Читать книгу ABSTINENZ - E. W. Schreiber - Страница 18
Namen
ОглавлениеIch kann mir unmöglich Namen merken. Es gibt so viele davon. Wie Sand am Meer, und trotzdem sind sie alle irgendwie gleich. Und so wie Liebespaare ihren eigenen Song haben, weil sie irgendwo und irgendwann zum selben Zeitpunkt einen ganz bestimmten Song klasse fanden, der Stimmung wegen, in der sie sich befanden, so kreiere ich neue Namen für Menschen in besonderen Situationen. Ich schätze mal, dass diese Eigenheit aus einer meiner früheren Inkarnationen als Indianer herrührt, die ja Namen anhand von Fähigkeiten oder herausstechenden Handlungen gegeben haben. Ich stehe nun einfach mal auf Urnamen, die die Ursprünglichkeit eines Wesens erkennbar machen.
Wenn ich mir die Monikas dieser Welt ansehe, dann erkenne ich eine große Portion Ähnlichkeit unter diesen Namensvertretern. Und das ist ganz egal, woher welche Monika auch immer kommen mag. Monikas aus den USA sind genauso blond wie Monikas aus Europa. Monikas haben meistens einen üppigen Vorbau, schulterlanges Haar, ein vorlautes Mundwerk und sind meistens sehr frühreif. Ich kannte einige Monikas, und eine davon war lange Zeit eine meiner liebsten Freundinnen. Meiner Freundin Monika gab ich einen solchen Urnamen, einen für sie passenderen, wie ich meinte, als ich herausfand, wer Monika tief in ihrer Seele war. Monika war keine Monika im Sinne des Wortes, auch wenn sie wie eine typische Monika etwas dümmlich, mit ihren Reizen spielend, durchs Leben stakste, samt ihren hohen Haken. Aber einmal, nur einmal erwischte ich sie mitten in der Stadt. Und es war ihr nicht mal groß peinlich, dass ich sie mit zerschlissenem Höschen, einem knappen Shirt und barfuß laufend in der Wirtschaftskammer ortete. Und wie Monika so dastand, beinahe unbekleidet mitten im Foyer, lugte ich auf ihre nackten Füße. Sie zappelte mit den Zehen, weil ihr scheinbar der eiskalte Marmorboden an den Fußsohlen zu schaffen machte. Und ich fragte mich nicht weiter, wo sie wahrscheinlich gerade gewesen war, oben in den oberen Stöcken in der Abteilung der Bestechlichkeit, aber von da an nannte ich Monika anders. Ich gab ihr also einen neuen Namen. Ich nannte sie Barfuß-Pezi. Und immer wenn ich von nun an von Monika sprach bemerkte ich, dass ich nicht mehr wie früher lange und breite Erklärungen abgeben musste, damit man wusste welche Monika ich denn überhaupt meinte, sondern jeder kannte auf Anhieb von nun an meine Barfuß-Pezi.
Also das kürzt die Dinge unglaublich ab. Mit dieser erstaunlichen Erfahrung der neuen Namensgebung und gleichzeitiger Charakterisierung derselben, erleichterte ich mein Leben ungemein.
Eine Psychologin und Therapeutin, die einen meiner Söhne im Kindergarten begutachtete, und auf seine Schulreife hin überprüfte, nannte ich die unterschwellige Sissi, weil sie mir ständig in den Schritt gaffte und das so augenscheinlich interessiert, dass es mir, wann immer ich sie treffe, und ich habe ja vier Kinder, schon ganz peinlich ist. Und wenn ich zu Hause erzähle, dass jetzt wieder mal ein Termin mit der unterschwelligen Sissi ansteht, kennt sich jeder genau aus und weiß, dass ich heute wohl besser etwas anziehe, das weit über meine Pobacken hinunter reicht, damit sie mir nicht gierig ihr unterschwelliges Sissi Wesen zeigen kann und ich meine Ruhe vor ihren lüsternen Blicken habe.
So vereinfache ich mein Leben und meinen Alltag. Ganz einfach. Und das hat sich bewährt.
