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Beziehung

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In den Sitzungen versuchen wir herauszufinden, woran es bei mir hakt. Mir ist klar, dass ich ein Problem mit Machtmissbrauch habe, und Ronda ist klar, dass ich mit vorgegebenen Grenzen nicht zurecht komme. Aber gemeinsam wissen wir, ich bin ein geschundener Mensch, der sich nicht mehr schinden lassen will. Wir rühren in dem Teig, der uns beiden arg an den Fingern kleben bleibt und finden uns immer wieder in Themen wieder, die mich sofort aus meinem Körper treiben.

Zum Beispiel fällt mir auf, dass sich Rondas Praxisraum ständig verändert und nicht seine Form behält, sobald ich ihn aus allen Winkeln von oben herab begutachte. Und wenn ich mich nach einer Sitzung mit ihr daran erinnern will, wo genau ich und wo sie gesessen hat, wundere ich mich ständig darüber, dass ich an Plätzen sitze, die es in ihrer Praxis gar nicht gibt. Und das ist irgendwie unheimlich. Ich habe begonnen vorab ein Gefühl dafür zu bekommen, welchen Platz Ronda beim nächsten Mal einnehmen würde. Und meistens stimmte meine Eingebung. Ich achte genau darauf, sobald ich die Praxis betrete, an welchem Platz am Sofa ich mich setze, um danach, sollte ich wieder aus meinen Körper fahren, die Orientierung nicht zu verlieren. Ich achte auf Zuverlässigkeit und Genauigkeit in der Übung zwischen dreidimensionalem und fünfdimensionalem Erleben. Raum und Zeit verschwinden in den Momenten, in denen ich meinen Körper verlasse, und ich glaube dass Ronda es gar nicht recht bemerkt, wenn es geschieht. Aber ich bemerke es. Ich gehe nicht dauerhaft zurück in mein Vehikel, sondern orte neue Möglichkeiten des Lernens und versuche, mich nur kurzzeitig in meinem Körper niederzulassen, um zu überprüfen, was ich so von mir gebe, wohin mein Blick sich richtet, während ich spreche und was Ronda derweil so macht.

Ronda fragt mich immer, wie es mir geht mit ihr, und ich kann nichts Negatives darüber berichten. Denn immer wenn ich bei ihr bin, fühle ich mich angekommen. Zu Hause. Aber nur wenige Stunden später erfüllt mich so große Sehnsucht nach ihrer Nähe, so dass es mir immer unmöglicher wird, bei mir und meinen Problemen zu bleiben. Und mir fällt zunehmend auf, dass mich Gedanken an und um Ronda rund um die Uhr einzunehmen beginnen. Es ist, als würde ich Ronda absorbieren, nach und nach, jedes mal ein Stückchen mehr. Und irgendwie habe ich das Gefühl, nur durch Sie zu mir selbst, zu meinem Urgrund zu finden. Ronda ist mein Spiegel. Der Mensch, der mir mit seinem Verhalten zeigt, wo es in mir lang gehen soll, und dabei völlig darauf vergisst, dass es womöglich gar nicht meine Suche ist, die hier angezettelt wird. Ronda verwirrt mich. Und ich verwirre Ronda. Ich sehe es in ihren Gesten und wie sie mich erhebt in meinem Sein. Rondas Blicke ändern sich, werden zunehmend unsicherer und umso verwirrter Ronda wirkt, umso mehr glaube ich, dass ich in Rondas Geschichte hineingeraten bin, die nicht in mein Klärungsgebiet fällt. Nach und nach frage ich mich, ob wir soeben drauf und dran sind, die Seiten zu tauschen. Aber das kann ich nicht mit Sicherheit behaupten. Daher mache ich weiter und gebe mir die Chance zu lernen, was ich nur mit Ronda zu lernen vermag.

Ich erzähle ihr also von meinen Beziehungen, die ich hatte. Und weil es Ronda interessiert, versuche ich auch dem Unterschied zwischen hetero und lesbischer Erotik Platz zu schaffen.

Ich bin zentriert, ganz in meinem Körper und fühle mich offen für dieses Gespräch.

Ronda zieht die Jalousien etwas zu, weil uns die Sonne zu arg blendet, und setzt sich wieder gekonnt professionell auf ihren großen, bequem anmutenden Stuhl.

