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Schwindel

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Zu Hause erlebe ich das erste Mal seit vielen Jahren wieder Schwindelanfälle, die mich geradewegs zu Boden strecken. Ich bin beunruhigt. Mir ist nicht ganz klar, weshalb mich gerade jetzt der Schwindel wieder einholt, aber ich glaube zu wissen, das es wieder einmal eine psychosomatische Angelegenheit ist, und die drängt sich jetzt mit aller Macht in mein Leben. Ich kann es nicht leiden, nicht zu wissen was mir fehlt. Ich muss Kontrolle darüber haben, was mein Körper tut oder nicht mehr tut, weil er es einfach nicht mehr kann. Ich muss den Grund herausfinden, weshalb mich der Steinchenschwindel, so nennt man mein Problem, so plötzlich in eine Situation wirft, in der ich jegliche Kontrolle über meinen Körper in Sekundenschnelle und ohne Vorwarnung verliere. Und das muss man sich erst mal vorstellen. Von einer Sekunde auf die andere, zack und weg ist man, egal wo man sich gerade befindet. Der Körper achtet nicht darauf wohin er fällt, es ist ihm egal, weil der Schwindel es eben so einrichtet. Ich kann mich an alles erinnern, während ich falle und im Anschluss danach, wenn ich schon flach liege, erinnere ich mich ebenso, dass mein gesamter Körper plötzlich in sich zusammensackte. Diese Hilflosigkeit mag ich nicht. Nein, ich hasse sie. Ich will sie weg haben, und während ich da so liege kommt mir ein Verdacht. „Verdammt“, denke ich. „Es ist Ronda. Ronda ist Schuld an diesem Schlamassel.“ Meine Frau schafft mich ins Bett und lässt sich von mir den Steinchenschwindel erklären. „Du musst mich jetzt werfen“, sag ich. „Von einer Seite auf die andere. Und das so schnell du kannst.“ Meine Frau tut nie, was man ihr sagt, aber jetzt wirft sie mich. Nein sie schleudert mich, erst zaghaft, aber ich schimpfe nur, weil sie es falsch macht. Und nun ist mir noch schwindeliger. Mir ist als hätte ich mich über ein Schnapsfass hergemacht, während sich meine Augen überdrehen, dass sie das Weiße sehen kann. Meine Frau bekommt es mit der Angst, weil sie mir kein Wort von dem Steinchenschwindel glaubt, sondern stattdessen denkt, ich hätte einen epileptischen Anfall. Sie will die Rettung rufen, doch das braucht sie nicht. Ich weiß was zu tun ist, und sie muss es nur richtig machen. Also versuchen wir es noch einmal. Ich setzte mich also vorsichtig in meinem Bett auf, so dass sie mich heftig über die Bettkante schleudern kann, und mein Kopf nach hinten ins Leere fällt.

„Warum mach ich das?“ will sie jetzt wissen. Ich breche dir dabei noch das Genick!“

„Das muss so sein, damit die kleinen Steinchen, die sich irgendwo auf dem Gleichgewichtsorgan befinden, wieder in die korrekte Lage geschüttelt werden. Sie haben sich irgendwie verschoben und nun musst du sie zurecht schütteln. „Also“, bestimme ich meiner völlig entgeisterten, zitternden Frau, „du hältst beim Fallen mein Genick, dann kannst du es mir nicht brechen. Alles klar? Los geht’s!“ Nach wenigen Sekunden ist mir als würde sich mein Körper in Windeseile einhundert Mal um die eigene Achse drehen und mir ist speiübel. Was ein gutes Zeichen ist, denn jetzt haben sich die Steinchen in die Mitte schütteln lassen und brauchen jetzt noch einen kräftigen Schubs von rechts nach links. Also nachdenken darf man ja nicht darüber, was die Leute wohl denken mögen, würde so etwas auf der Straße passieren. Mit Sicherheit würde man die Polizei rufen, der Vermutung wegen, dass hier eine völlig Wahnsinnige eine andere lyncht. Also ich würde es ohne mit der Wimper zu zucken tun, oder zumindest der vermeintlichen Mörderin eines überbraten, so brutal wie das aussieht. Eine Woche später begegne ich erneut Ronda. Und nach unserer Sitzung noch mitten im Auto streckt mich erneut der Schwindel nieder, hinein in die Gurte.