In meiner pädagogischen Ausbildung, die ich vor vielen Jahren machte, gab es eine Petra. Und auch Petras sind sich ähnlich in ihrer persönlichen Ausprägung. Sicher haben alle eine eigene und unterschiedliche Geschichte, die sie in ihrem Wesen geformt hat, aber in ihrem Ausdruck sind sich auch die Petras der Welt ungemein ähnlich. Sie sind Freigeister, Weltenbummler. Petras sind anders als andere Menschen. Ja klar, kann man einwenden, Isa alle Menschen sind anders, als die anderen. Aber mal ehrlich, wer kennt keine Petra die anders ist. Die sich anders kleidet als die anderen, die es immer schafft mit komplett neuen abartigen Frisuren zu erscheinen, um die Leute zu schocken. Und die Petras der Welt wirken auf einen, als würden sie dir gleich den Stock-im-Arsch ins Gesicht schleudern. Ich mag die Petras. Sie sind was Neues irgendwie. Folgen keinem alten abgeschmackten Weltbild, sondern kreieren ständig was Neues, das mich immer wieder überrascht. Petras sind Leute von ´nem anderen Stern. Ein Weltenbürger, der nicht von dieser Welt scheint. Einfach genial.
So also lerne ich Petra kennen. Die aus meinen Ausbildungsseminaren. Oh Mann, und diese Petra hat´s drauf. Anders als alle anderen Petras die ich kenne, aber trotzdem stellt sie sich mit ihrem Namen ganz vorne in die Reihe.
Petra hat kurzes schwarzes Haar, und hockt mit geknicktem Gesichtsausdruck direkt mir gegenüber. Alles an Petra ist schwarz, selbst ihre Seele. Sagt sie. Mann, irgendwie fürchtet sich eine jede in meiner Ausbildung vor ihr. Aber ich nicht. Ich fürchte mich nicht vor Petras. Ich habe auch keine Angst vor ihrer Dunkelheit, die sie uns tagtäglich während der Ausbildung überzustülpen versucht. Ihr tiefschwarzes Inneres, knallt sie uns vor den Latz, und das mit einer Selbstverständlichkeit, die Ihresgleichen sucht. Petra macht aufmerksam. Nicht auf den Lernstoff, sondern auf sich selbst.
Ich sehe Petra also zum ersten Mal und wir haben zwei Petras in der Ausbildung. Ich weiß jetzt schon, Isa, du musst dir ´nen passenden Namen für sie überlegen. Aber wie das immer ist, wenn ich überlege, fällt mir nichts Passendes ein. Also warte ich mal ab. Schaue mir Petra genau an. Achte darauf, wie beide Petras draußen in der Pause beim Rauchen die selbe Fingerhaltung einnehmen, während sie an der Kippe ziehen. Beobachte, wie sie beinahe synchron rauchend der anderen den Qualm ins Gesicht blasen. Höre auf ihre Wortwahl und ihr Lachen, das nach einem quiekenden, sterbenden Meerschweinchen klingt.
„Oh Mann“, sag ich zu den beiden Rauchfängen, und muss lachen. „Seid ihr Zwillinge?“ Die Petras finden das gar nicht lustig, weil sie sich nicht leiden mögen. Aber ich finde sie lustig. Alle beide. Es sind spannende Individuen. Die anderen machen immer einen Bogen um die zwei, aber ich stelle mich zu ihnen, leiste ihnen Gesellschaft, beim Rauchen.
Beim Rauchen und zusammenstehen erfährt man so allerhand von Petras, das die anderen nie erfahren werden, weil sie sich nicht herablassen in die qualmende Unterwelt. Und weil sie mir so düster und verkommen vorkommt, muss ich sie jetzt einfach fragen, die Petra von der dunklen Seite der Macht. „Sag Petra, wieso schaust du immer so finster drein?“ ich sage es fürsorglich. Und die andere Petra fällt mir ins Wort, „Ja warum eigentlich, du siehst aus als würdest du jedesmal bevor du hierher kommst, zu einer Beerdigung gehen.“ Oh du liebe Scheiße, das hätte Meister Yoda von der lichten Seite jetzt besser nicht gesagt, denn genau so ist es auch. Seit dem Beginn unserer Ausbildung war die Tod-Frau so nenne ich sie ab jetzt insgeheim, an vier Beerdigungen gewesen. Und heute Morgen, nachdem sie wieder um eine Stunde zu spät ankam, hatte sie ihre Ratte begraben. Im Garten. Wie sie sagt. So ein Name gibt dem Menschen einen neuen Touch, und rettet sie meiner Ansicht nach aus dem alten Abklatsch, weil ihr neuer Name etwas hergibt, das ihr ganz allein gehört. Ich bin jetzt nicht stolz darauf, ihr den Namen Tod-Frau gegeben zu haben, weil er ganz ehrlich, gar nicht schön ist. Aber er passt zu ihr. Genau das strahlt sie aus. Tod. Tod und gebrochene Weiblichkeit. Sie wird ihre Stärke und Kraft wieder finden, davon gehe ich aus, wenn sie den Tod mal überwunden hat. Und wenn ich ihr dann immer noch begegne, sie sich gewandelt hat, ist es gut möglich sie mit einem neuen Namen zu bestücken. Doch jetzt ist sie die Tod-Frau. Und ich habe genügend Einfühlungsvermögen, sie nie, niemals bei diesem Namen zu rufen. Aber ich für mich kann sie jetzt einordnen, um ihr angemessener begegnen zu können.