„Nun, Beziehungen sind nicht gleich Beziehungen“, sag ich. „Irgendwann schläft jede Beziehung, vor allem die Erotik, ein. Der Unterschied zwischen einer hetero und lesbischen Beziehung besteht bloß darin, und dieses bloß ist meiner Meinung nach der Punkt, weshalb die Frauen auf Frauen umsatteln, dass sich die Männer anfänglich immer so große Mühe geben mit den Frauen. Es ist, als würden sie einen Schalter umlegen, klack und schon sind sie die geborenen Eroberer, witzig, romantisch, aber vor allem zärtlich. Sie lassen sich Zeit im Bett, es sei denn, es ist ein One Night Stand, den sie sich einverleiben wollen. Aber grundsätzlich haben sie geschnallt, dass sie sich Zeit lassen müssen, weil wir Frauen anders ticken und Zeit brauchen. Ich will den Männern ja nicht absprechen, dass sie tatsächlich romantisch sind und auf die Sehnsüchte und Wünsche der Angebeteten eingehen möchten. Sie versuchen es ernsthaft. Aber genau hier, beim Versuch, stockt es bereits. Der Versuch auf einen Menschen einzugehen, ist und bleibt ein Versuch und der Stock-im-Arsch regt sich wieder. Sie versuchen alles. Sie versuchen gut zu küssen, weich, zärtlich und ausdauernd. Doch bald schon bemerkt man als Frau, dass es nur zu ihrer Strategie gehört, schneller und effektiver zum wahren Kern ihrer Begierde vorzudringen. Geküsst und gestreichelt wird nur solange, bis endlich der Akt, auf den ja alles abzielt, vollzogen werden kann.“

Natürlich gibt es auch in der Männerwelt Ausnahmen, ich will ja nicht alle über einen Kamm scheren.

Und wenn sie die Frau endlich dort haben, wo sie sie den ganzen Abend schon haben wollten, in ihrem Schoß vergraben, wohlgemerkt in ihrem eigenen, wird einem als Frau spätestens in dem Moment klar, wie lange und ausdauernd wir uns um den Schoß der Männer kümmern, während der unsere verkümmert.“

Männer können einfach nicht lecken. Das ist eine Tatsache. Ich weiß nicht weshalb sie es nicht zustande bringen, weich, ausdauernd und mit ganzer Zunge unser bestes Stück zu verwöhnen. Aber womöglich liegt es ja daran, dass sie vergessen, dass wir auch ein bestes Stück haben, das allerdings eine liebevollere und weichere Behandlung braucht, als reine Penetration, weil wir zwei Seiten haben, eine innere und eine äußere, die uns gute Gefühle bescheren können.

Ein Eis leckt man ja auch genüsslich und spießt es nicht mit der Zungenspitze auf. Zungen können Gefühle vermitteln. Ja tatsächlich. Man braucht sie vor allem beim Küssen, will man den Körper der Frau in Wallung bringen. Bis heute bin ich noch nicht so recht schlau daraus geworden, weshalb die Lippen der Männer selbst beim Küssen so hart bleiben. Ich weiß nur, dass sich das auf die Dauer für Hetero-Frauen negativ auswirkt. Denn eine schlecht geküsste und damit meine ich auch eine hart geküsste Hete kann man gleich an ihrer verhärmten, extrem schmalen Lippenform erkennen.

Ich weiß das, denn ich hatte nach einer fünfjährigen Beziehung zu einem Mann so gut wie keine Lippen mehr. Weder oben noch unten. Die Männer der Masse wollen es hart, was sollten sie auch schon mit ganz weichen, sanften Lippen anzufangen wissen, Lippen müssen hart sein beim Blasen damit man ordentlich Druck ausüben kann, wenn sich am Gemächt was rühren will. Und zu allerletzt versuchen sie zärtlich und rund zu vögeln. Doch erkennt man als zentrierte Frau, die den eigenen Körper gut kennt, dass es ein Versuch ist und man lässt sich herab und versucht zu helfen, wo man nur kann. Es bleibt also immerzu bei Versuchen, die irgendwann natürlich zum Scheitern verurteilt sind. Später, wenn man die anfängliche Verliebtheit mit Versuchen aufgefüllt hat, versucht Mann es gar nicht mehr, sondern holt seinen alt bekannten Stock und schiebt ihn sich den in den Arsch. Und genauso fühlt es sich dann auch an, der Stock-im-Arsch-Akt, der nach zwei Minuten vorüber ist. Und wenn man Glück hat, verabschieden sich solche Männer, so wie sich mein Freund damals von mir verabschiedet hat, nicht mit einer riesen großen Schweinerei, in dem sie sich den Schädel wegpusten.