Was für ein Glück, dass ich der Beifahrer bin, überlege ich und gehe mit meiner Frau zu Hause die Prozedur von damals noch einmal durch. Dieses Mal aber sind wir schneller. Ich glaube, dass wir schon richtig professionell beim Schleudern und geschleudert Werden sind. Und gleich geht es mir wieder gut. Am nächsten Morgen erwache ich noch einmal ohne Körperbeherrschung und nun bleibt mir nichts anderes übrig, als ins Krankenhaus zu fahren. Meine Frau checkt noch einmal das Internet und entdeckt, dass im Laufe der letzten Jahre auf diesem Gebiet geforscht wurde und die Sache mittlerweile ein Hals-Nasen-Ohrenarzt behandeln kann. Also auf zu meiner Ärztin, die mich alsbald wieder zurecht schüttelt, inmitten ihrer Praxis, bei offener Türe. Die Leute starren mit offenem Mund zu mir herein und meine Frau sagt mir im Anschluss: „Isa, das hat ausgesehen, als würde sie dich umbringen wollen, so wie du dalagst, und sie dich von einer zur anderen Seite warf. Ihr saht aus wie zwei völlig Verrückte, und hätte ich den Leuten nicht erklärt was da los ist, ich schwöre dir, die wären vor Angst abgehauen.“

Nun aber muss ich mich ernsthaft damit auseinandersetzen, weshalb mich der Schwindel nur nach Ronda überfallen hat und ich weiß ja, in drei Tagen begegne ich Ronda wieder.

Ich erinnere mich an Nora. Nora war eine meiner Affären vor … „Verdammt“, kommt es mir. Mit Nora hatte ich vor genau fünf Jahren eine heftige Affäre. Zu Hause rufe ich also Nora an.

„Nora“, sage ich, „sag wann hatten wir die Geschichte mit dem Schwindel?“ Nora lacht und stöhnt wissend auf. „Musst du mich daran erinnern? Du hast mir so leid getan, und ich dachte du stirbst gleich neben mir. Mein Gott da hab ich meine erste Frau im Bett und dann bring ich sie gleich um? Das hätte ich mal erklären müssen, vor allem meiner Mutter!“ „Ja ja, so kann‘s einem gehen Nora!“ necke ich sie, „du hättest eben etwas zärtlicher sein müssen, weshalb musstest du mir auch eine über die Rübe ziehen!“ Wir lachen und Nora nennt mir wissend das Datum.

Das alles geschah vor genau fünf Jahren. Wir hatten Mitte Dezember, so wie gerade. Und so wie ich Nora kenne, wird sie diese eine spezielle Nacht wohl nie mehr vergessen. Nora und ich befanden uns in einer sehr intensiven Findungsphase.

Wir hatten Sex miteinander, wie immer wenn wir uns trafen, flogen alsbald die Klamotten. Nora war jungfräulich und wild auf lesbischen Sex, als ich sie kennenlernte, so wie ich damals, nur eben nicht jungfräulich. Sie hätte in jener Nacht beinahe ihren Rekord bei mir gebrochen, in dem sie mir neun Orgasmen bescherte. Und hätten wir weitergemacht, wäre der zehnte nicht mehr weit gewesen. Jeder braucht mal Verschnaufpausen, um dem bebenden Unterleib wieder etwas Ruhe zu gönnen, und diese kann man wunderbar dazu nutzen, die Stellung zu wechseln. Und nun bin ich geradewegs in der alten Geschichte gelandet. Meine Erinnerung schwappt über.

Ich drehe Nora also um. Sie kniet auf allen vieren, während ich es ihr von hinten besorge. Nora ist heiß und wild und ich freue mich darauf, nach ihr die zehnte Runde einzuläuten. Und während ich mich freu kommt auch schon der Schwindel. Ganz plötzlich und unverhofft fährt er in mich. Wie ein Brett klappe ich nach vor und platschte ungebremst auf Noras Rücken auf. Zack. Da liege ich nun und kann mich nicht mehr rühren, bis ich bemerke wie ich wie ein Klappmesser an ihrer Seite herunter kippe, direkt neben sie. Nun lieg ich da totenstill und wundere mich, was geschehen ist.

Nach einer solchen unvergesslichen Nummer, inklusiv einer vermeintlichen Sexleiche in ihrem Bett, scheint es uns beiden nur zu natürlich, dass wir unsere Lust am Vögeln wie einen Reaktor herunter fahren müssen.

