon einmal an einer Diskussion teilgenommen hat, in der Gefühle eine Rolle spielten, wird aus Erfahrung wissen, dass ein Gefühl nicht immer gleichermaßen konkret und klar zu benennen ist. Das kommt im Abschnitt Werden Sie Ihr eigenes Radarsystem in Kapitel 2.4 genauer zur Sprache.

Das limbische System ist weitgehend in unsere Umgebung integriert und passt damit zu der Vorstellung, dass zwischen unserem Kopf, unserem Körper und unserer Umgebung ein Netzwerk besteht. Das System umfasst mehr als nur ein Belohnungszentrum, wo sich alles um ein gutes Gefühl dreht. Es ist vielschichtiger und hat noch weitere Bedeutungen. Das limbische System schätzt mithilfe unseres Gefühls und auf der Basis unserer Erfahrungen ein, ob etwas sicher oder angenehm ist. Diese Einschätzung kann in einer Erinnerung bestehen: »An dieses Essen erinnere ich mich noch, das war lecker.« Aber auch in einer Beurteilung: »Diese Person wirkt zuverlässig.« Oder in einem Gedanken wie: »In diese dunkle Gasse gehe ich jetzt nicht.« Das limbische System kann uns das Leben retten und das war auch schon in Urzeiten so. Während sich der Hypothalamus nur auf die Nahrung um uns herum fokussierte, registrierte das limbische System auch, wenn sich ein Löwe in der Nähe aufhielt. Es ist in der Lage, Erinnerungen und Gefühle miteinander zu verknüpfen und zu speichern. Diese Erinnerungen werden zum Beispiel von einem hungrigen Hypothalamus genutzt, der das Denken des Kortex beeinflussen will (Gab es hier nicht eine gute Eisdiele?). Umgekehrt funktioniert das übrigens auch: Der präfrontale Kortex kann den Hunger des Hypothalamus unterdrücken, wenn er sich an gute Vorsätze halten will. Das limbische System sorgt auch dafür, dass in uns ein unangenehmes Gefühl entsteht, wenn wir beispielsweise im Begriff sind, eine riskante finanzielle Entscheidung zu treffen. Es bildet das Verbindungsnetzwerk zwischen dem Gedächtnis, den körperlichen Gefühlen, dem präfrontalen Kortex und dem Hypothalamus. Was fühlt mein Körper? Was will der Kortex? Was will der Hypothalamus?

Die im limbischen System gespeicherten Erfahrungen beeinflussen also die Art und Weise, wie wir denken und Entscheidungen treffen. Denn wir denken und entscheiden nicht immer auf dieselbe Art und Weise. Der Verhaltensökonom Daniel Kahneman gewann den Nobelpreis für seine Theorie, die er in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken beschreibt. Er unterscheidet zwei Arten, Entscheidungen zu treffen, eine schnelle und eine langsame: System 1 und System 2. System 1 beschreibt er als schnell, impulsiv und instinktiv. Es reagiert zum Beispiel auf unerwartete Ereignisse auf der Basis früherer Erfahrungen und Erwartungen, ohne lange darüber nachzudenken. Dadurch, dass dieses System so schnell reagiert, ist es effizient und energiesparend. (Das ist etwas, was auch dem Hamster sehr gut gefällt!) System 2 ist das langsame System. Es braucht Zeit, um über Dinge gründlich zu reflektieren, Argumente gegeneinander abzuwägen und Fehler in schnell getroffenen Annahmen zu erkennen. Dies alles sind Fähigkeiten, die wir aus der Beschreibung des präfrontalen Kortex kennen. System 2 ist also das System, das eine Fokussierung erfordert. Sehen Sie dazu auch den Kasten zu Hirnregionen oder Netzwerke? in Kapitel 1.1, in dem drei Bereiche des Gehirns thematisiert werden, die der Forscher Robert Sapolsky beschreibt.

Im täglichen Leben nutzen wir sehr häufig System 1, indem wir unzählige Male Entscheidungen treffen, derer wir uns gar nicht bewusst sind. Das Fahren auf einer Autobahn ist ein Beispiel. Wir fahren, bremsen, fädeln uns ein und überholen wie auf Autopilot. Oft fahren wir lange Strecken, ohne uns dessen wirklich bewusst zu sein. In der Praxis sieht es manchmal so aus, als ob wir Dinge, entsprechend System 2, aufmerksam und bewusst tun, doch in Wahrheit sind wir eher wie ferngesteuert.

Auch im Rahmen einer dauerhaften Gewichtsabnahme ist es sinnvoll, über diese beiden Systeme Bescheid zu wissen. Denn auch beim Essen, bei Bewegung und den Entscheidungen, die wir hierbei treffen, sind wir nicht immer aufmerksam. Wenn das dazu führt, dass wir unbewusst zu viel essen, uns zu wenig bewegen und unvorteilhafte Entscheidungen treffen, ist das natürlich keine wünschenswerte Situation. Wir können uns diese Systemeigenschaften aber auch zunutze machen, indem wir zunächst die alten Muster erkennen und dann neue, wünschenswerte Muster ein-üben. Mehr dazu in Kapitel 2.1 Von unbewusst zu bewusst.

Das limbische System spielt auch im Zusammenhang mit Belohnungen eine wichtige Rolle. Komplimente am Arbeitsplatz, ein liebevoller Kommentar vom Partner oder Likes und Herzchen in den sozialen Medien. Der Grat zwischen einem angenehmen Gefühl und Gruppendruck ist besonders in den sozialen Medien natürlich sehr schmal. Hier gilt es, positive Unterstützung von negativem Druck zu unterscheiden. Und uns den Rückhalt und die Bestätigung, die wir erhalten, nicht von dem Gefühl zunichtemachen zu lassen, nicht gut genug zu sein. Was sicherlich eine Herausforderung darstellt, bei all den Posts von fitten, schlanken und glücklichen Menschen, denen ihr Aussehen scheinbar überhaupt keine Mühe bereitet.

Das limbische System kann Sie also sowohl motivieren als auch demotivieren. Manchmal bewusst, oft aber auch unbewusst. In Ihrem Prozess des Abnehmens ist es wichtig, unbewusst häufiger in bewusst zu verwandeln. Das lässt sich zum Beispiel mithilfe des externen Kortex erreichen.

Danny der Weltmeister und das limbische System

Während der Sendereihe machte Dannys limbisches System vor allem gemeinsame Sache mit seinem präfrontalen Kortex, der das Ziel so deutlich vorgegeben hatte. Es reagierte auf Ermutigung und Komplimente des Moderators und des Publikums. Nach den Aufnahmen bestimmte jedoch der Hypothalamus wieder die Richtung. Das limbische System spielte anfangs zwar eine unterstützende Rolle, weil es Danny ein gutes Gefühl vermittelte, doch es blieb zu wenig Zeit, um wirklich neue Routinen und Gewohnheiten zu entwickeln. Was dazu führte, dass in der alten Umgebung wieder alte Gewohnheiten aufgenommen wurden.

Kernpunkte dieses Kapitels:

 Das limbische System spielt bei Belohnung eine Rolle.

 Es kann den Hypothalamus, aber auch den präfrontalen Kortex stärken.

 Das limbische System ist am Gedächtnis, an Gewohnheiten und Routinen beteiligt.

 Es kann daher dem Prozess des Abnehmens »zuarbeiten«, ihm aber auch »entgegenarbeiten«.

Der Hamster im Kopf

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