Und wenn man es als Frau doch in so einer Beziehung aushält, darf man von Glück reden, wenn man einen abgekriegt hat, der nach dem Akt, von dem Frau ohnedies nichts hat, es sei denn sie denkt währenddessen an eine andere Frau, nicht gleich schläfrig wird und sich in Löffelchen Stellung auf die andere Seite dreht und einem zum krönenden Abschluss in die Ohren schnarcht.

„Ich bin sie durch, die Männer, weißt du!“

Ronda beginnt zu lachen. Ihr Gesicht läuft rot an, während sie versucht ist, den Lachkrampf, der sie soeben einholt, abzustoppen. Doch es gelingt ihr nicht. Also lass ich Ronda lachen und weiß, dass sie ebenso denkt wie ich, aber erst durch mich die Möglichkeit erhält, sich genauer mit dieser vermaledeiten Materie auseinanderzusetzen. Ihr Lachen, das so gar nicht mehr aufhören will, scheint mir immer mehr ein Verlegenheitslachen zu sein. Und das versucht sie vor mir zu verbergen. Ronda denkt gleich und hat von den Männern auch längst die Schnauze voll. Aber das wird sie mir jetzt so wohl nicht verraten.

„Mit den Frauen läuft das irgendwie völlig anders“, erzähl ich weiter. Und Ronda beginnt sich mit fortschreitender Begeisterung auf ihrem bequemen Sessel zu räkeln. Sie räkelt sich immer, wenn es um Frauengeschichten geht, und ich ihr Einblick in intime Details verspreche.

„Ich will‘s mal so sagen, auch die Frauen darf man nicht alle über einen Kamm scheren, aber der prozentuelle Anteil an lesbischen femininen, sanften, aber auch der maskulinen Frauen ist, sagen wir mal, achtzig zu zwanzig. Achtzig für die femininen, sanften, maskulinen Frauen. Zwanzig für die Kampf-Lesben, die, die sich wie Männer gebärden und das Frau sein verachten. Bei den Männern ist das umgekehrt, deshalb findet man auch nur so wenige Frauenversteher, solche die wirklich gut sind. Egal bei was.“

Rondas Ausdruck um die Mundwinkel verändert sich verächtlich und wird zornig, als sie sagt: „Ja, die Männer glauben tatsächlich nur weil sie einen Schwanz haben, wären sie uns überlegen.“ Und ich staune nicht schlecht über diesen Ausbruch. Ich habe Ronda noch nie so reden gehört. So … derb.

Sie muss wohl Beziehungsprobleme haben.

Ronda lächelt mich intensiv und liebevoll an, während es in ihren Augen interessiert aufblitzt. „Und ja“, sagt Ronda jetzt, „wir alle haben diese beiden Seiten in uns, die sinnlich erotischen, lesbischen Anteile. Das ist ganz normal, dass man erotische Gefühle für sein Gegenüber hegt.“

Ich muss kurz und geschockt nachdenken. Aber ich widerspreche nicht, weil ich nervös werde bei dem, was Ronda soeben zu mir gesagt hat. Hat sie mir soeben über die Blume mitgeteilt, dass meine Wahrnehmungen in Bezug auf sie wahr sind? Mein Gott, hatte ich also doch recht. Ronda will sich auf meinen Schoß setzen? Damit muss ich erst mal umgehen lernen, und so wie es aussieht Ronda ebenfalls. Aber ich weiß, Ronda erzählt Bullshit. Ich empfinde nicht für jede Frau erotische Gefühle. Und sie sicher auch nicht. Gott bewahre mich auch davor, ich hätte mein Leben lang keine ruhige Minute mehr.

Ich bin aufgewühlt und erregt von Rondas Worten, und ich sehe schon, wohin mich diese ganze Geschichte nun wieder bringen wird. Und umso nervöser Ronda auf ihrem Stuhl um herrückt, desto eher besteht die Gefahr, dass ich wieder aus meinem Körper schlüpfe.

Und genau so ist es auch. Ich hänge ganz plötzlich wieder in der Luft. Interessiert schlüpfe ich jetzt rein in mich und dann wieder raus um nachzuprüfen, ob noch immer alles in bester Ordnung ist mit mir. Und da ich nichts Gegenteiliges fühlen kann, lasse ich meinen Körper lässig auf der Couch lehnen, während ich von oben herunterblickend, meinen Mundbewegungen folge, die ruhig und gelassen weiter erzählen.

Ronda bemerkt scheinbar nicht, dass ich schon wieder davongeflogen bin, und lauscht wissbegierig, ihre Blicke sehnsüchtig in die Ferne gleitend, meinen Worten. Ich frage mich aber dennoch, ob denn nicht auch Ronda soeben aus ihrem eigenen Körper herausgeschlüpft ist. So weggetreten wie sie mir vorkommt, könnte das gut sein.