Ich denke wieder über Ronda nach und begreife langsam, weshalb dies geschehen war. Ich war weder völlig fertig nach der Orgie noch fehlte mir etwas. Aber was ich damals, vor allem in jener Nacht mit Nora und überhaupt mit und von Nora lernte, war genießen. Ich hatte vor Nora einige Affären, doch keine einzige gab mir das, was mir Nora gab. Durch Nora lernte ich zu genießen. Ich lernte lesbischen Sex auszukosten in allen Variationen. Damals mit Nora hatte ich etwas unheimlich Wichtiges für mich entdeckt. Ich hatte einen völlig neuen Zugang und eine sexuelle Leidenschaft in mir entdeckt, die mir bis zu diesem Zeitpunkt auf rein körperlicher Ebene unbekannt gewesen war. Und weil ich mich eingelassen hatte auf den körperlichen Genuss, lernte ich sexuelle Authentizität und Wahrhaftigkeit in mein Leben zu integrieren.

Und wie ich mich darauf konzentriere, wann und wie ich das erste Mal den Schwindel erlebte, kommt es mir, dass ich nach dem Vorfall mit Nora noch ein weiteres Mal wie aus dem Nichts umgefallen war. Im Nachhinein betrachtet, erkenne ich ein Muster in den Schwindelanfällen, und immer trat es auf, wenn ich genießen lernen musste.

Matt, mein Ex-Mann und ich hatten damals bereits dreifachen Nachwuchs, und zwei davon waren Windelkinder. Und ich erinnere mich jetzt, wie das war, damals, mit dem Schwindel.

Ich hocke also auf dem Klo in unserem Badezimmer. Es ist gar kein Zimmer. Es ist ein Schlurf, ein Schlauch, einer Höhle gleich, in der ich mich kaum umdrehen kann.

Ich kann mehrere Dinge gleichzeitig machen. Ich glaube, dass die Frauen das einfach draufhaben, mehrere Sachen zeitgleich zu erledigen. Wir haben eben nur wenig Zeit. Die Dinge würden uns ja sonst über den Kopf wachsen.

Ich sitze also am Klo und beuge mich während der großen Notdurft etwas nach vor, um die Dreckwäsche, die da direkt vor mir auf einem Haufen eigenartige Gerüche von sich gibt, in die danebenstehende Waschmaschine zu stopfen. Meine körperakrobatische Beherrschung erstaunt mich immer wieder.

Meine Nonnen-Mama war schon immer eine Sauberkeitsfanatikerin. Und alles musste seinen Platz haben. Immer. Dreckwäsche hatte seinen Platz ganz sicher nicht am Boden liegend. Aber ich lasse mir schon lange nichts mehr vorschreiben. Mache mein Ding, auch mit der Dreckwäsche. Und so wasche ich Wäsche, während ich meine Notdurft verrichte. Geschickt lasse ich sie in der Maschine verschwinden, drücke alle möglichen Knöpfe, während ich selbst am Drücken bin. Das nenne ich Synchronizität. Wir Frauen beherrschen das einfach. Wir sind Multitasking fähig. Abgesehen von meiner Mama, für die das Leben aus nichts anderem als einseitiger Arbeit bestand.

Ich stelle mir vor, wie sie sich abmühte, Tag ein, Tag aus. Immer eines nach dem anderen erledigen zu müssen, kreativitätslos, einem Stock-im-Arsch gleichkommend, mit dem es sich eben schwer synchron mit anderen Dingen bewegen und genießen lässt.

Und wie ich da so hockte auf meinem Thron und die Unterschiedlichkeit zwischen Mama und mir wahrnehme, merke ich wie es mich zu drehen beginnt. Ich versuche nach unten zwischen meine Beine zu gucken und bemerke, wie sich der Kloabfluss zu einer irren Spirale formt. Wie ein gefährlich anmutender Strudel, schraubt sich mir die Unheimlichkeit unter meinem Hintern nach oben, direkt in mein Hirn. „Es wird mich ansaugen“, denke ich panisch. Und plötzlich merke ich, dass es mich nicht ansaugt, sondern auszuspucken versucht. Es drückt mich weg, um mich zu vertreiben aus meiner bequemen Sitzlage auf dem Klodeckel. „Wieso tut es das?“ kommt es mir in den Sinn. Ich bin ihm immer dankbar gewesen, wie hätte ich sonst synchron arbeiten gelernt? Und ich weiß, mein Klo tut das jetzt nicht der Scheiße wegen, die ich los werden muss. Es kennt seinen Job, auch wenn es ein undankbarer ist. Wer frisst schon gern Scheiße?