Ich muss jetzt Arschloch einen neuen Namen geben. Arschloch war passend für viele Jahre in meinem Leben, und nun hat es sich gewandelt. Der Stock-im-Arsch, den er mir verpasst hat, ist nicht mehr, seitdem ich meine Kleine hab sterben sehen. Arschloch war geschockt. Immer hat er mich von dieser Sache abgezogen, mich in andere Richtungen gejagt, um ja niemals an die Stelle zu geraten, an dem die Kleine lag. Er wollte mir nichts Böses. Er wollte mich nicht verlieren. Seinen Wirt. Wollte nicht, dass noch mehr in mir stirbt, sobald ich mich daran erinnere. Arschloch ist jetzt noch immer ein Arschloch, aber irgendwie auch ein liebevolleres als vorher. Ich glaube, dass Arschlöcher wie meines Zwillingsgeschwister haben. Da gibt es noch mehr von solchen Typen, die irgendwo in mir herumlungern, wartend auf ihre Chance, mich vor möglichen Gefahren schützen zu dürfen. Und wenn ich so darüber nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob Arschloch mich nur meinetwegen beschützen wollte. Ich glaube vielmehr, dass er sich selbst schützen wollte. Denn wenn ich weiß, dass er der dunkle Lord, der Gegenpart meiner damals lichten Seite der Kleinen ist, und ich die Kleine aufstöbere, dann wird er nicht mehr gebraucht und landet in der absoluten Versenkung. Ich würde ihn sterben lassen. Ihn seiner Macht entziehen. Und wer will das schon. Kein Arschloch auf der Welt will sowas. Aber trotzdem. Ich brauche jetzt einen neuen Namen für Arschloch. Einen, der ihm gerecht wird. Als Beschützer taugte er wohl, aber wenn ich ihn jetzt so nenne, gebäre ich sofort in diesem Moment ein neues Arschloch, das sich dann wahrscheinlich ein neues Ego bastelt, sich selbst Hero nennt und sich für Supermann hält. Immerhin müssen Arschlöcher auch lernen, dass sie Kreationen vom Wirt sind. Neudefinitionen von verlorengegangenen ursprünglichen Zuständen. Sie haben nichts zu entscheiden, und entscheiden doch alles.
Arschlöcher sind nicht von Geburt an da. Außer bei mir. Bei mir waren sie schon da noch bevor ich geboren wurde. Meine Huren-Mutter hat dafür gesorgt, dass sie sich einnisten konnten in mir. Manchmal denke ich darüber nach wie das wohl war für mich. Einhundert Schwänze, die mir ans Gehirn gefickt haben, mitten in meiner Mutter, war sicher kein Honigschlecken. Und von ihrer Kohle die sie dafür bekam, hatte ich gar nichts abgekriegt, obwohl ich mit gefickt wurde.
Also in meinen Schwangerschaften hatte es sowas nie gegeben. Matt war der einzige Mann, der mich berühren durfte. Und er wusste, wie er mit mir umgehen musste. Mit mir und seinen Babys in mir. Ich hatte verdammt viel Lust auf Sex mit ihm, in all meinen Schwangerschaften. Matt wusste einfach, so einfühlsam wie er war, dass er mich nicht wie durch einen Flaschenhals durchziehen durfte. Nicht anstoßen am Muttermund, dort wo es weh tut, sobald er sich wölbt. Matt markierte unsere Kinder nicht wie ein Hund, der Gassi geht. Meine Kinder sind im Gegensatz zu mir mit Sicherheit ohne Arschlöcher auf die Welt gekommen.
Mein erstes Arschloch war sicher der Aufschreier. Der mit dem lauten, ohrenbetörenden Steck-dein-Ding-woanders-hin-Schrei. Der, der den Männern drohte, ihnen den Schwanz abzubeißen, sollten sie mir noch einmal mein Gesicht markieren.
Ich merke schon. Ich brauche Zeit und Arschloch wird wohl noch eine Weile warten müssen, mit der neuen Namensgebung. Ich muss ihm einen Namen geben, der ihn dazu anstiftet, weniger werden zu wollen, anstatt mehr. So ein Name soll es sein. Und so ein Name muss gut durchdacht sein, muss passen, sonst passieren die seltsamsten Dinge, und ein Unglück jagt das nächste.