„Frauen begegnen sich anders. Sie nehmen sich Zeit. Haben keinen Stress dabei, sich kennen zu lernen. Bei uns Frauen dreht sich ganz viel ums miteinander Reden, der anderen zuhören. Für uns Frauen ist das bereits ein Vorspiel. Und umso intensiver wir reden, desto prickelnder wird es. Wir Frauen zielen nicht auf den primären Akt ab, auf den sich die Männer spezialisiert haben. Der primäre Akt-Gedanke stört nur die Intimität, in die wir geraten, sobald wir uns aufeinander in offenen Gesprächen einlassen. Deshalb haben wir oft das Gefühl, zwischen Frauen geht es oft sehr subtil ab. Irgendwann kommen sich die Körper näher, berühren sich, umarmen sich. Aber meistens, und bei mir war das immer schon so, ist man geistig, seelisch, aber auch körperlich bereits so erregt, dass man es kaum noch aushalten kann, die andere nicht zu küssen. Und Frauen küssen anders. Ihre Lippen sind warm und weich, wollen alles erforschen. Wenn sich Frauen küssen, küssen sie sich lange und ausgiebig, und der Sex kommt dann ganz von allein. Da gibt es keinen Schusszwang, keine Eile. Eine Frau weiß einfach was einer Frau gefällt, sie muss nichts erst versuchen, denn wenn sie sich einlässt mit Haut und Haaren, ist sie schon bei dir, noch bevor du sie berührt hast.

Aber natürlich gibt es auch die anderen, die Kampf-Lesben, und so eine kann dir natürlich ebenso begegnen. Sie kann dir so wie mir in einer abgeschmackten Form einer sich in Funktion befindenden und machtausübenden Polizistin begegnen, die sich ihre Polizistinnen-Marke samt Image und harter Kanone im Halfter, als imaginäre Schwanzverlängerung an den Unterleib geschnallt hat.

Wegen so einer derben, hartherzigen, machtbesessenen, frauenverachtenden Irren, sitze ich ja auch hier bei dir, Ronda! Wie man also sieht, gibt es auch bei den Frauen solche, um die einen keiner beneidet.“

Ich beobachte Ronda und ich beobachte mich. Ronda hat sich ausgeklinkt, ist irgendwie in eine eigene Welt abgetaucht, die von meinen Worten genährt wird. Und ich bemerke wie ich soeben zurück in meinen Körper schlüpfe, dass Ronda und ich aus dem Schlamassel, in den wir uns hineinreden, nicht mehr so leicht herauskommen werden, es sei denn, Ronda hat sich bald wieder im Griff.

Ich schwöre, ich wollte Ronda jetzt nicht bekehren, denn sie lebt ja als Hetero-Frau in einer Beziehung, die wie ich glaube nicht mehr so recht passt. Aber alles kann man richten. Auch Rondas Lippen könnte man wieder in Form küssen, aber dazu müsste man sich sehr viel Zeit für sie nehmen. Ja, was eine Frau alles so sieht. Und Rondas Lippen hat schon lange kein Mann mehr richtig gesehen und Ronda weiß das auch. Ich nehme an, dass Rondas Ausbruch vorhin ihrem Freund galt und dass sie mir damit bloß bestätigte, was ich ihr erzählte. Wir waren uns also wieder einmal einig, Ronda und ich.

Ich bin kein Männerhasser, wie könnte ich mit drei Söhnen? Aber ich erziehe sie nicht, sofern das überhaupt geht, nicht erziehen. Ich lebe ihnen einfach gesunden, modernen, emanzipierten Feminismus vor und zeige ihnen, wie wichtig es ist authentisch zu leben. Was für uns Frauen in einer männlich dominierten, einseitigen Welt nicht ganz so einfach ist. Das macht meine Söhne allesamt zu Frauen-, aber vor allem Menschenverstehern. Und meine Jungs, das weiß ich mit Sicherheit, werden wenn sie mal groß sind, bestimmt zu den Ausnahmemännern gehören, nach denen sich die Heten, sofern es dann noch welche gibt, alle zehn Finger ablecken. Womit ich schon wieder beim Lecken wäre, aber darauf möchte ich jetzt nicht mehr näher eingehen. Ich denke eben, dass letztendlich alles im Leben zum Weiblichen zurückkehren will, und sicher nicht zuletzt deswegen, weil alles aus dem Weiblichen heraus erst entsprungen ist.

ABSTINENZ

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