Und jetzt kippe ich. Mein Oberkörper nimmt eine waagerechte ein, während mein Kopf nach unten fällt, der Schwerkraft wegen die mich immer schneller, dem Wäschehaufen entgegentreibt. Und ich seh schon den Landeplatz, der echt beschissen aussieht. Direkt vor meinem Gesicht tut er sich auf, für einen Bruchteil einer Sekunde, bis sich meine Augen überdrehen.

„Verdammt, hatte ich eben Glück“, denke ich nur, während ich mich wieder einkriege. Ich wische mir die Kacke meiner Kinder aus dem Gesicht und bin froh, in und bei diesem ungebremsten Fall warm und weich gelandet zu sein. Der glatte, saubere Fliesenboden wäre härter gewesen und ich hätte mir mit Sicherheit arg den Schädel dabei aufgeschlagen. „Wozu Scheiße doch gut sein kann.“ Aber meine Nonnen-Mama war viel zu abstinent, um übel aufzufallen, viel zu genügsam und penibel, einer Heiligen gleich, der man in ihrer übermenschlichen Gier nach Frömmigkeit nie das Wasser reichen konnte. Mama wäre nie, niemals je in irgendeine Scheiße getreten, und erst recht nicht gefallen. Dafür war sie einfach viel zu korrekt. Und ich war es eben nicht. Leute wie ich fallen in Scheiße, treten in welche, ja rutschen auf ihr aus, und das ich dies überhaupt konnte, wo ich es doch nie gelernt hab bei ihr, machte mich ihr erstmals überlegen. Perfektion in aller Scheinheiligkeit war also der Realität gewichen, dass heilige Scheiße überall zu finden ist, und diese nicht immer, aber immer wieder auch für Lernerfahrungen gut und wichtig sein kann.

Der Genuss war es also, der Genuss tun und lassen zu können, wie ich es möchte, wann ich es möchte, ob ich es überhaupt in Erwägung ziehe, es zu mögen, mich aus alten Verhaltensmustern zu schälen, die absolute Freiheit tun zu können, was mein Herz begehrt, der mir den Schwindel bescherte. Und das musste ich bei meiner nächsten Sitzung mit Ronda unbedingt loswerden.

„Ronda“, sag ich also, „Ronda, ich habe eine Erkenntnis.“ Und erstmal erzähle ich ihr von dem Schwindel und dass er immer gleich nachdem ich sie verlasse auftritt. „Ich bin mal gespannt, ob es mich heute, nachdem ich weg bin, wieder auf die Schnauze haut. Aber ich glaube zu wissen, dass dies nicht mehr passieren wird, weil ich soeben das einzig Richtige mache in so einem Fall. Ich erkenne das Problem und beseitige es, indem ich mein Bewusstsein einschalte und Ronda davon erzähle. Denn nur wenn es unbewusst bleibt, bleibt das Problem bestehen, und verstärkt sich sogar noch. Es bewusst anzusprechen, ist enorm wichtig. So würde ich, und dessen bin ich mir sicher, dem Schwindel das Handwerk legen. Weil er nicht mehr zu erscheinen braucht, um mich dazu zu zwingen, zu erkennen worum es bei mir geht.

Ronda findet die Geschichte und die dazugehörige Erklärung sehr spannend. Wie immer. Und ich weiß auf einmal, was ich bei Ronda so genieße, was ich zuvor noch nie genossen, noch nie in solcher Tiefe erlebt habe. Es ist das Wissen darum, mit Ronda Heimat zu haben. Es ist das Wissen, dass meine Wahrnehmungen richtig und stimmig sind, dass ich nicht verrückt bin und mich ständig fragen muss, ob Ronda tatsächlich so fühlt, wie ich es von ihr übernehme und wahrnehme. Ich soll und darf endlich genießen. Weil es an der Zeit ist und mein Schwindel beschert mir dazu eine ganz klare Botschaft. Lass los und genieße! Genieße was ihr zwar subtil, aber immerhin, füreinander habt und empfindet. Es ist ein Geschenk, so tief fühlen zu können. Ich freue mich wie ein junger Hund und habe, nachdem ich Ronda wieder verlasse, keinen Steinchenschwindel mehr.

ABSTINENZ

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